Parlamentswahl in FrankreichMélenchon und Le Pen triumphieren über Macron
Schlappe für Frankreichs Präsidenten: Seine Partei verliert die absolute Mehrheit im Parlament, das Linksbündnis und die Rechtsextremen legen kräftig zu.
Das Parteienbündnis Ensemble ist am Sonntag in Frankreich bei der Parlamentswahl daran gescheitert, die absolute Mehrheit zu sichern. In Ensemble hatten sich die Partei von Präsident Emmanuel Macron (früher La République en Marche, heute Renaissance) mit der Mitte-Partei «MoDem» und der gemässigt konservativen Partei Horizons zusammengeschlossen. Nach ersten Hochrechnungen kommen die Ensemble-Abgeordneten auf 224 Mandate, für eine absolute Mehrheit wären 289 Sitze nötig. Für Präsident Macron bedeutet dieses Ergebnis eine heftige Niederlage.
In Macrons erster Amtszeit konnte seine Partei La République en Marche das Programm des Präsidenten ohne grossen Widerstand im Parlament durchsetzen, denn sie hatte dort die absolute Mehrheit. Macron selbst hatte seinen Regierungsstil, der ganz auf einen omnipräsenten Präsidenten setzt, einst als «jupiterhaft» beschrieben – in Anlehnung an Jupiter, den obersten Gott der Römer. Zwar wurde Macron bei der Präsidentschaftswahl im April mit 58 Prozent der Stimmen wiedergewählt, seine Regierung ist nun jedoch auf punktuelle Absprachen mit der Opposition angewiesen, um Gesetzesvorschläge durchzubringen.
«Das ist ein Tsunami»
Den mit Abstand grössten Zugewinn verzeichnet bei der Parlamentswahl Marine Le Pens rechtsextreme Partei Rassemblement National (RN). Erste Hochrechnungen sehen die RN bei 89 Sitzen. Das wären 81 Sitze mehr als bei der Abstimmung vor fünf Jahren. Damals waren nicht genug RN-Abgeordnete (früher Front National) in die Nationalversammlung eingezogen, um eine eigene Fraktion bilden zu können.
Dieses Mal dürfte die Fraktion der Rechtsextremen jedoch grösser werden als die der bürgerlich-konservativen Kräfte, zu denen die Républicains zählen. Der stellvertretende RN-Vorsitzende Jordan Bardella sagte dem Sender TF1: «Das ist ein Tsunami.» Die Vorsitzende Marine Le Pen selbst wurde am Sonntag in der Stichwahl in ihrem Wahlbezirk in Nordfrankreich mit 62 Prozent der Stimmen zur Abgeordneten gewählt. Le Pen sagte am Wahlabend, die Nationalversammlung werde nun «ein wenig mehr national».
Linke werden erste Oppositionspartei
Die wichtigste Oppositionskraft wird jedoch die linke Nupes-Allianz. Sie kommt nach ersten Hochrechnungen auf 149 Sitze. Um das Wahlversprechen des Nupes-Anführers Jean-Luc Mélenchon umzusetzen – «ich werde Premierminister» – hätten die links-grünen Parteien aber gemeinsam mindestens 289 Sitze holen müssen. Zu der Nupes-Allianz gehören Mélenchons France Insoumise, die Sozialisten, die Kommunistische Partei und Frankreichs Grüne Europe Écologie les Verts.
Mélenchon selbst wird nicht in der Nationalversammlung sitzen, da er nicht für einen Sitz kandidierte. Mélenchon sprach am Sonntagabend von einer «totalen Niederlage der Partei des Präsidenten». Die France-Insoumise-Abgeordnete Clémentine Autain sprach am Sonntag von einem «unglaublichen Durchbruch» für die linke Allianz. In den vergangenen fünf Jahren waren es die rechtsbürgerlichen Républicains, die in der Nationalversammlung die erste Oppositionspartei waren.
Umweltministerin muss zurücktreten
Einige der zentralen Verbündeten Macrons verpassten am Sonntag den Einzug ins Parlament. Der frühere Innenminister Christophe Castaner (2018–2020) verlor die Stichwahl in seinem Wahlkreis ebenso wie der bisherige Präsident der Nationalversammlung, Richard Ferrand. Die Premierministerin Élisabeth Borne und der aktuelle Innenminister Gérard Darmanin sicherten hingegen ihre Mandate.
15 Minister hatten bei der Parlamentswahl kandidiert. Emmanuel Macron koppelte ihr Verbleiben in der Regierung an den Erfolg bei der Wahl. Die Umweltministerin Amélie de Montchalin, der nach Macrons Plänen eine der Schlüsselrollen in der neuen Regierung hätte zukommen sollen, verlor ihren Wahlbezirk und wird zurücktreten müssen.
Regierungssprecherin Olivia Grégoire kommentierte am Sonntagabend das Wahlergebnis: «Sind wir ein bisschen enttäuscht? Ja. Aber haben uns die Franzosen wieder zur stärksten Gruppe gemacht? Ja.» Man werde «Wege finden, damit das Land nicht blockiert wird».
Radikale gewinnen dazu
In der frisch gewählten Nationalversammlung spiegelt sich die neue Dreiteilung der französischen Politik wieder. Präsident Macron und seine Unterstützer markieren die Mitte, rechts und links von ihm haben die radikalen Kräfte stark hinzugewonnen. Für die Regierungsarbeit bedeutet dies, dass sich Macrons Abgeordnete zwischen einer harten linken und einer harten rechten Opposition eingekeilt sehen könnten. Politische Beobachter befürchten eine «Unregierbarkeit» des Landes.
Die Parlamentswahl war nicht nur von der Niederlage Macrons, dem Erfolg der Linken und dem Durchbruch der Rechtsextremen gekennzeichnet, sondern auch von einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung. Mehr als die Hälfte der Franzosen gingen sowohl im ersten als auch im zweiten Wahlgang nicht zur Urne. Die Wahlbeteiligung lag an diesem Sonntag bei 46 Prozent. So niedrig war sie in der Fünften Republik bei den Parlamentswahlen noch nie.
Auch wenn viele Franzosen unzufrieden mit Macrons erster Amtszeit waren, profitierte der 44-Jährige davon, dass die Parlamentswahl in Frankreich als Bestätigung der Präsidentschaftswahl empfunden wird. So nehmen traditionell vor allem Unterstützer des Gewinners an der Abstimmung teil, andere bleiben häufig zu Hause.
Zum Nachteil des Linksbündnisses war das komplizierte Wahlsystem, das zu teils gravierenden Unterschieden zwischen prozentualem Stimmanteil und der Sitzverteilung führt. Dabei zählen am Ende nur die Stimmen für den Gewinner im jeweiligen Wahlkreis.
Wichtige Projekte warten auf Umsetzung
Trotz nur noch relativer Mehrheit für das Macron-Lager werden Deutschland und Europa am Ende weiter mit einem verlässlichen Partner Frankreich rechnen können. Auch wird Frankreich im Ukraine-Konflikt zweifelsohne fester Bestandteil der geschlossenen Front des Westens gegen den Aggressor Russland bleiben.
In Frankreich warten wichtige Projekte auf die Umsetzung: Angemahnt werden Verbesserungen im Bildungs- und Gesundheitswesen, die Menschen warten auf Kaufkrafthilfen in der Krise und viele wollen energischere Schritte in der Klimakrise. Ausserdem will Macron eine umstrittene Rentenreform durchziehen, die Franzosen sollen länger arbeiten.
Die Wahl war auch ein Fernduell zwischen zwei sehr unterschiedlichen politischen Charakteren. Auf der einen Seite der 44-jährige eloquente Präsident und Ex-Investmentbanker Macron. Auf dem internationalen Parkett agiert er als souveräner Staatslenker, auf nationaler Ebene kämpft er jedoch mit einem Image als arroganter Elitepolitiker. Ihm gegenüber stand das linke Urgestein Mélenchon, ein gewiefter Linksideologe und Stratege, der sich als Fürsprecher des Volks und der sozialen Gerechtigkeit sieht.
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