TV-Kritik: «DOK» zur ErnährungUnd dann kommt der Gorillavergleich
Viele Menschen definieren sich übers Essen. Dass es sich dabei um ein Wohlstandsphänomen handelt, tippt die SRF-Dokumentation «So esse ich – so bin ich» leider nur an.
«Woher wissen Sie, dass jemand Veganer ist?», fragt Ernährungswissenschaftlerin Christine Brombach das Publikum keck. «Nun, er sagts ihnen gleich!» Die Pointe lässt schmunzeln. Willkommen in der TV-Dokumentation «So esse ich – so bin ich», die mit dem Ziel an den Start geht, zu zeigen, wie stark Essen heute unsere Persönlichkeit definiert. So hat es der Trailer versprochen.
Natürlich kommen typische Exponenten der Foodie-Szene zu Wort: die angesagte Alpinköchin Rebecca Clopath etwa, die Rosenkohl und Salat auf dem Feuerring brät und findet, dass «unser Treibstoff Teil der Natur ist». Dann der Gemüse- und Früchtehändler Tizziano Marinello, der behauptet, dass viele Esstrends in der Gastronomie ihren Anfang nehmen, denn «der Koch ist der neue Popstar». Zudem besagte Christine Brombach, die es als Paradox bezeichnet, dass viele Menschen gegenüber Nahrung Unbehagen und Verunsicherung verspürten «in einer Zeit, in der es so viele sichere und hochqualitative Lebensmittel gibt wie noch nie».
Stiere essen auch nur Grünzeug
Die ersten 20 Minuten, quasi die Vorspeisen, sind vielversprechend. Man freut sich auf all das Denkfutter, das nun kommen könnte: Haben wir uns von der Natur als Nahrungsquelle entfremdet? Wird da wirklich ein zu grosser Kult ums Kochen gemacht? Ist Ernährung in solch gottlosen Zeiten vielleicht sogar Religionsersatz geworden?
Doch es folgt kein gedankensatter Hauptgang, sondern Häppchen wie das folgende: Zwei muskelbepackte Influencer mit millimetergenauem Dreitagebart stehen im Fitnessstudio. Sie philosophieren über vegane Ernährung: Dass diese Lebensweise gesund sein müsse, sei irgendwie logisch, finden sie: «Stiere, Pferde und Gorillas sind die stärksten und intelligentesten Tiere überhaupt.» Und die würden ja auch nur Grünzeugs essen.
Ist Ernährung in solch gottlosen Zeiten vielleicht sogar Religionsersatz geworden?
Nun ja, es gibt für Veganismus stärkere Argumente. Doch zumindest geht einem da als Zuschauer womöglich ein Licht auf: dass es ein Luxusproblem ist, zwischen Fairtrade-Kichererbsen aus Italien und handgeernteten Biobergkartoffeln auszuwählen; sich zwischen Entrecôte vom Demeter-Bauernhof und M-Budget-Hackfleisch zu entscheiden. Nicht jeder hat Geld und Zeit dafür. Anders gesagt: Wer täglich 10 Stunden für ein knappes Einkommen Wohnungen und Büros putzt und abends darum nicht mehr kochen mag, hat andere Sorgen.
Aber eben, das wäre dann schon deftigere Kost, solche Gedanken bezüglich Ernährung werden im Film nur angetippt. Sinnbildlich dafür: Am Ende – gewissermassen als Dessert – dürfen Zuschauerinnen und Zuschauer die Protagonisten an ein Essen bei Rebecca Clopath begleiten. Es wird eine doppelt geklärte Gänse-Consommé aufgetischt, serviert mit Cornet aus Gans, Quitte und Lorbeer. Sogar die ansonsten reflektierte Christine Brombach sagte nun Sätze wie «Mmmh, das ist wahnsinnig reichhaltig im Mund.»
Und so wird der Dokumentarfilm von Christa Ulli im Abgang zum Werbespot für die Alpinköchin Clopath. Wohlgemerkt, bei ihr kostet die Teilnahme an einer exklusiven «Esswahrnehmung» pro Kopf 290 Franken.
«DOK: So esse ich – so bin ich»: Wer die Sendung verpasst hat, kann sie 30 Tage lang auf SRF Play nachholen.
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