Abstimmung am 9. FebruarDie Schweiz müsste ihren Umwelt-Fussabdruck auf das Niveau Kirgistans schrumpfen
Die Umweltverantwortungsinitiative verlangt, dass die «natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben». Die Schweiz ist weit davon entfernt.
- Die Umweltverantwortungsinitiative fordert, dass die Schweiz nur so viel verbraucht, wie ihr zusteht, wenn die Ressourcen des Planeten nicht übernutzt werden sollen.
- Die Schweiz nutzt 2,5 «Erden» und liegt damit über dem globalen Durchschnitt.
- Politische Gegner warnen vor Verarmung durch strenge Ressourcenziele.
Laut den Jungen Grünen und ihren Unterstützern ist die Schweiz auf dem falschen Weg. Im Argumentarium für ihre Umweltverantwortungsinitiative heisst es, sie forderten, «was selbstverständlich sein sollte»: dass die Schweizer Bevölkerung die Ressourcen der Natur nur so stark belaste, wie es deren Erneuerungsfähigkeit zulasse. Die Initiative kommt am 9. Februar zur Abstimmung. Bei einem Ja müsste die Politik Schritte einleiten, um die Vorgabe innert zehn Jahren zu erreichen. (Weitere Details zur Vorlage finden Sie in unserem Übersichtsartikel.)
Die Initiantinnen und Initianten zielen damit auf eine der grossen globalen Fragen: ob es der Menschheit gelingt, ihrem Planeten Sorge zu tragen. Selbstverständlich ist in diesem Kontext allerdings gar nichts. Die meisten reichen Länder dieser Welt erreichen das Ziel nicht annähernd, das die Initiative der Schweiz stecken will.
Kolumbien ist das Mitglied des Industrieländerclubs OECD mit dem am wenigsten schlechten Wert: Es verbrauchte 2022 pro Kopf ein Drittel mehr Ressourcen, als zur Verfügung stehen, also 1,3 «Erden». Die Rechnung stammt vom Global Footprint Network, einer schweizerisch-amerikanischen Nichtregierungsorganisation.
Die genaue Berechnung ist kompliziert und nutzt das Konzept der «globalen Hektaren», die jeder Mensch in unterschiedlichem Ausmass verbraucht. Weltweit stehen davon zwölf Milliarden zur Verfügung. Unter der Annahme, dass jedem Menschen ein gleich grosser Anteil davon zusteht, lässt sich errechnen, wie viel darüber oder darunter sich der jeweilige Konsum bewegt.
Verbraucht die Person genau die 1,51 globalen Hektaren, die ihr zustehen, beträgt ihr Konsum eine «Erde». Genau diesen Sollwert konsumiert die ehemalige Sowjetrepublik Kirgistan – ein Entwicklungsland. Der globale Durchschnitt liegt bei 2,58 globalen Hektaren. Das sind 1,7 «Erden». Die Menschheit verbraucht also 70 Prozent mehr Ressourcen, als der Globus langfristig gewärtigen kann.
Würden alle Menschen so konsumieren wie die Schweizer Bevölkerung, läge die globale Belastung sogar bei 2,5 «Erden». Damit weist die Schweiz unter den Industrieländern einen der besseren Werte aus. Der Petrostaat Katar und Luxemburg, das verhältnismässig viele energieintensive Betriebe zum Beispiel aus der Stahlindustrie beheimatet, verbrauchen beide über 7 «Erden». Am anderen Ende der Skala steht Ruanda mit 0,4.
Das alles ist der Versuch, schwer fassbare, teilweise unendlich komplizierte Zusammenhänge auf einen Nenner zu bringen. Es soll eine Hilfestellung für Einzelpersonen, Firmen und insbesondere die Politik sein, ihr Handeln mit Blick auf die planetaren Grenzen anzupassen.
Die Resultate des Global Footprint Network mögen einfach zu verstehen sein, sie finden darum so viel Beachtung wie sonst keine Darstellung. Allerdings zeigt das Modell nur, wie viel Flächenverbrauch und CO2-Ausstoss der Konsum verursacht, und berechnet daraus die verbrauchten «Erden». Hingegen berücksichtigt es andere Umweltprobleme nicht, unter anderem die Belastung von Gewässern mit Nährstoffen oder den Süsswasserverbrauch. Nur sehr begrenzt kommt zudem die Belastung der Biodiversität vor.
Die verschiedenen Dimensionen basieren auf dem Konzept der planetaren Grenzen. Bereits vor 50 Jahren warnte der Club of Rome, eine Organisation bestehend aus Fachpersonen aus der ganzen Welt, dass die Umwelt dem Wirtschaftswachstum gewisse Leitplanken setze. Unter anderem aus diesem Gedanken heraus entstanden in den Jahren danach in verschiedenen westlichen Ländern die grünen Parteien.
2009 legten Erdsystem- und Umweltwissenschaftler darauf basierend neun messbare Grenzen des Planeten fest, darunter auch die oben genannten. Aktuell überschreitet die Menschheit sechs davon. Tut sie das langfristig weiter, nehmen die zur Verfügung stehenden Ressourcen ab. Zudem kann es zu abrupten Umweltveränderungen kommen, die Widerstandskraft des Planeten kann abnehmen, oder es können Verteilkämpfe entstehen. Zwar gibt es politische Kreise, die diese Erkenntnisse herunterspielen oder ganz in Abrede stellen. Aus Sicht der Wissenschaft besteht dagegen kein Zweifel an der grundsätzlichen Gültigkeit.
Neben dem Global Footprint Network stützen sich die Schweizer Behörden bei ihrer Arbeit in diesem Gebiet auf eine Studie aus dem Jahr 2022. Zwei private Büros hatten im Auftrag der Eidgenossenschaft weitere Bereiche der Umweltbelastung untersucht. Sie bescheinigten der Schweiz, dass ihr Gesamtverbrauch das Dreifache dessen beträgt, was angezeigt wäre. Damit bestätigten sie grob die Ergebnisse des Global Footprint Network, das auf den Faktor 2,5 gekommen war. In beide Rechnungen flossen die Umweltauswirkungen sowohl im In- als auch im Ausland ein.
Auch die Studie im Auftrag des Bundes stellt fest, dass die Schweiz insbesondere bei den Klimagasen im Rückstand liegt: 2018 betrugen die Treibhausgas-Emissionen pro Kopf demzufolge das Neunfache des Ziels, das die Autorinnen aus der Klimastrategie des Bundes für 2040 ableiten. Auch die Nährstoffbelastung der Gewässer war doppelt so hoch wie das Mass, das für die Umwelt nachhaltig wäre. Bei der Biodiversität betrug der Schweizer Wert 2018 das Vierfache jener Grenze. Das Schadenpotenzial für die Artenvielfalt ist laut der Studie zwischen 2000 und 2018 um 8 Prozent gewachsen.
Bei den Klimagasen zeigen beide erwähnten Untersuchungen dagegen deutliche Verbesserungen in den letzten Jahrzehnten. Effizientere Produktionsmethoden und die Energiewende haben zu einer Entkopplung des Wirtschaftswachstums von den Emissionen geführt.
Einige Gegner der Umweltverantwortungsinitiative argumentieren so: Es sei wirtschaftlich nachhaltiger, den eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen. Mit mehr erneuerbaren Energien – vielleicht aber auch mit mehr Atomstrom – könne die Schweiz ihre Umweltbelastung künftig weiter senken.
SVP-Chef Marcel Dettling dagegen erteilt auch diesem Ansinnen eine klare Absage: «Unserem Wohlstand zuliebe müssen wir es in Kauf nehmen, mehr Ressourcen zu verbrauchen, als die Jungen Grünen uns vorschreiben wollen. Sonst leben wir bald wie die Menschen in jenen Ländern, die die Ziele der Initiative heute schon erreichen: in Blechhütten und ohne Heizung.»
Magdalena Erni, Präsidentin der Jungen Grünen, kontert, dass die Initiative eine «sozialverträgliche Umsetzung» vorschreiben wolle. «Das heisst eher, dass die Reichsten nicht mehr mit dem Privatjet durch die Welt fliegen könnten, ohne sich um die Folgen für den Rest der Welt zu scheren», sagt Erni. «Niemand von uns will auf das Niveau eines Entwicklungslandes zurück.» Zumindest darin sind sich die Streitparteien einig.
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