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Unabwendbarer Stau
So könnte der Stau am Gotthard verhindert werden – doch der Bundesrat will nicht

Stau am Wochenende vor Ostern, 13 Kilometer lang, bei der Autobahneinfahrt Wassen Richtung Süden vor dem Gotthard-Tunnel, 1. April 2023.
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In Kürze:
  • Das Stauproblem am Gotthard hat sich in den letzten Jahren verschärft.
  • Die Reisenden stehen stundenlang im Stau und die lokalen Behörden kämpfen gegen Ausweichverkehr.
  • Obwohl schon unzählige politische Vorstösse eingebracht wurden, fehlt es an mehrheitsfähigen Lösungen.

Die Staustunden am Gotthard haben sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht: von rund 600 im Jahr 2012 auf 1800 im Jahr 2022. Inzwischen stockt der Verkehr an über hundert Tagen pro Jahr – auch jetzt über Ostern wieder. Der Ärger der Reisenden ist das eine – die zunehmende Belastung für die Dörfer entlang der Route das andere.

Die Politik hat das Problem erkannt. Zahlreiche Lösungen lagen und liegen auf dem Tisch. Viele Ideen wären theoretisch machbar, lassen sich aber politisch kaum durchsetzen. Eine Übersicht.

Kapazitäten erhöhen – Alpenschützer und Urner sind dagegen

Eine der diskutierten Massnahmen: den Verkehrsfluss mit mehr Kapazität entlasten. Der Aargauer  SVP-Nationalrat Benjamin Giezendanner brachte zuletzt im März die Idee ein, den Schnee früher zu räumen, um den Gotthardpass noch vor dem grossen Osterreiseverkehr zu öffnen. Der Aargauer sagt: «Damit soll der Stau vor den Tunnelportalen sowie im vom Verkehr geplagten Uri reduziert werden.» 60 Nationalräte und Nationalrätinnen haben die Forderung unterzeichnet.

In den betroffenen Kantonen wundert man sich: Um die Passstrasse im Winter zu sichern, müssten 300 Millionen Franken investiert werden. Der Urner Mitte-Nationalrat Simon Stadler findet, das sei aus dem Fenster geworfenes Geld: «Ausser an Ostern haben wir im Winter gar kein Stauproblem.» Auch der Tessiner SP-Nationalrat Bruno Storni findet den Vorschlag absurd: «Aufgrund des Klimawandels werden wir den Pass auch ohne teuren Ausbau bald frühzeitig öffnen können.»

Die Öffnung der zweiten Gotthardröhre, die voraussichtlich 2033 befahrbar sein soll, ist eine weitere Idee, die immer wieder aufflammt. Zuletzt brachte der Urner FDP-Landrat Georg Simmen den Vorschlag ein. Die Forderung erhitzt die Gemüter, denn bei der Volksabstimmung zur zweiten Gotthardröhre im Jahr 2016 wurde versprochen, dass die zweite Röhre nicht für zusätzlichen Verkehr geöffnet werde. 

Ohnehin sind  Ideen für eine Kapazitätserhöhung Frontalangriffe auf die Alpeninitiative. Im Jahr 1994 hatte das Volk beschlossen, dass es die Kapazität auf den Transitstrassen im Alpengebiet nicht weiter erhöhen will. Der Geschäftsleiter von Pro Alps (vormals Alpeninitiative), Django Betschart, kann nicht verstehen, warum immer wieder hier angesetzt wird: Die Kapazitäten am Gotthard zu erhöhen, führe wegen des  Mehrverkehrs zu Chaos an den bestehenden Verkehrsengpässen von Basel bis Chiasso. Er sagt: «Das schadet der lokalen Bevölkerung.»

Autofahrer mit Gotthard-Gebühr abschrecken

Eine weitere Idee: den Verkehr mit Gebühren steuern. Nationalrat Simon Stadler verlangt ein variables Mautsystem. Der Urner sagt: «Das System würde ähnlich funktionieren wie die variablen Preise, die in vielen Skigebieten eingeführt wurden.» Sein Ziel: Weniger Verkehrsteilnehmer treten ihre Fahrt während der Spitzenzeiten an.

In Uri würde sich der Verkehr aufgrund der zusätzlichen Gebühren verringern. Auf der anderen Seite des Gotthards kommt der Vorschlag aber ganz schlecht an. FDP-Nationalrat Simone Gianini aus Bellinzona sagt: «Die Gebühr würde uns einige Jahrhunderte zurückkatapultieren, als das Tessin nur durch Gebühren erreichbar war.» Gleich sieht es der Bundesrat. Er lehnt die Idee wegen «gravierender Nachteile» für den nationalen Zusammenhalt ab.

Gianini ist aber für eine Preiserhöhung bei der Autobahnvignette. Sie soll die Benützung der Nationalstrassen und Alpenpässe verteuern – besonders für Verkehrsteilnehmer aus dem Ausland. Während der Spitzenzeiten kämen 80 Prozent der Reisenden aus dem Ausland, argumentiert der Tessiner.

Auch Walter Marty, Gemeindepräsident des vom Stau betroffenen Erstfeld, würde sich über eine Preiserhöhung  freuen: «Es ist ein Armutszeugnis, dass die Flut von Fahrzeugen aus dem Ausland fast gratis durch unsere Dörfer blochen darf.»

Der Bundesrat bezeichnet die Massnahme dennoch als ungeeignet. Denn sie würde in erster Linie die inländischen Verkehrsteilnehmer treffen, unabhängig davon, ob sie die alpenquerenden Nord-Süd-Achsen benutzen oder nicht. 

Ein Vorschlag, der in Uri Politiker von den Grünen bis zur SVP überzeugt, ist ein digitales Slotmanagement. Die Durchfahrt wäre nur zu bestimmten, vorher gebuchten Zeiten erlaubt. Das Urner Parlament hat die Idee einstimmig nach Bern geschickt. Doch der Bundesrat aber hält dagegen: Für die Umsetzung müsste man vor dem Gotthard riesige Flächen schaffen. Dort müsste warten, wer nicht zur gebuchten Slot-Zeit am Gotthard eintrifft. Solche Flächen sind laut Bundesrat in den engen Gebirgstälern nicht vorhanden.

Dörfer an der Autobahn entlasten

Der Stau belastet nicht nur Reisende, sondern auch die Dörfer entlang der Nord-Süd-Achse. Vor allem der Ausweichverkehr führt dort zu Problemen: Pendler kommen zu spät zur Arbeit, Lieferungen bleiben stecken, und im Notfall fehlen den Blaulichtdiensten freie Wege – so schildert es Walter Marty, Gemeindepräsident von Erstfeld.

Um gegenzusteuern, fordert die GLP-Nationalrätin Barbara Schaffner ein Durchgangsfahrverbot auf den Ausweichrouten für den Transitverkehr. Damit will sie verhindern, dass Navis Ausweichrouten durch die Dörfer vorschlagen.

Der Bundesrat kritisiert die Idee: Es sei unrealistisch, dass die internationalen Navi-Betreiber ihre Routen entsprechend anpassen würden. Schaffner kontert: «In Italien und Frankreich werden solche Systeme bereits umgesetzt.» Wenn der Ausweichverkehr durch die Dörfer gesetzlich verboten sei, seien die Betreiber gezwungen, ihre Routen anzupassen.

Ganz ohne Auto: Verlagerung auf die Schiene

Ein anderer Ansatz setzt auf die Schiene statt auf die Strasse. Seit der Jahrtausendwende konnte die Zahl der alpenquerenden Lastwagenfahrten im Nord-Süd-Verkehr um 34 Prozent gesenkt werden. Auch für den Personenverkehr gäbe es Potenzial: Ein Autoverlad wie auf der Lötschbergroute könnte pro Stunde bis zu 450 Fahrzeuge durch den Gotthard bringen. Ob Reisende tatsächlich bereit wären, kurz vor dem Tunnel auf den Zug umzusteigen, bezweifelt der Bundesrat allerdings.

In den letzten Jahren gelang es zudem, einen Teil des Reiseverkehrs von der Strasse auf die Schiene zu verschieben. Für den SP-Nationalrat Bruno Storni ist dies die nachhaltigste Strategie. Er sagt: «Wenn die Leute in den Zug steigen würden, anstatt in ihren Autos zu sitzen, könnten wir das Stauproblem lösen.» 2000 Personen mehr kämen pro Stunde und Fahrtrichtung durch den Gotthard.

Die Analyse zeigt: Zwischen den Bedürfnissen von Automobilisten und Alpenschützern, Urnern und Tessinern sowie Fernreisenden und Anwohnern bestehen gröbere Interessenkonflikte. Und auch den Bundesrat überzeugt keiner der Vorschläge. Das Gremium setzt auf kurzfristige Massnahmen wie die automatisierte Ausfahrtdosierung, temporäre Sperrungen von Autobahnanschlüssen und Temporeduktionen. In der Sondersession Anfang Mai wird auch das Thema Verkehr besprochen. Es ist zu bezweifeln, dass einer der aktuellen Vorschläge eine Mehrheit findet. Womit sich der Verkehr am Gotthard weiter staut.