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Studie mit Geflüchteten
Ukrainer erachten Schweizer Bevölkerung als hilfsbereit

Umarmung für eine Geflüchtete aus der Ukraine, die am 9. März 2022 am Bahnhof Zürich ankommt. 
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In der Schweiz wurden bis Ende November 70’000 Flüchtlinge aus der Ukraine registriert. Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) wollte von ihnen erfahren, wie es ihnen in der Schweiz ergeht und wie ihre Lebens- und Wohnsituation aussieht. Hierfür hat die ZHAW eine repräsentative Befragung von ukrainischen Geflüchteten durchgeführt im Zeitraum vom 15. August bis zum 3. November.

701 Personen nahmen teil, 438 füllten den Fragebogen vollständig aus. Die Teilnehmenden waren zwischen 16 und 85 Jahre alt und in der Mehrheit weiblich. Die meisten kamen im Februar und März in der Schweiz an. Mehrheitlich (54,7 Prozent) hatten die Befragten, bevor sie in die Schweiz flohen, keine persönlichen Kontakte zu hier lebenden Menschen.

Das sind die zentralen Erkenntnisse der Studie:

Positive Erfahrungen mit der Schweizer Bevölkerung

Studienleiter Dirk Baier, Professor für Delinquenz und Kriminalprävention an der ZHAW, sagt: «Man hörte viel von Problemfällen in Gastfamilien, die allerdings Einzelfälle waren. Jetzt zeigt sich erstmals empirisch, dass eine sehr grosse Mehrheit der Ukrainerinnen und Ukrainer positive Erfahrungen mit der Schweizer Bevölkerung macht.» Das sei nicht selbstverständlich, vor allem angesichts der Tatsache, dass die Schweiz nicht gerade zu den aufnahme­freudigsten Ländern in Europa zähle. «Flüchtlinge können normalerweise nicht sehr schnell Fuss fassen hierzulande, daher ist der Befund in dieser Deutlichkeit sehr überraschend.»

Fast vier von fünf Geflüchteten geben an, dass ihnen geholfen wurde, ohne dass eine Bezahlung oder Gegenleistung notwendig war. 84,5 Prozent der Geflüchteten sagten, dass die Bevölkerung meistens freundlich und hilfsbereit war. Ein ebenfalls hoher Anteil an Befragten berichtete, häufig oder immer Hilfe erhalten zu haben. Daneben gaben 42,4 Prozent der Befragten an, oft über ihre Situation ausgefragt zu werden; etwa jeder neunte Befragte berichtete davon, komisch angeschaut oder unhöflich behandelt zu werden. Geschlechts- oder Altersunterschiede finden sich in Bezug auf dieses Erleben nicht.

Das Konfliktniveau ist in Gemeinschafts­­unterkünften am höchsten

Gemeinschafts­unterkünfte dürften nur eine kurzfristige Zwischenlösung sein, sagt Studienleiter Dirk Baier. «Uns ist allen klar, dass ein grosser Zustrom von Geflüchteten die Gemeinden vor Herausforderungen stellt. Die Lösung sind aber nicht Gemeinschafts­unterkünfte, sondern eine Aktivierung der Zivilgesellschaft, wie sie Anfang des Jahres mit den Privat­unterbringungen funktioniert hat.»

Insgesamt 65,4 Prozent der in Kollektiv­unterkünften lebenden Befragten berichten davon, Konflikte zu haben; bei 21,8 Prozent ist dies sogar häufig der Fall. Wenn eine Unterbringung in bekannten Familien erfolgt, ist das Konfliktniveau am zweithöchsten – 41,4 Prozent der Befragten berichten hiervon. In Gastfamilien, die keinen familiären Bezug zu den Flüchtlingen hatten, wird zu 23,4 Prozent von zumindest seltenen Konflikten berichtet. In Gemeinschafts­­unterkünften fühlt sich mehr als ein Viertel (26,6 Prozent) der Befragten unsicher oder eher unsicher. Werden die Auswertungen auf weibliche Befragte eingeschränkt, steigt dieser Anteil auf 28,8 Prozent.

Zentrales Problemfeld ist die Gesundheit

Die gesundheitliche Situation und die psychische Verfassung der befragten Ukrainerinnen und Ukrainer sowie von deren Kindern ist gemäss der Studie sehr schlecht. Im Durchschnitt berichtet über die Hälfte der Geflohenen über somatische Beschwerden wie Ohnmachts- oder Schwindelgefühle, Herz- und Brustschmerzen sowie andere Symptome. Die Rate ist dabei etwa dreimal so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung. Fast neun von zehn Befragten berichten über Schlafprobleme. Zudem ergeben sich bei zwei von drei Befragten Hinweise auf posttraumatische Belastungen. Dieser Wert ist etwa zehnmal höher als in der Allgemeinbevölkerung. Fast acht von zehn Geflüchteten gaben an, Albträume mit Bezug auf den Krieg zu haben. 

Wenig erstaunlich, handelt es sich doch um Kriegsvertriebene. Doch Dirk Baier von der ZHAW sagt: «Die hohe psychische Belastung ist ein Problem, weil wir bislang überhaupt keine adäquaten Angebote haben.» Therapieplätze für Ukrainerinnen und Ukrainer gebe es allein aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse der Therapeuten nicht. «Wir müssen daher schnell alternative Strukturen schaffen, wie zum Beispiel Austauschgruppen unter Flüchtlingen zu diesem Thema», so Baier.