Porträt einer DolmetscherinSie spricht die Sprachen der Krisenregionen
Morgens übersetzt sie Russisch, nachmittags Persisch. Wegen der vielen Asylgesuche ist Zarina Tadjibaeva beim Staatssekretariat für Migration im Dauereinsatz. Was sie täglich erlebt, verarbeitet sie in der Kunst.
Dolmetschen ist Präzisionsarbeit. Vor allem im Staatssekretariat für Migration (SEM), denn hier geht es manchmal um Leben oder Tod. Sprachliche Missverständnisse können im schlimmsten Fall dazu führen, dass Verfolgte keinen Schutz erhalten. Wer in der Schweiz ein Asylgesuch stellt und die hiesigen Sprachen nicht spricht, ist auf Übersetzerinnen und Übersetzer angewiesen. Das SEM hat fast 600 Dolmetschende unter Vertrag, etwas mehr als 300 sind durchschnittlich pro Monat im Einsatz.
Eine von ihnen ist die Zürcherin Zarina Tadjibaeva. Weil sie in Tadschikistan aufgewachsen ist, spricht sie fliessend Russisch und Persisch. Sprachen, die zurzeit häufig beim SEM benötigt werden, weil viele Geflüchtete aus diesen Sprachregionen stammen. Genauer, aus der Ukraine und aus Afghanistan, wo der persische Dialekt Dari gesprochen wird. Die Zahl der Flüchtlinge aus diesen beiden Ländern ist seit einigen Wochen besonders hoch.
Menschen und Vögel sind ähnlich
«Morgens Russisch, nachmittags Persisch», beschreibt Tadjibaeva ihren derzeitigen Berufsalltag. Sie arbeitet seit über 20 Jahren als Behörden- und Gerichtsdolmetscherin. Auf ihrem Profil steht der Kompetenzgrad «schwierig», was bedeutet, dass sie auch für komplexe Übersetzungen eingesetzt werden kann. Soeben ist sie von einem Einsatz in Basel zurückgekommen. Über ihre Fälle darf sie nicht reden. «Schweigepflicht», kommentiert die 47-Jährige.
Und weil sie dennoch etwas sagen will, macht sie Kunst.
«Die Kunst ist die Sprache der Sprachlosen», sagt sie. So hat Tadjibaeva ihren Alltag als Behörden- und Gerichtsdolmetscherin in Theaterstücken verarbeitet. In Zürich erhielt sie ihre Schauspiel- und Gesangsausbildung. In ihrem Programm «Zarina zeigt den Vogel» nimmt sie das Schweizer Asyl- und Flüchtlingswesen auf die Schippe und bringt fluchende Richter, skeptische Befrager und verunsicherte Gesuchstellende auf die Bühne. Niemand ist erkenntlich, und doch erkennen sich viele in ihren Figuren.
«Die Menschen haben immer gute und schlechte Eigenschaften, egal, ob sie Behördenvertreter, Flüchtlinge oder Anwälte sind.»
Da ist die esoterisch angehauchte Russin Olga, die es mit dem Übersetzen nicht sehr genau nimmt und überall ein «Business» wittert. Sie arbeitet nebenbei als Schlepperin, Eventmanagerin und Heilerin. Da ist die unsensible Befragerin, die sich am Leid der Asylsuchenden ergötzt. Oder Professor Doktor Doktor Azad, der iranische Besserwisser, dessen subtiler Rassismus sich in Kommentaren über Flüchtlinge aus arabischen Ländern zeigt. Alle Figuren sind vielschichtig, manchmal klischiert, manchmal überraschend.
«Die Menschen haben immer gute und schlechte Eigenschaften, egal, ob sie Behördenvertreter, Flüchtlinge oder Anwälte sind», sagt Tadjibaeva. Immer wieder vergleicht sie das soziale Verhalten der Menschen mit dem der Vögel: So bezeichnet sie die elegante Richterin als Schneeeule, den Angeklagten als plusternden Truthahn, den gut gekleideten Anwalt als Mandarinente. Gleichzeitig hinterfragt sie die behördlichen Befragungsmethoden, «weil sie immer von der Prämisse ausgehen, dass die Fluchtgründe anzuzweifeln sind». Komödiantisches vermischt sich mit der Kritik an Missständen. Eine Gratwanderung, die Tadjibaeva nicht fürchtet. Im Gegenteil, sie begeht sie tanzend und singend.
Bund bleibt gegenüber dem Iran passiv
Allerdings beschäftigt sie derzeit weniger die Kunst und ihre Dolmetschertätigkeit. Sondern die Situation im Iran. Seit mehr als zwei Monaten finden im ganzen Land Aufstände gegen das islamische Regime und gegen den Kopftuchzwang statt. Die Machthaber versuchen, die Proteste niederzuschlagen. Tadjibaeva holt ihr Telefon hervor und geht auf die Website des Aussendepartements (EDA). «Hier steht es», sagt sie. Das EDA unter Bundesrat Ignazio Cassis hat sich im Februar 2020 zum Ziel gemacht, sich im «für die Schweiz wichtigen Land Iran» für «Frieden und Menschenrechte» einzusetzen, und zwar bis 2023.
Sie schüttelt den Kopf: «Warum setzt sich der Bund solche Ziele, die er nicht einhalten will?» So hat die Schweiz die EU-Sanktionen gegen die islamische Republik aufgrund der schweren Menschenrechtsverletzungen nicht übernommen. «Wenn der Bund weiterhin passiv bleibt, muss er bald sehr viel mehr Dolmetscherinnen und Dolmetscher anstellen», sagt sie ironisch. Die Schweiz müsse alles daran setzen, dieses Blutbad zu stoppen. Tadjibaeva ist, wie sie sagt, nicht nur Behördendolmetscherin, die sich in ihrem Berufsalltag zur Neutralität verpflichtet. «Daneben bin ich Künstlerin, Iran-Liebhaberin, Schweizerin und Mensch – und als solche muss ich Stellung beziehen.»
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