Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Ukraine im Donbass unter Druck
Die Ukraine verliert im Osten massiv an Boden – «Die Front zerbröselt», sagt ein hochrangiger Offizier

In this photo taken from video released by the Russian Defense Ministry on Monday, Oct. 28, 2024, a Russian soldier fires from a howitzer toward Ukrainian position in the Russian - Ukrainian border area in ??the Kursk region, Russia. (Russian Defense Ministry Press Service photo via AP)
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk
In Kürze:
  • Pokrowsk in der Ostukraine wird immer massiver von Russland angegriffen.
  • Die strategisch wichtige Stadt könnte bald fallen.
  • Ukrainische Kommandanten zeigen sich zunehmend besorgt über den Kriegsverlauf.
  • Zugleich wird aus der Armee Kritik an der ukrainischen Militärführung laut.

Im Osten der Ukraine verlieren die Streitkräfte Kiews so schnell an Boden wie seit März 2022 nicht mehr. An einigen Tagen rücken die russischen Truppen dort im Moment bis zu fünf Kilometer vor. Allein im Oktober eroberten die Invasoren laut den Angaben des Institute for the Study of War etwa 480 Quadratkilometer. 2023 waren es insgesamt knapp 600 Quadratkilometer.

Ukrainische Kommandanten und Beobachter im Westen äussern sich zunehmend besorgt über den Verlauf des Krieges, meist jedoch im Geheimen. Mit Generalmajor Dmitro Martschenko hat ein hochrangiger ukrainischer Offizier seine Sicht jetzt öffentlich gemacht. In einem TV-Interview erklärte er, er verrate sicher kein Geheimnis, wenn er sage, «dass die Front zerbröselt». Man kann das von ihm gebrauchte Verb auch mit «zusammenbrechen» übersetzen.

Martschenko spricht dabei vor allem über die Region von Pokrowsk im Osten der Ukraine, wo die russischen Streitkräfte seit Wochen jeden Tag mit hoher Intensität angreifen. Ihr Ziel ist es, vor der kommenden Schlammperiode im Herbst, durch die offensive Operationen verlangsamt werden, noch so viele Gebiete wie möglich zu erobern. Dafür nimmt Moskau extreme Verluste in Kauf. (Lesen Sie hier die aktuellen Entwicklungen im News-Ticker.)

Die russischen Truppen sind schon vor Wochen bis auf wenige Kilometer an Pokrowsk herangerückt. Entlang eines 70 Kilometer langen Abschnitts südlich der Stadt sind ihnen jetzt mehrere kleine Durchbrüche gelungen, Selidowe, ehemals über 20’000 Einwohner gross, wurde erobert. Das nächste Zwischenziel ist die Stadt Kurachowe. Von Norden und Süden kommend, versuchen die Angreifer, den Ort einzuschliessen.

Die Gefahr, dass Pokrowsk Anfang 2025 fällt, steigt

Müssten sich die ukrainischen Truppen aus Kurachowe zurückziehen, verlören sie einen der letzten gut befestigten Stützpunkte in der Gegend. Westlich und nördlich liegen vor allem Felder. Der Weg aus dem Süden Richtung Pokrowsk wäre im Grunde frei. Die Stadt, die vor dem Krieg 60’000 Einwohner hatte, wird zwar in den kommenden Wochen nicht fallen.

An elderly woman walks past damaged as a result of shelling buildings, in Pokrovsk, the eastern Donetsk region, on October 15, 2024, amid the Russian invasion of Ukraine. (Photo by Roman PILIPEY / AFP)

Die Gefahr, dass das in der ersten Hälfte 2025 passiert, steigt dann aber. Und geht Pokrowsk verloren, hätte das grosse Auswirkungen auf den Kriegsverlauf. Die Stadt ist Teil der dritten und letzten gut ausgebauten Verteidigungslinie der Ukraine im Osten, ausserdem eines der wichtigsten Logistikzentren.

160’000 Mann sollen neu ins Militär nachrücken

Hauptgrund für die aktuellen Probleme der Ukraine, die keineswegs auf Pokrowsk beschränkt sind, ist der Mangel an Soldaten. Gerade wurde die Mobilisierung von 160’000 Mann in den kommenden drei Monaten angekündigt. Zurzeit ist eine Rotation aufgrund der Personallage kaum möglich. Und wenn doch neue Soldaten an die Front kommen, sind diese meist nicht gut genug ausgebildet.

Generalmajor Martschenko kritisiert die eigene Militärführung: Er verstehe nicht, wieso man in Kursk, auf russischem Gebiet, viele der «am besten vorbereiteten Brigaden» einsetze, während man im Osten Gebiete verliere. Ukrainische Truppen hatten im August Gebiete in der russischen Region besetzt. Teil des Plans war es, den Feind dazu zu zwingen, Truppen aus dem Osten dorthin zu verlegen. Das ist fehlgeschlagen. Die ukrainischen Verbände, die jetzt in Kursk langsam zurückgedrängt werden, fehlen im Osten.

600’000 Tote und Verwundete im russischen Militär

Ein vollständiger Kollaps der Front ist dennoch für den Moment nahezu ausgeschlossen. Chaos ist beim ukrainischen Rückzug in der Gegend von Pokrowsk nicht ausgebrochen. An den meisten anderen Stellen der Front hat Russland zwar die Initiative inne, Durchbrüche gelingen aber nicht. So betont der US-amerikanische Militärexperte Phillips P. O’Brien, dass Russland im Jahr 2024 nicht einmal ein Prozent der Ukraine erobern konnte – und das unter immens hohen Verlusten. Die Nato spricht von 600’000 Toten oder Verwundeten. Der ukrainische Geheimdienst geht von 57’000 gefallenen russischen Soldaten allein im Oktober aus. Die Zahl lässt sich nicht unabhängig überprüfen.

Doch selbst wenn es deutlich weniger sind, ist klar, dass Russland den Krieg in der aktuellen Intensität nicht unbegrenzt fortsetzen kann. Dafür spricht auch die Entscheidung, trotz grosser geopolitischer Risiken Soldaten aus Nordkorea zur Unterstützung nach Russland zu holen. Ausserdem werden den russischen Streitkräften in absehbarer Zeit die gepanzerten Fahrzeuge ausgehen, und das, obwohl Russland ein Drittel seines Haushalts für das Militär ausgibt. Die Material- und Personalprobleme auf russischer Seite werden allerdings frühestens Mitte 2025 auf dem Schlachtfeld sichtbar werden, möglicherweise erst 2026.

Ohne ausreichende Hilfe aus dem Westen und neue Rekruten besteht die Gefahr, dass die ukrainische Armee schon vorher so weit abgenützt ist, dass sie keinen effektiven Widerstand mehr leisten kann. Dann wäre das Überleben der Ukraine als souveräner Staat gefährdet.