Abstimmung am Samstag Grabenkämpfe statt Finanzhilfe: USA lassen Ukraine bangen
Die rechten Republikaner wollen Kiew Finanzhilfe verweigern. Das bedroht die Zukunft der Ukraine, aber auch diejenige des republikanischen Speakers Mike Johnson. Was das für das Votum heisst.
Der nächste Showdown auf dem Capitol Hill steht bevor: Es geht voraussichtlich um nicht weniger als um das Überleben der Ukraine. Da ist die nähere Zukunft von Mike Johnson von nachrangiger Bedeutung, auch wenn ihn das Drama womöglich den Job kostet. Seit sechs Monaten leitet Johnson als Speaker das US-Repräsentantenhaus, am Samstag will er endlich über die Ukraine-Hilfe abstimmen lassen. Das könnte eine seiner letzten Amtshandlungen sein.
Wenn es schlecht läuft für Mike Johnson, dann ist er nachher sein Amt los. Wenn es gut läuft für Kiew, dann bekommt der Republikaner den Entwurf endlich durch diese zerstrittene Kammer. 60 Milliarden Dollar soll die ukrainische Regierung bekommen, um ihr Land weiterhin gegen Wladimir Putins Truppen verteidigen zu können. Die Ukraine benötigt dringend Waffen und Munition, ihre Soldaten geraten zunehmend in die Defensive.
Selenski: Keine Chance ohne Hilfe der USA
Die Ukrainer warnen seit Monaten, dass es bald zu spät sein könnte. US-Präsident Joe Biden und seine Demokraten wollen längst mehr Material schicken, doch im Kongress sprach sein Kollege Wolodimir Selenski beim Besuch vor einigen Wochen vergeblich vor. Ohne die Unterstützung aus den USA habe man keine Chance, sagte er nun dem amerikanischen TV-Sender PBS. Russlands Artillerie könne zehnmal so viele Granaten abfeuern. «Können wir so etwas aushalten? Nein. Was auch immer wir tun, mit diesen Zahlen werden sie uns jeden Tag zurückdrängen.»
Da verdichten sich im Capitol auf existenzielle Weise amerikanische Geostrategie und amerikanische Grabenkämpfe. Republikanische Hardliner hatten zuletzt monatelang verhindert, dass das angegriffene Land in Osteuropa mit weiteren Rüstungsgütern «made in America» versorgt wurde. Auf Befehl ihres Präsidentschaftskandidaten Donald Trump boykottierten sie sogar einen Gesetzesentwurf, der Beistand für die Ukraine sowie Israel und Taiwan mit verschärften Regeln an der Südgrenze der USA verbindet.
Unerwünschte Migranten an der Grenze zu Mexiko sind Trumps grosses Wahlkampfthema, er spricht permanent von Invasion. Grob gesagt meint seine Riege, dass sich Amerika eher Einwanderer ohne Papiere vom Leib halten und ansonsten sparen sollte, statt sich in Kriege ferner Länder einzumischen. Die republikanische Basis ist generell überzeugt, der Staat verpulvere zu viel Geld, besonders für Fremde. Und so lehnte der rechte Parteiflügel den Kompromiss ab, für die eigene Grenze und Verbündete gleichzeitig zu sorgen.
Es ist unklar, ob Trump hinter Johnson steht
Diesmal versucht es Johnson auf andere Weise. Er will die Vorschläge mit einem Gesamtvolumen von 95 Milliarden Dollar getrennt zur Abstimmung bringen und riskiert dabei seine Position als faktische Nummer drei der Nation.
Die Mehrheit seiner Fraktion im Repräsentantenhaus wird immer dünner. Zuletzt hatten die Republikaner noch drei Sitze mehr als die Demokraten, in Kürze sind es nur noch zwei, da Mike Gallagher aus Wisconsin eigentlich an diesem Freitag aufhört und nicht so schnell ersetzt wird. Für das Hilfspaket werde er aber noch stimmen, gab sein Büro bekannt.
Ansonsten will Johnson Kritiker aus den eigenen Reihen damit locken, dass ein Teil der Summe für die Ukraine, 9,5 Milliarden Dollar, als Darlehen gezahlt werden soll, nicht als Zuschuss. Das verlangt offenbar sein Chef: Der Wortführer im Repräsentantenhaus hatte Trump kürzlich in dessen Hauptquartier Mar-a-Lago besucht und ihm sozusagen den Ring geküsst.
Seit dem Besuch gibt sich Johnson erstaunlich staatsmännisch und mutig. «Wir können hier keine Politik machen, wir müssen das Richtige tun», sagte er. «Mögen die Späne fallen, wie sie wollen – wenn ich aus Angst vor einem Räumungsantrag handeln würde, könnte ich meine Arbeit nicht machen.»
Das klingt, als halte Trump die Hand über ihn – aber so klar ist das nicht. Dennoch wird er angesichts republikanischer Widersacher für die Ukraine Stimmen der Demokraten brauchen – von den geplanten Zuwendungen für Israel dagegen wollen Linke weniger wissen als Rechte, trotz der iranischen Angriffe und Beiträgen auch für Zivilisten in Gaza. Beim Thema Taiwan dürfte sich Johnson leichtertun, ebenso beim Versuch, den Betreiber des Netzwerks Tiktok zum Verkauf jenseits Chinas zu zwingen oder es in den USA zu verbieten. Insgesamt stösst sein taktischer Vorstoss auf sehr geteilte Reaktionen.
Präsident Biden teilt mit, er sei «nachdrücklich» dafür, Israel, der Ukraine und den Palästinensern im Gazastreifen dringend benötigte Hilfe zukommen zu lassen und die Stabilität im Indopazifik zu stärken. Das Repräsentantenhaus müsse das Gesetz noch in dieser Woche verabschieden, «und der Senat sollte rasch folgen». Er werde dann sofort unterzeichnen, «um der Welt eine Botschaft zu übermitteln: Wir stehen zu unseren Freunden, und wir werden nicht zulassen, dass der Iran oder Russland Erfolg haben.»
Es sei die Zeit gekommen zu handeln, sagt auch Hakeem Jeffries, der demokratische Minderheitsführer im Repräsentantenhaus. Und zwar «entschieden zu handeln, in Amerikas nationalem Sicherheitsinteresse». Verteidiger der Waffenlieferungen an die Ukraine verweisen immer wieder darauf, dass dies der amerikanischen Rüstungsindustrie entgegenkomme.
Antrag zu Johnsons Abwahl angekündigt
Radikale Republikaner jedoch würden ihren Parteifreund am liebsten auflaufen lassen – dabei kommt er selbst keineswegs aus dem gemässigten Lager. Johnson vergebe «die letzte Chance, die wir haben, um die Grenzkrise zu bekämpfen», erklärte der «House Freedom Caucus», eine Gruppe weit rechts stehender Republikaner im Repräsentantenhaus, obwohl der House-Speaker im nächsten Schritt auch das Grenzgesetz verabschieden lassen möchte.
Die rechte Scharfmacherin Marjorie Taylor Greene hat schon angekündigt, dass sie Johnsons Abwahl beantragen will. Weitere unzufriedene Republikaner könnten folgen, wobei ungewiss ist, wie sich ihr Held, Donald Trump, verhalten wird. Johnsons Vorgänger Kevin McCarthy war im letzten Oktober gestürzt worden, nachdem er einen Budgetkompromiss mit den verhassten Demokraten verhandelt hatte. Das war für seine Gegner Hochverrat.
Bei der Rebellion gegen McCarthy machten die Demokraten mit. Wieso sollten sie einem Republikaner den Posten als Sprecher im Repräsentantenhaus bewahren? Nach 270 Tagen am Pult mit dem Holzhammer war für ihn Schluss. Sein vormals unbekannter Nachfolger Johnson hat noch keine 180 Tage hinter sich.
An diesem Samstag wird Mike Johnson aus Louisiana demokratische Helfer benötigen, um fürs Erste die Ukraine zu retten und im Falle eines Putschversuchs dann in Kürze vielleicht auch sich selbst.
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