Stellenabbau wegen KriseÜber 2500 Jobs weg – und der Abbau geht weiter
Fast täglich kündigen Unternehmen derzeit Entlassungen an. Die jüngste Hiobsbotschaft kommt von Liftbauer Schindler, der weltweit 2000 Arbeitsplätze, einsparen will.
Sehen wir jetzt die ersten Anzeichen für eine anschwellende Entlassungswelle? «Ja, davon müssen wir ausgehen», antwortet Edgar Spieler, Leiter Arbeitsmarkt im Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Zürich. «Ich rechne mit einem Anstieg von Massenentlassungen, aber auch von Entlassungen in geringerem Umfang.»
Tatsächlich ist die Liste von Unternehmen, die Beschäftigte auf die Strasse stellen wollen, zuletzt täglich länger geworden: mit SR Technics, Gate Gourmet, Sulzer und – als vorläufiger Höhepunkt – Schindler. Eine Übersicht über die in den letzten Tagen und Wochen bekannt gewordenen Stellenstreichungen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat, zeigt: Mindestens 2500 Jobs sind verloren.
Wie Schindler am Freitag bekannt gab, will der Lift- und Fahrtreppenkonzern die Zahl seiner weltweit Beschäftigten um rund 3 Prozent verringern. Vom Abbau betroffen sind in den nächsten zwei Jahren rund 2000 Stellen, davon entfällt jede zehnte auf die Schweiz.
Entschieden wird oft von fern
«Die nächsten zwei Jahre werden schwierig werden», sagt Schindler-Chef Thomas Oetterli dieser Zeitung. Er verweist dabei auf die Corona- und konjunkturbedingte Marktabschwächung, aber auch auf die Stärke des Frankens. «Wir mussten dieses Programm lancieren», so Oetterli, «um einen Teil dieser Einflüsse zu kompensieren und unsere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.»
Bei Manuel Wyss, stellvertretender Sektorleiter Industrie der Gewerkschaft Unia, stossen die personellen Einschnitte bei Schindler auf wenig Verständnis. «Dieser Konzern verfügt über die finanziellen Mittel, um auf Entlassungen zu verzichten», betont Wyss. Der Gewerkschafter legt noch einen drauf: Die Vermutung liege nicht fern, dass Schindler die Corono-Krise als Vorwand benutze, um auf Kosten der Beschäftigten die Gewinne zu optimieren.
«Einigen Grossunternehmen kommt Corona ganz gelegen, um Beschäftigte loszuwerden.»
Den gleichen Verdacht hegt auch Nico Fröhli, Zentralsekretär bei der Gewerkschaft Syna: «Die Grossunternehmen sind derzeit das Problem. Einigen von ihnen kommt Corona ganz gelegen, um Beschäftigte loszuwerden.» Neben Schindler nennt Fröhli noch Sulzer und den US-Konzern Honeywell mit seinen beiden Schweizer Töchtern Saia-Burgess in Murten FR und Life Safety Distribution in Hegnau ZH.
Bei Sulzer und Honeywell hat sich laut Fröhli gezeigt, dass die Stellenstreichungen hierzulande von Instanzen ausserhalb der Schweiz beschlossen wurden und damit unverrückbar sind. Diese Unternehmen seien an den Konsultationsverfahren, wie sie bei Massenentlassungen im Gesamtarbeitsvertrag vorgesehen sind, gar nicht mehr interessiert, so der Syna-Vertreter. «Sie wollen den beschlossenen Jobabbau möglichst rasch durchziehen.»
Gewerkschafter sehen schwarz
Weiteres Ungemach für die Beschäftigten droht. «Im Herbst erwarte ich eine Entlassungswelle», befürchtet Fröhli. Sein Unia-Kollege Wyss ergänzt: «In der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie dürfte noch einiges auf uns zukommen.» Hinweise auf künftige Stellenkürzungen erhalten die Gewerkschafter, wenn die betroffenen Unternehmen neue Konsultationsverfahren ankündigen. Solche Ankündigungen sind laut Fröhli bereits eingegangen.
Auch Jean-Philippe Kohl, Bereichsleiter Wirtschaftspolitik beim Industrieverband Swissmem, räumt ein, dass die «aktuelle Mischung» für die MEM-Unternehmen gefährlich sei. «Wegen der Corona-Krise ist der Export um 25 Prozent eingebrochen, und der Franken ist immer noch sehr stark bewertet», so Kohl. Entsprechend düster seien die Aussichten für viele Akteure. «Doch ob die grosse Entlassungswelle kommt, lässt sich noch nicht abschätzen», relativiert der Swissmem-Mann.
Von einem gemischten Bild spricht auch der Verband Swissmechanic, in dem die kleinen und mittleren MEM-Unternehmen organisiert sind. «Viele Betriebe sagen uns, dass sie wegen Corona Jobs streichen», berichtet Direktor Jürg Marti. Gleichzeitig laufe es derzeit bei zahlreichen Firmen trotz allem gut, und diese wollten Arbeitsplätze aufbauen.
Die Kurzarbeit solls richten
Eben weil die Unsicherheiten über die weitere Entwicklung der Wirtschaft und der Arbeitslosigkeit so gross seien, ist es laut dem Zürcher AWA-Vertreter Spieler «entscheidend für den Erhalt von Arbeitsplätzen, dass Unternehmen weiterhin möglichst unbürokratisch Kurzarbeit beantragen und abrechnen können».
Wie stark davon aktuell Gebrauch gemacht wird, kann das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) nicht sagen. Haben doch die Firmen drei Monate Zeit, um die Abrechnungen für Kurzarbeit einzureichen. «Momentan gehen wir davon aus, dass die Beanspruchung von Kurzarbeit im April den Höhepunkt hat», sagt Seco-Sprecherin Nadine Mathys. Danach dürfte es in verschiedenen Bereichen zu einem relativ raschen Rückgang gekommen sein.
Dass Kurzarbeit den Stellenabbau in den Unternehmen abfedern, aber nicht gänzlich vermeiden kann, zeigt etwa das Beispiel von Basel: Die dortige Arbeitslosigkeit ist von Februar bis Juni von 3,2 auf 4 Prozent gestiegen. «Wahrscheinlich wird es zu weiteren Entlassungen und gleichzeitig zu Einstellungsstopps seitens der Firmen kommen», warnt Allessandro Tani, stellvertretender AWA-Chef in Basel-Stadt.
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