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TV-Kritik «Tatort»
Blutige Sägen und «Miss Saigon» in Lichtenberg

Grauenhafte Folterspuren im sommerlichen Berlin: Ermittler Karow (l.) und Kommissarin Bonnard.
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Das Opfer ist der Täter, weil dessen Opfer zugestochen hat. Und das Opfer heisst Engler und hat einmal ein vietnamesisches Kind adoptiert, das dann einfach Müller hiess. Ist Ihnen auch so schwindlig? Eben.

Es braucht ab und an mal ein kurzes Resümee für einen selbst, um beim neuen Fall aus Berlin wirklich mitzukommen. Ganz grundsätzlich aber wird da gross angerichtet, mit starken Kontrasten in zeitweise herausragender Bildsprache.

Berlin zeigt sich im schönsten Sommerkleid, was in ziemlichem Widerspruch steht zu den grauenhaften Folterspuren, die Karow (Mark Waschke) und Bonnard (Corinna Harfouch) im Keller eines Einfamilienhauses der Vorstadt entdecken. Bereits da kontrastiert das Gebotene aufs Schärfste: Da ist Karows fast schon komödiantische «Method-Ermittlung», bei der er sich selber über den Teppich wälzt, um zu erspüren, was genau passiert sein könnte. Da tropft aber auch Blut von Sägen, ein Bunsenbrenner ist noch warm und riecht nach Fleisch, im Prinzip ist es schon hier zu viel. Die simple, von der Kamera grandios eingefangene Ästhetik einer Autowaschanlage spült dann alles so weit runter, dass es mit dem Fall weitergehen kann.

Kulturhäppchen als Abziehbild

Der Folterer wurde von einem seiner Opfer erstochen, einer jungen Frau aus der vietnamesischen Community. In diese Umgebung arbeitet sich Ermittler Karow weiter ein, teils mit ungeahnter Empathie, teils auch mit eher flapsigen Ideen wie der Besuch in der vietnamesischen Maniküre, wo er von Bundespolizistin Pham Thi Mai (Trang Le Hong) überrascht wird, die als Deutsch-Vietnamesin die Ermittlungen entscheidend voranbringt.

Trotz feinfühligen Arrangements und wiederholt wirklich herausragender Kamera (Moritz Anton) erscheint die südostasiatische Kultur in Berlin bisweilen wie ein Abziehbild: ein Mönch mit Kutte, ein Mahl mit Klebreis, tanzende Kinder mit Fächer. Das hat etwas Austauschbares – auch der Welterfolg «Miss Saigon» spielte in seiner französischen Ursprungsform in Japan.

Der Fall aber zieht trotz seiner Komplexität und teilweise in der Luft hängenden Nebenhandlungssträngen rein. Hintergründig werden alte Verbindungen zwischen der DDR und Nordvietnam beleuchtet; Ermittlerin Bonnard (Corinna Harfouch plant, nach sechs Folgen bereits wieder auszusteigen) offenbart zudem in ihrem zweiten Fall, dass sie einst Lehrerin war und zu Zeiten des Rechtsrucks im Deutschland der 80er-Jahre Polizistin wurde. 

Mal empathisch, mal flapsig: Karow (r.) in der vietnamesischen Maniküre.

Zwischen der schnellen Mai und dem kauzigen Karow gibt es auch mal griffige Dialoge: «Ich bin Ossi und muss auch mit den Wessis klarkommen», sagt Karow zum Konflikt zwischen Nord- und Südvietnamesen. Darauf sie: «Ich bin Next Gen und finde dualistische Weltbilder uncool.» Er: «Na, dann machen Sie doch einfach nondualistisch Ihren Job.»

Brillant übereinandergeschnitten sind die Szenen, in denen der Ermittler die Folter auf Video entdeckt, während die Wunden des Folteropfers gleichzeitig von einer vermeintlichen Tierärztin versorgt werden. «Das Böse ist immer noch ein bisschen böser, als man denkt», ist ein etwas abgedroschenes Fazit von Bonnard zum intensivsten Teil des Films, dem nur noch das optisch abermals sehr ansprechende Finale folgt (wie beklemmend kann es in einer Wäscherei werden!).