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Wahlkampf in Florida 
Trump und DeSantis beleben den schlummernden Rassismus 

Noch rechter als Trump: Floridas Gouverneur Ron DeSantis präsentiert stolz das eben von ihm unterzeichnete «Stop Woke»-Gesetz.
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Noch bevor er wirklich begonnen hat, ist der Wahlkampf der US-Republikaner unter der Gürtellinie angelangt. Beim Schokopudding.

«Ron DeSantis liebt es, seine Finger dort hinzustecken, wo sie nicht hingehören», sagt eine verschwörerische Stimme im jüngsten Werbespot aus dem Lager von Donald Trump, während drei Männerfinger dorthin wandern, wo sie nicht hingehören: zuerst in einen Schokopudding, danach in einen Männermund.

Es ist ein Videoclip, den nicht nur der Gouverneur von Florida sogleich wieder vergessen möchte. Er, der Politiker mit dem sorgsam gepflegten Saubermann-Image, soll mit blossen Fingern Schokopudding in seinen gierigen Schlund geschaufelt haben. Der Sündenfall trug sich laut Mitarbeitern 2019 zu, im Flugzeug von Tallahassee nach Washington, und wenn er nicht wahr ist, ist er zumindest gut erfunden. So würden sie in Italien sagen, wo DeSantis’ Vorfahren herkamen.

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Über den Symbolgehalt der Kombination aus braunem Pudding, nackten Männerfingern und der Rivalität zweier homophober Macho-Republikaner liessen sich Bände verfassen. Es reicht, hier zu wissen, dass die dreckigen Finger des Gouverneurs von Florida die jüngste Episode einer Schmutzkampagne sind, die Donald Trump gegen seinen aussichtsreichsten Widersacher führt.

Noch hat DeSantis gar nicht angekündigt, zu kandidieren. Doch bereitet er sich offensichtlich darauf vor, vorsichtig stichelt auch er gegen Trump. Als dieser in New York dem Richter vorgeführt wurde, bemerkte DeSantis vielsagend, mit Schweigegeldern an Pornodarstellerinnen kenne er sich nicht aus.

Trump liegt vorne

Der Schuss ging nach hinten los. Trump hat seither in den Umfragen um 3 Prozentpunkte zugelegt und geniesst nun fast doppelt so viel Rückhalt wie DeSantis, dessen Werte schwächeln. Als der Gouverneur republikanische Parlamentarier aus Florida traf und ihre Unterstützung suchte, verliessen fünf von ihnen den Anlass, um sich öffentlich hinter Trump zu stellen – das politische Pendant zu einem Beinahe-K.o.

Der Wettlauf der zwei starken Männer aus Florida beherrscht gerade die nationalen Schlagzeilen. Für Afroamerikaner in ihrer Heimat hingegen ist einerlei, wer gewinnt. Gutes haben sie von keinem der beiden zu erwarten. Vier Jahre unter Präsident Trump haben das politische Klima in den USA beschädigt, besonders aber in Florida, wo seit vier Jahren Gouverneur DeSantis regiert. Im vergangenen Jahr wurde er mit Rekordwerten wiedergewählt.

Beide sammeln im rechten Lager Punkte, indem sie auf Minderheiten herumhacken, beide versuchen einander zu übertrumpfen mit Angriffen auf die angeblich «woke» Ideologie Andersdenkender. Transmenschen, Schwule und Lesben etwa drangsalierte DeSantis derart, dass ihn der sonst apolitische Disney-Konzern verklagt hat. Angelegt hat sich der Gouverneur auch mit den Afroamerikanern in Florida, mit 15 Prozent der Bevölkerung eine grosse Minderheit.

Besonders gut zu spüren sind die Folgen in der Kleinstadt Ocala in Zentralflorida, idyllisch gelegen zwischen gepflegten Pferdeweiden und wucherndem Urwald. In Mimi’s Cafe am Stadtrand schiebt sich Whitfield Jenkins nachdenklich ein Stück Spiegelei und Speck in den Mund, mit der Gabel, und sagt: «Plötzlich scheinen alle von diesem Virus angesteckt.»

Whitfield Jenkins vor einem Wandbild mit Vorkämpfern der Bürgerrechte am Rand eines Baseballfelds. In der Zeit der Rassentrennung durfte er diesen Ort nicht betreten.

Der 82-Jährige meint nicht Corona, sondern eine uralte Seuche, die er als Präsident der Bürgerrechtsorganisation NAACP ausrotten wollte: den Rassismus. Erstmals erahnte er dessen Wiederaufflammen, als er die Leute aus seiner Stadt in freudiger Erregung sah, weil Donald Trump 2016 und 2020 in Ocala haltmachte. Jenkins fühlt sich seither zunehmend an seine Jugend erinnert, in der er den Baseballplatz nicht betreten durfte, auf dem die weissen Stars der Red Sox ihr Frühlingstraining absolvierten. Auch die guten Restaurants, Spitäler, Parks und Schulen waren den Weissen vorbehalten. 

Der Rassismus schlummert weiter

Nachdem das Oberste Gericht 1954 die Rassentrennung in Schulen als verfassungswidrig untersagt hatte, liess sich Florida mehr als 10 Jahre Zeit mit der Umstellung. Dass die damaligen Umwälzungen auch 70 Jahre später noch nicht verdaut sind, hat Ron DeSantis gespürt. Er belebte den schlummernden Rassismus wieder, indem er eine plumpe Kontroverse lostrat: Er untersagte in Florida einen neuen Schulkurs in afroamerikanischer Geschichte. In dem Kurs für Fortgeschrittene werde nicht Wissenschaft gelehrt, sondern Aktivismus, bemängelte DeSantis – weil auf der Literaturliste Bücher von homo- und transsexuellen schwarzen Autoren standen.

«Wir glauben an Bildung, nicht an Indoktrinierung», sagte der Gouverneur. Er schien das ernst zu meinen, obwohl er eben erst Gesetze unterschrieben hatte, mit denen er Dutzende Bücher aus den Schulen verbannte. Mit denen er verbot, im Unterricht über die sexuelle Orientierung zu reden. Oder ein Schulkind mit Wissen zu behelligen, das «negative Gefühle» verursachen könnte. Zum Beispiel der Fakt, dass in den USA Weisse über Jahrhunderte Sklaven hielten, die allermeisten von ihnen dunkler Hautfarbe.

Kaum afroamerikanische Geschichte im Lehrplan

An Floridas Schulen werde bereits alles Nötige an afroamerikanischer Geschichte gelehrt, behauptet DeSantis. Allerdings unterrichten nur 13 von 68 Schuldistrikten nach den gesetzlichen Vorgaben, obwohl diese schon seit 30 Jahren in Kraft sind. Auch in Ocala war vorgesehen, den Lehrplan zu überarbeiten. Whitfield Jenkins war Mitglied der Arbeitsgruppe, die allerdings nun stillgelegt ist. Weil sich die Schulleitung politisch nicht exponieren will, ist sich Jenkins sicher. «Die Regierung von Florida hat sehr deutlich gemacht, dass sie nicht goutiert, dass unsere Geschichte gelehrt wird», sagt er. 

Die Cousins der Familie Sweet erleben den Rassismus im Alltag. Von links: Ka’nyeshia Sweet, Jamaurin Brown, Heaven Poole, Kevin Robinson.

Drei Teenager erzählen in einem Park, was die Kontroverse um die Geschichte ihrer Gemeinschaft für sie bedeutet. «In der Schule erzählen sie uns immer nur die gleichen zwei, drei Episoden», sagt Kah‘nyeshia Sweet. Rosa Parks, die sich 1955 weigerte, ihren Sitzplatz im Bus für einen weissen Fahrgast aufzugeben. Harriet Tubman, entflohene Sklavin und spätere Aktivisten. Martin Luther King, Bürgerrechtspastor, ermordet 1968. Diese Geschichten kenne sie längst aus ihrer Familie, sagt die 16-jährige Schülerin. Doch sie wolle mehr wissen über die Menschen, «die so aussehen wie ich». Anders eben als die grosse Mehrheit der Schülerinnen und Schüler in Ocala.

Rassistische Beschimpfung wird nicht entfernt

«Weisse und schwarze Kinder verstehen sich nicht gut an meiner Schule», sagt Kah’nyeshia Sweet. Ihr 18-jähriger Cousin Jamaurin Brown nennt das Beispiel des Chors, in dem niemand mit ihm, dem einzigen Schwarzen, redet. Oder mit dem N-Wort, das an einer Wand im WC seiner Schule prangt. Seit Monaten. Alle paar Wochen würden die WCs frisch gestrichen. Nur das eine nicht, das mit dem Schimpfwort für Dunkelhäutige.

Heaven Poole, mit 14 Jahren die jüngste der Cousins, erzählt, sie werde in der Schule als «Affe» beschimpft. Die drei sehen einen direkten Zusammenhang zwischen dem Mangel an Unterricht über afroamerikanische Geschichte und solchem Alltagsrassismus. «Sie mögen uns nicht, weil sie so aufgewachsen sind, weil sie uns nicht kennen, nicht verstehen», sagt Kah’nyeshia Sweet.

Lokalhistorikerin Cynthia Wilson-Graham vermutet hinter DeSantis’ Angriff auf den afroamerikanischen Geschichtsunterricht nicht nur ein Wahlkampfmanöver, sondern einen Plan. «Sie verboten uns früher, zu lesen und zu schreiben», sagt sie. Weisse verhinderten, dass Sklaven und ihre Nachfahren rechnen lernten. «Sie konnten sich an uns bereichern, weil wir nicht das Wissen besassen, um uns zu wehren», sagt Wilson-Graham.

Afroamerikaner wurden verdrängt

Im Stadtzentrum von Ocala zeigt die Herausgeberin eines Fotobands über die Ortsgeschichte mit dem Finger auf einen Beleg um den anderen. An der South Magnolia Avenue stand die erste afroamerikanische Bank in Florida, gleich gegenüber das Terrace Hotel, daneben ein Theater, ebenso an der Broadway Street: Das ganze Zentrum gehörte im 19. Jahrhundert den Afroamerikanern. Dann kamen die Weissen, angelockt von billigem Land und günstigen Krediten von Regierung und Banken. Sie verdrängten die Afroamerikaner, erhoben Liegenschaftssteuern, die Schwarze nicht bezahlen konnten. Wenn das nicht reichte, halfen sie mit roher Gewalt nach.

Nur ein altes Waschbecken erinnert in einem vollgestopften Antiquitätengeschäft im Zentrum von Ocala daran, dass das Gebäude einst ein afroamerikanisches Hotel war. Die Fotografin und Autorin Cynthia Wilson-Graham hat die Geschichte des Ortes dokumentiert.

Heute ist noch ein einziges Gebäude in Downtown Ocala in afroamerikanischer Hand, wie Wilson-Grahams Recherchen ergeben haben.

Systematisch diskriminiert

Die schwarze Geschichte der Stadt geht vergessen, die meisten Dunkelhäutigen leben heute in einem ärmlichen Quartier im Westen, abgeschnitten vom Zentrum durch eine Autobahn. Jahrzehntelang kassierte die Stadtregierung zwar Steuern ein, verweigerte aber jegliche Investitionen, bis Whitfield Jenkins sie mit einer Gerichtsklage dazu zwang. Noch heute haben die Strassen im «Ghetto», wie es die Afroamerikaner selbst nennen, keine Trottoirs.

Noch heute ist das Durchschnittseinkommen afroamerikanischer Haushalte in Florida ein Drittel tiefer als das weisser Haushalte. Politiker wie Donald Trump und Ron DeSantis tragen mit Videos über Schokopuddings und Angriffen auf Schwarze nicht dazu bei, dass der Unterschied abnimmt.