Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Trash-Talk im Eishockey
Wie verhöhnt man seinen Gegner politisch korrekt?

Berns Thomas Ruefenacht, links, streitet sich mit Luganos Maxim Lapierre im dritten Eishockey Playoff-Halbfinalspiel der National League A zwischen dem SC Bern und dem HC Lugano am Samstag, 25. Maerz 2017, in der PostFinance Arena in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Als er das Telefon abnimmt, sagt er zuerst: «Sie wissen schon, dass ich zurückgetreten bin?» Selbstverständlich. Aber geht es um das Thema Trash-Talk, kommt man kaum um Thomas Rüfenacht herum. Der langjährige SCB-Stürmer war so etwas wie der Hohepriester der Provokation. Ging es hoch zu und her, war Rüfenacht selten weit weg.

Mit dem Auftakt zu den Playoff-Viertelfinals hat die heisse Phase im Schweizer Eishockey begonnen. Druck und Nervosität steigen bei den Protagonisten. Es gilt, sich in einer Serie einen Vorteil zu verschaffen – spielerisch, aber auch psychologisch. Und hier kommt der Trash-Talk ins Spiel, die verbalen Sticheleien, um einen Gegner herauszufordern und im besten Fall aus der Fassung zu bringen. Dass es dabei nicht immer zu- und hergeht wie im Kirchenchor, versteht sich von selbst.

Doch nun stellt sich die Frage: Wer soll in den nächsten Wochen dafür sorgen? Jene, die Provokationen gezielt einsetzen, sind rar geworden. Das hat nicht zuletzt mit dem gesellschaftlichen Wandel zu tun.

«Du musst aufpassen, was du sagst»

Vor rund 20 Jahren begann das TV, die Strafbänke mit Mikrofonen auszurüsten, später wurden auch die Schiedsrichter verkabelt. Dadurch konnten Herr und Frau Schweizer hören, was sich die Spieler so alles an den Kopf werfen. Als im Playoff 2005 HCD-Legende Reto von Arx dem Berner Stürmer Ivo Rüthemann den Kauf von gleichgeschlechtlicher Liebe nahelegte, sorgte das nur kurz für Aufregung.

Man stelle sich vor, heutzutage würde sich ein Spieler eine solche Entgleisung leisten. Es zöge nicht nur Konsequenzen in Form einer Sperre nach sich, er würde auch öffentlich an den Pranger gestellt. ZSC-Coach Marc Crawford kann davon ein Liedchen singen. Nachdem er vor Jahresfrist die Schiedsrichter als «Cocksucker» beschimpft hatte, wurde er dafür richtigerweise hart kritisiert und musste sich entschuldigen.

«Homophobe und rassistische Äusserungen gehen einfach nicht», sagt Rüfenacht. Da werden ihm alle beipflichten. Er musste sich einst entschuldigen, nachdem er nach einem hitzigen Spiel von Luganos «behinderten Viertlinien-Spielern» gesprochen hatte. Wobei er betont, es sei nie darum gegangen, jemanden in seiner persönlichen Integrität zu verletzen.

Das Eis ist für Provokateure generell dünn geworden. «Du musst aufpassen, was du sagst», hält Julian Schmutz fest. «Es ist noch nicht so schlimm wie bei den Fussballern, die sich wegen der Kameras die Hände vor den Mund halten. Aber wir sind vorsichtiger geworden.» Wie der Langnauer Stürmer gehört Klotens Marc Marchon zu jenen Spielern, die nach wie vor gerne verbal austeilen. Doch auch er hat sich angepasst. «Früher konnte man seinem Gegenüber auch mal den Mittelfinger zeigen. Jetzt, da es überall Kameras gibt, muss man aufpassen.»

Linienrichter Aurelien Urfer trennt EHC Kloten Stuermer Marc Marchon (#8) und SC Rapperswil-Jona Lakers Verteidiger Fabian Maier (#11) waehrend dem Eishockey-Meisterschaftsspiel der National League zwischen den Teams EHC Kloten und SC Rapperswil-Jona Lakers am Donnerstag, 29. Februar 2024, in Kloten. (KEYSTONE/Patrick B. Kraemer)

Letztlich sei der Sport ein Spiegelbild der Gesellschaft, hält Timo Helbling fest, der bis zu seinem Rücktritt 2019 auf Schweizer Eis zu den gefürchtetsten Haudegen gehörte. «Manche Dinge kannst du nicht mehr sagen, das ist absolut in Ordnung so.» Allerdings stellt Helbling fest, dass sich viele Spieler generell nicht mehr exponieren wollen. Die «Instagramisierung» der Gesellschaft – alles ist konform, niemand will anecken – macht eben auch vor dem Eisfeld nicht halt. «Hinzu kommt, dass es Mut braucht, eine grosse Klappe zu haben. Denn dann musst du auch liefern», sagt Helbling.

Die Rolle der sozialen Medien ist nicht zu unterschätzen: Die Angst, bei einer unbedarften Aussage oder Geste in einen Shitstorm zu geraten, ist bei den Spielern vorhanden. Und wer will sich das – Raubein hin oder her – schon antun?

Die Finnen schweigen lieber

Ein anderer Aspekt ist die Veränderung im Eishockey generell, die dem Trash-Talk in den letzten Jahren den Nährboden entzogen hat. Die Sportart ist viel schneller geworden, die Technik hat im Vergleich zur Physis mehr Gewicht. Das zeigt sich in der NHL, in der es kaum mehr «Goons» gibt, die primär den Gegner einschüchtern. Und das wirkt sich auf die aktuelle Spielergeneration aus. «Heute schwärmen Junioren für Connor McDavid und Konsorten, sie sind fixiert auf deren Skills», sagt Rüfenacht. «Richtig harte Flügelstürmer sind nicht mehr so im Trend.»

Hinzu kommt, dass immer weniger Nordamerikaner in der National League spielen. Kanadier und Amerikaner haben den Trash-Talk in den 1980er- und 1990er-Jahren in die Schweiz importiert, weil er ein fixer Bestandteil ihrer Sportkultur ist. Spieler wie Todd Elik, Maxim Lapierre, Yves Sarault, Josh Holden und Claude Lemieux waren für ihre Mätzchen berüchtigt. Unter der Ägide von Chris McSorley stand mit Servette ein ganzer Club dafür. Einschüchterung – physisch wie verbal – gehörte zur Philosophie der Genfer. Als sie im letzten Jahr unter Jan Cadieux zum ersten Meistertitel stürmten, spielte diese kaum mehr eine Rolle.

Womit wir beim nächsten Punkt wären: Servette triumphierte nicht zuletzt dank seiner überragenden Finnen. Die Nordländer stellen die grösste Diaspora in der National League. «Und die kannst du viel weniger reizen», sagt Schmutz. Helbling, der einst in der finnischen Liga spielte, stützt diese These mit einem Augenzwinkern: «Die Finnen reden in der eigenen Garderobe kaum ein Wort, wie sollen sie dann mit dem Gegner sprechen?»

Wie geht politisch korrekter Trash-Talk?

Der eine oder andere Eishockey-Fan wird sich mit Wehmut an die legendären Playoff-Serien zwischen dem SCB und Lugano erinnern, als sich die Teams 2016 und 2017 so richtig unter die Haut gingen und neben Worten auch Fäuste flogen.

Dass sich solche Szenen in den nächsten Wochen im Playoff abspielen werden? Eher unwahrscheinlich. Oder zumindest nicht sofort. Denn: Wenn eine Serie auf der Kippe steht, entscheidet jedes Detail. Rüfenacht, dreifacher Schweizer Meister mit dem SCB, sagt: «Um im Playoff über dein Limit gehen zu können, musst du einen Gegenspieler hassen können. Aber es ist eine Gratwanderung, weil du dich unter Kontrolle halten musst.» So, wie er es damals bei Lapierre tat und diesen selbst dann noch angrinste, als er von ihm mit mehreren Hieben traktiert wurde. Der Kanadier musste auf die Strafbank, Rüfenacht nicht – Ziel erreicht.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

«Du spielst bis zu siebenmal gegeneinander, oft stehst du gegen dieselbe Linie auf dem Eis. Da geht es auch darum, den Gegner mental zu zermürben, damit dieser irgendwann denkt: ‹Nein, nicht der schon wieder›», sagt Helbling. Ihm habe der Trash-Talk im Playoff jeweils geholfen, weil er sich dadurch Selbstvertrauen geholt habe – und dieses im besten Fall dem Gegner entzog.

Stellt sich bloss die Frage: Kann man politisch korrekt trashtalken? Durchaus, finden Schmutz und Marchon. «Du kannst einen Gegenspieler für eine schlechte Szene auslachen, beleidigen und nerven», sagt Ersterer. In jedem Team gebe es Spieler, die man piesacken könne, hält Marchon fest. Und natürlich werden die Besten ganz besonders in den Fokus genommen. «Hat man über einen Spieler ein Geheimnis herausgefunden, wird versucht, ihn mit dummen Sprüchen aus dem Konzept zu bringen, ihn zu einer blöden Aktion oder zu einer dummen Strafe zu verleiten.»

Die Kunst des Trash-Talks sei eben gerade, nicht unter die Gürtellinie zu gehen, sagt Helbling. Einem Gegner zu sagen, dass ihn nicht einmal seine Mitspieler mögen würden, reiche oftmals schon aus. Und sowieso gibt es so etwas wie einen Kodex unter den Spielern. Die Familie ist tabu, weil man trotz allem Respekt voreinander hat. Überschreitet einer diese Grenze, wird er es zu spüren bekommen.