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Thomas Rüfenacht im Interview
«So viel Pech kann man gar nicht haben, ich war am Ende»

Portrait für ein Podcast vom ehemaligen SCB-Spieler Thomas Rüfenacht, am 29.09.2023 in Bern. © Christian PfanderAG
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Dieses Grinsen, es ist zu seinem Markenzeichen geworden. Allein damit hat Thomas Rüfenacht (38) unzählige Gegner auf die Palme gebracht. Aufgewachsen in den USA, kam er erst mit 18 in die Schweiz. Auf ihn wartete niemand, aber er biss sich durch: Seine grösste Zeit hatte der 637-fache NL-Spieler mit dem SCB, mit dem er dreimal Meister wurde. Nach seinem Rücktritt hat der Vater von drei Kindern nun ein Praktikum als Berater und Agent begonnen.

Eigentlich wollten wir Sie schon vor einem Jahr treffen. Damals waren Sie nach dem Vertragsende beim SCB auf Vereinssuche und nicht bereit für ein Gespräch. Was hat sich nun verändert?

Ich hatte vor Ihrer Anfrage damals viel darüber gesprochen, wie ich mich fühlte und wie es weitergehen könnte. Dann sagte ich mir: Jetzt reicht es, halt deinen Mund und arbeite. Ich investierte sehr viel, und es reichte in der vergangenen Saison immerhin noch für acht Spiele mit Ambri. Ich bin stolz darauf, wie es herausgekommen ist.

Beinahe hätte es kein Happy End gegeben, weil Sie sich den Kiefer brachen.

An einem Freitag Ende Januar absolvierten wir noch ein Training, danach hätte ich den Vertrag bei Ambri unterschreiben sollen. Im letzten Einsatz stürzte mein Mitspieler Dominic Zwerger und traf mich mit seinem Schlittschuh im Gesicht. Mein Mund füllte sich mit Blut, ich dachte, ich hätte eine ganze Reihe Zähne ausgeschlagen. Eine Untersuchung zeigte dann, dass der Kiefer gebrochen war. So viel Pech kann man gar nicht haben. Ich war am Ende.

Was haben Sie dann gemacht?

Ich sollte im Hotel in Ambri bleiben. Aber ich nahm den Zug Richtung Bern. Schon am Sonntag operierte mir ein Spezialist den Kiefer, der mit zwei Platten fixiert wurde. Zwei Wochen später konnte ich spielen.

Ohne Probleme?

Die Zähne wackelten ein bisschen, der Kopf tat auch noch ein wenig weh. Aber ich wollte mir das nicht nehmen lassen, nicht nach dem, was ich alles auf mich genommen hatte.

Auf dem Weg zum Comeback haben Sie gar mit Mirchel und Worb trainiert – Teams aus der 2. und der 4. Liga. Wie muss man sich das vorstellen?

Es war super! Zuvor hatte ich mit Olten trainiert, aber ich wollte das Team nicht mehr stören, als die Meisterschaft startete. Zumal mein Knie nach einer weiteren Operation noch nicht ganz bereit war. Also schrieb ich dem Präsidenten von Worb, ob ich mittrainieren könne. Ich wurde megagut aufgenommen.

Aber diese Spieler waren doch weit von Ihrem Niveau entfernt?

Worb hatte manchmal nur zehn Spieler im Training, du warst also immer dran. Und du entscheidest selbst, wie hart du trainieren willst. Zudem habe ich jeweils am Morgen ein Kraft- oder Intervalltraining für mich gemacht.

Wollten diese Spieler Sie nicht ein wenig aus der Reserve locken?

Ein paar haben mich schon gecheckt, um zu schauen, was passiert. Aber das war lustig. Ich war ja nicht dort, um etwas zu beweisen, sondern einfach um zu trainieren und eine gute Zeit zu haben.

«Wenn ich sah, dass einer einen Fehler macht und ich besser war, dann habe ich ihn das wissen lassen.»

Apropos jemanden aus der Reserve locken – darin waren Sie ja ein Meister. Wie wird man so ein Provokateur?

(lacht) Ich spreche auf dem Eis Englisch, das regt viele bereits auf. Und die Leute haben meinen Willen unterschätzt und wie weit ich es damit geschafft habe. Wenn ich sah, dass einer einen Fehler machte und ich besser war, dann habe ich ihn das wissen lassen. Damit ging ich den Gegnern unter die Haut.

Das begann schon früh. Im US-Juniorenhockey haben Sie einmal versucht, dem späteren Superstar Sidney Crosby die Kette vom Hals zu reissen…

… Er war zwei Jahre jünger als ich und spielte bei unserem grössten Rivalen. Erinnern Sie sich noch an diese Halskettchen aus Muscheln, die damals in Mode waren?

Ja, klar.

Er trug so eines während des Spiels. Also habe ich etwas versucht. Das führte dann sogar zu einem Wortgefecht über den AOL-Instantmessenger zwischen uns.

Was ist die Kunst des Provozierens?

Wenn der Gegner meint, dass du bald durchdrehst, kannst du ihn in etwas hineinziehen, aber du musst dabei ruhig bleiben. Und weil wir in Bern eine sehr gute Mannschaft hatten, war es einfacher, die Gegenspieler zu reizen. Wenn du gefrustet bist, regst du dich eher auf.

Wussten Sie bei jedem Team, wer leicht reizbar ist?

Ja, sicher. Diesbezüglich hatte ich ein Elefantenhirn. Du triffst immer wieder auf dieselben Teams, kennst einige Spieler und weisst, was sie stört. Gewisse Dinge kumulieren sich, gerade in den Playoffs.

Mit Luganos Raubein Maxim Lapierre verband Sie schon fast eine Liebesbeziehung. Legendär ist die Szene aus dem Halbfinal 2017, als er Sie dreimal ins Gesicht boxte und Sie nur lächelten. Wie war das?

Wir führten in diesem Spiel 4:1, für mich war es einfach. Wäre es umgekehrt gewesen, wäre vielleicht ich durchgedreht. Natürlich spürte ich die Schläge. Aber: Lapierre spielte in der NHL, er kennt die ungeschriebenen Gesetze. Er wollte mich provozieren, damit ich die Handschuhe fallen lasse, dabei schlug er nicht voll zu. Das zeugt von Respekt.

Berns Thomas Ruefenacht, links, streitet sich mit Luganos Maxim Lapierre im dritten Eishockey Playoff-Halbfinalspiel der National League A zwischen dem SC Bern und dem HC Lugano am Samstag, 25. Maerz 2017, in der PostFinance Arena in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)

Haben Sie danach je einmal mit ihm gesprochen?

Nein, nie. Aber wir ticken ähnlich. Solche Spieler hast du in jeder Mannschaft. Und dann lernst du die kennen und merkst: Das sind ganz lustige Typen, die einfach alles für ihr Team geben wollen. Vieles, was auf dem Eis passiert, darfst du nicht persönlich nehmen.

2009 mit Lausanne prügelten Sie sich im alles entscheidenden Spiel der Ligaqualifikation vor dem ersten Bully mit Biels Topskorer Thomas Nüssli. So etwas hatte man in der Schweiz noch nicht gesehen. Wie kamen Sie darauf?

Ich versuchte ihn schon in Spiel 6 zu provozieren, da reagierte er nicht – aber wir gewannen. Also tat ich das nochmals. Und ich behaupte: Auch die Bieler hatten eine solche Aktion geplant, Kevin Schläpfer (der damalige Trainer, die Red.) bestätigte das einmal. Nur sollte Nüssli seine Handschuhe nicht fallen lassen. Aber ich habe ihn so lange bearbeitet, bis er es doch tat. Da wusste ich: Du kannst nicht bloss eine grosse Klappe haben, nun musst du auch hinstehen. Lieber eine solche Aktion, als diese ganzen hinterhältigen Checks von hinten und gegen den Kopf.

«Ich habe 20’000 Franken pro Jahr verdient, wohnte in einer WG. Das passte für mich. Aber ich merkte auch: So kannst du keine Karriere machen.»

Was bei all dem manchmal vergessen geht: Sie wurden dreimal Meister, 2017 zudem zum Playoff-MVP gewählt und spielten für die Nationalmannschaft.

Ja, und das hat die Leute auch ein bisschen aufgeregt, weil ich aus dem Nichts kam. Plötzlich stand ich anderen vor der Nase, und niemand konnte mich mehr von diesem Podest herunterholen. Bei Lugano kam ich der Skorer-Rolle näher, beim SCB wuchs ich trotz eines ersten harten Jahres unter Guy Boucher noch stärker in diese hinein. Ich hatte immer das Gefühl, gejagt zu werden, deshalb habe ich nie lockergelassen.

Dabei geriet die Karriere ins Stocken, ehe sie überhaupt Fahrt aufgenommen hatte. Mit 20 wurden Sie von Visp zum EHC Saastal in die 1. Liga abgeschoben – worauf Ihre Eltern ein Machtwort sprachen.

Sie gaben mir noch ein Jahr. Wäre es in dieser Zeit nicht vorwärtsgegangen, wäre ich in die USA zurückgekehrt und hätte ein Studium begonnen. Ich habe 20’000 Franken pro Jahr verdient, wohnte in einer WG. Das passte für mich. Aber ich merkte auch: So kannst du keine Karriere machen. Und weil ich noch keine Ausbildung hatte, intervenierten meine Eltern.

Ihr Weg hat Sie durch die ganze Schweiz geführt. Aber in Bern waren Sie am Ort Ihrer Bestimmung angelangt. Einverstanden?

Die DNA dieses Clubs hat mich immer fasziniert. Da ist zum einen die Leidenschaft der Fans. Und der SCB hatte zwar nicht immer die talentiertesten Spieler, aber diese spielten hart und miteinander. So wurde mir beigebracht, Eishockey zu spielen. Ich bin sehr froh, durfte ich für diesen Club spielen, in Bern fühlte ich mich richtig zu Hause.

Eishockey NLA, Zug - SC Bern SCB - EV Zug: In der Public Viewing Zone in der Postfinance Arena: Thomas Rüfenacht verspritzt Champagner. © Andreas Blatter

Sie wären gern geblieben. Von Ihrem Abgang haben Sie 2022 in einer Medienmitteilung erfahren. Das muss hart gewesen sein.

Ja, das war es. Logisch war es mit meiner Knie-Geschichte (Meniskus- und Knorpelschaden, die Red.) absehbar, dass ich keinen neuen Vertrag erhalten würde. Aber ich wollte meine Karriere unbedingt in Bern beenden. Ich spürte, dass ich noch etwas im Tank habe. Und ich denke, das habe ich in Ambri bewiesen. Das war nicht mehr in einer Toplinie, aber ich hätte auch dem SCB in einer anderen Rolle helfen können. Nur haben entsprechende Gespräche nicht stattgefunden, das hat sehr wehgetan. Ich hätte mir einen anderen Abgang gewünscht.

Es ist kein Geheimnis, dass Sie gern SCB-Sportchef geworden wären. Letztlich fiel die Wahl auf Andrew Ebbett, einen Freund aus Spielerzeiten. Wie war das für Sie?

Auch das war hart. Aufgrund der Rückmeldungen der Ärzte dachte ich nach der ersten Knieoperation 2021, dass ich nicht aufs Eis zurückkehren kann. Ich konnte nicht einmal meinem damals zweijährigen Sohn hinterherrennen. Dann wurde dieser Sportchef-Posten frei, dieser Job wirkte wie ein Leuchtturm auf mich. Aber manchmal musst du lernen, dass es anders läuft, als du denkst.