Die legendärsten Playoff-EpisodenBeim nächtlichen Spaghetti-Plausch wird der Trainer abserviert
Verrückt, verrückter, Playoff! Der Kampf um den Meistertitel hat Helden hervorgebracht – aber auch menschliche Dramen geschrieben.
1986: Die Angst vor der neuen Ära
In der Saison 1985/86 bricht mit der Einführung des Playoff eine neue Ära im Schweizer Eishockey an. In der NHL wird der Meister bereits seit 1927 nach diesem Modus ausgespielt, so schielte man nach Nordamerika. Diese Redaktion zitiert vor dem Start des gewagten Experiments einen kanadischen Trainer, der nicht namentlich genannt werden will. Er erklärt, wie es im Playoff abläuft: «Im ersten Spiel bekämpfst du deinen Gegenspieler. Im zweiten hasst du ihn. Im dritten möchtest du ihn am liebsten töten.»
Vielleicht liest dies Luganos John Slettvoll und entscheidet deshalb, dass sein Team Halbfinal und Final gegen Sierre und Davos in je zwei Partien abschliessen wird – im ersten Jahr wurde noch Best-of-3 gespielt. So bleiben alle unversehrt. Die Tessiner dominieren die frühe Playoff-Ära, verlieren auf dem Weg zu den Meistertiteln 1986, 87 und 88 nur eine Playoff-Partie. Das trägt Slettvoll den Übernamen «Magier» ein.
1990: Zwei Alphatiere geraten aneinander
Mit dem SC Bern erwächst Lugano der erste ernsthafte Konkurrent im Playoff. 1989 entthronen die Berner die Dominatoren aus dem Tessin, 1990 schlägt Lugano zurück, 1991 geht die Finalserie wieder an den SCB. Das erbitterte Duell lebt auch von den beiden Coachs Slettvoll und Bill Gilligan. Im dritten Finalspiel 1990 in der Resega werden sie beinahe handgreiflich.
Im «Eisbrecher»-Podcast beschreibt Slettvoll die Szene so: «Ich sah, dass Gilligan in der zweiten Pause auf den Schiedsrichter wartete, und dachte: Dann bleibe ich auch. Ich möchte zuhören. Er reklamierte. Ich sagte zu ihm: ‹Versuch, deinen Spielern beizubringen, Eishockey zu spielen. Aber das ist für euch wohl zu schwierig.› Er antwortete: ‹Denkst du, du bist Mister Swiss Hockey?›»
Erstaunlich ist, dass sich die beiden später zusammenraufen und das Nationalteam coachen: 1992 in Prag mit Slettvoll als Chef stürmen die Schweizer in den Halbfinal, 1993 mit vertauschten Rollen steigen sie in München ab.
1992: Die Sternstunde des alten ZSC
Bei manchem ZSC-Fan weckt der Sturz des «Grande Lugano» im Viertelfinal 1992 sogar noch stärkere Emotionen als der erste Meistertitel der Neuzeit im Jahr 2000. Es ist die erste grosse Sensation in der jungen Schweizer Playoff-Geschichte. Der Zürcher Krisenclub schafft das Break zum Auftakt in Lugano dank eines perfekten Penaltyschiessens, gewinnt Spiel 2 relativ sicher 4:2 und schafft in Spiel 4 mit einem 4:3 nach Penaltys den Halbfinaleinzug.
Es ist ein magischer Zürcher Hockeyabend. 15’000, 16’000 drängen sich in die Halle. «Hallenstadion-Direktor Sepp Vögeli liess alle rein», sagt Coach Arno Del Curto und schwelgt: «Noch heute werde ich auf der Strasse von wildfremden Leuten auf jenen Abend angesprochen. So schön werde es nie mehr, sagen viele.»
Mit dem ZSC hat niemand gerechnet. Weil das Hallenstadion wegen des Reitwettbewerbs CSI besetzt ist, müssen die Zürcher im Halbfinal gegen Bern in den Klotener Schluefweg ausweichen und scheiden in drei Spielen aus.
1995: Nächtliches Essen mit Folgen
Die zweifachen Meister des EHC Kloten reiben sich im Winter 1994/95 mit dem neuen Trainerduo «Putte» Carlsson und Lars Falk auf. «Nach fünf Runden lagen wir auf Rang eins, aber es gab eine Krisensitzung, weil wir ihr System nicht richtig umsetzten», erinnert sich Stürmer Roger Meier. Es ist ein monatelanges zähes Ringen, das vermeintliche Spitzenteam rutscht bis auf Rang 7 ab.
Nach dem letzten Qualifikationsspiel versammeln sich die Teamleader bei Captain Felix Hollenstein zu Spaghetti und entscheiden, dass es so nicht weitergehen kann. Präsident Jürg Ochsner entlässt darauf Carlsson/Falk, fürs Playoff kommt der vormalige Theaterdirektor Alpo Suhonen – und er bringt die Freude zurück.
Zum Viertelfinalstart wird Kloten in Lugano noch 0:5 deklassiert, doch Hollenstein kommt danach in der Reseghina aus der Kabine und sagt: «Jetzt bin ich überzeugt, dass wir sie schlagen!» Im Schluefweg gewinnt Kloten 6:4, die Serie ist lanciert. Im entscheidenden fünften Spiel siegt der EHC trotz eines frühen 0:2 mit 5:3, gegen Bern (3:0) und Zug (3:1) gibt er auf dem Weg zum dritten von vier Titeln in Serie nur noch ein Spiel ab.
1997: 142 Strafminuten, ein Bruch und eine klaffende Wunde
2:0 führt der ZSC in der Best-of-5-Serie gegen Qualifikationssieger SCB, eine Sensation bahnt sich an. Dann packen die Berner den Knüppel aus. Schon nach 29 Sekunden in Spiel 3 streckt SCB-Vorkämpfer Gaetano Orlando seinen Verfolger Patrizio Morger nieder. Worauf Schlag mit Schlag vergolten wird. Die Bilanz: 142 Strafminuten, ein Wadenbeinbruch bei René Friedli und eine klaffende Wunde im Gesicht von Ville Sirén (beide Bern), offene Schleimbeutel bei den Zürchern Mario Brodmann und Bruno Vollmer sowie eine verletzte Hand bei Bruno Steck.
Es ist ein Déjà-vu: Bereits ein Jahr zuvor eskalierte das Viertelfinal-Duell Bern-ZSC derart – unter anderem schoss Orlando den Puck mit voller Wucht auf die Zürcher Spielerbank – dass der Verband einschreiten musste.
Die Taktik der Überhärte zahlt sich für den SCB übrigens aus: Er gewinnt Spiel 3 7:2, wendet die Serie und holt später den Titel.
2006: Das Tessin im Ausnahmezustand
Mehr Drama geht kaum. Nach zwei Niederlagen im Viertelfinal gegen Ambri ersetzt Lugano seinen Trainer Larry Huras durch Harold Kreis, verliert aber auch Spiel 3. Ambri steht vor einem historischen Triumph, kann erstmals im siebten Anlauf den Erzrivalen zu Fall bringen.
Viermal geht Ambri in Spiel 4 in Führung. Viermal gleicht Lugano aus. Hnat Domenichelli hätte zum grossen Helden werden können, scheitert Sekunden vor Ende der normalen Spielzeit jedoch völlig frei vor Lugano-Keeper Ronnie Rüeger. So dramatisch, dass heute erzählt wird, das Tor wäre leer gestanden und Domenichelli hätte den Puck an den Pfosten gesetzt.
Ambri verliert in der Overtime nach einem Eigentor in Überzahl und gewinnt kein Spiel mehr. Lugano wird später zum bis heute letzten Mal Meister.
2009: Davos mit einem Rekord für die Ewigkeit
Es ist die Hochphase unter Arno Del Curto. Der HCD ist ein Playoff-Monster, in drei Jahren gewinnt er 14 von 15 Partien, in denen das Ausscheiden droht. Spiel 7 wird zur Spezialität: Auf dem Weg zum Titel 2009 geht es dreimal über die volle Distanz – ein Rekord für die Ewigkeit. Finalgegner Kloten kommt mit zwei 4:0-Siegen und ist eigentlich frischer, noch Jahre später wird Trainer Eldebrink dem verpassten Titel nachtrauern.
Der Final ist speziell: Die letzten fünf Partien enden mit Auswärtssiegen. Beim HCD wechseln sich mit Genoni und Berra zwei Goalies ab, weil sich bei Genoni nach 16 Spielen mentale Müdigkeit bemerkbar macht.
Steter Begleiter des HCD-Playoff-Runs ist das Lied «Human» der Killers aus Las Vegas – es läuft auch zu den Aerobic-Übungen, die Del Curto nach den Spielen verordnet. Vortänzer ist Lee Jinman, der Kanadier kommt per B-Lizenz aus Sierre und darf in jedem zweiten Spiel abwechselnd mit dem früheren NHL-Star Alexandre Daigle neben Reto von Arx ran.
2012: McCarthy, der unerwartete ZSC-Held
Die ZSC Lions präsentieren im Oktober 2011 gleich zwei neue Ausländer: Mikael Nylander und Steve McCarthy. Natürlich reden alle vom Schweden, der auf eine erfolgreiche NHL-Karriere zurückblickt, und dessen Söhne William und Alexander heute in der besten Liga spielen. Doch der Spielmacher zieht nach nur 15 Spielen zu Kloten weiter, derweil McCarthy die Meisterschaft entscheiden wird.
So süss die Erinnerung für die Zürcher ist, so bitter ist es für den SCB. Die Berner führen im Final 3:1 und können zu Hause Meister werden. Doch die Zürcher geben sich noch nicht geschlagen. Seger entscheidet Spiel 5 mit dem 2:1 in der Overtime, zu Hause gewinnen die Zürcher locker und in Spiel 7 in Bern in vorletzter Sekunde: Ambühl wagt einen letzten Vorstoss, der Puck gelangt nach einem Getümmel vor dem Tor zurück zu McCarthy, der bei 59:58 zum Meistertor trifft.
«Ich schiesse nicht viele Tore. Aber wenn, dann wichtige», sagt der Kanadier in den Katakomben verschmitzt lächelnd. Seit 2021 ist er Assistenzcoach bei den Columbus Blue Jackets.
2015: Das kitschige Ende einer Ära
Um dieses Karriereende wird er beneidet: Reto von Arx erzielt in Zürich in seinem letzten Spiel zehn Minuten vor Schluss das 1:0, es ist das HCD-Meistertor (von Arx’ drittes nach 2002 und 2009). Dieses kitschige Happy End steht im Kontrast zur ganzen Saison, in der es zum Bruch kommt zwischen dem HCD und dem langjährigen Leader. Wochenlang dreht sich alles um die Frage, ob Reto von Arx und sein Bruder Jan Vertragsverlängerungen erhalten sollen, am Ende scheitert alles auch wegen schlechter Kommunikation.
Zum Eklat kommt es am Spengler-Cup, als Reto von Arx per Interview verkündet: «Wir fanden keine Lösung, es sieht nach Trennung aus.» Er erwischt den Club auf dem falschen Fuss, der HCD dementiert umgehend, zur Einigung kommt es dennoch nicht. In der Qualifikation wird von Arx phasenweise als Verteidiger eingesetzt, was zusätzlich für Unmut sorgt.
2023: Sein Schicksal bewegt die Eishockey-Schweiz
Nie in der Playoff-Geschichte liegen Freude und Leid so nahe beieinander. Nur einen Tag nach dem Halbfinal-Einzug informiert Biel-Trainer Antti Törmänen das Team über seine erneute Krebserkrankung. Die niederschmetternde Diagnose hatte der Trainer bereits am Tag des ersten Viertelfinal-Spiels gegen den SCB bekommen, um die Spieler nicht aus dem Konzept zu bringen, hielt er sie geheim.
Das Schicksal des Finnen bewegt die ganze Eishockey-Schweiz. Als die ZSC Lions zum ersten Halbfinal-Duell in Biel gastieren, skandieren die Fans beider Lager Törmänens Namen, Spruchbänder mit Genesungswünschen werden in die Höhe gehalten.
Für den geschätzten Trainer rücken die Bieler noch näher zusammen. Bis ins siebte Finalspiel schaffen sie es. Die Niederlage in der «Belle» gegen Servette ist Törmänens letzte Partie. Mittlerweile gilt seine volle Aufmerksamkeit dem Kampf gegen den Krebs.
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