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Papablog: Interview zur Geschlechtsidentität
«Trans Kinder blühen auf, wenn sie Unterstützung erfahren»

«Eltern sollten Verbündete sein», sagt Maya, «nicht Gatekeeper, die ihren Kindern im Weg stehen» (Symbolbild).
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Maya (33) ist trans, Mutter eines vierjährigen Kindes und wohnt mit ihrer Familie in Berlin. Sie ist hauptberuflich Informatikerin und gibt regelmässig Vorträge und Workshops zu feministischen und queeren Themen. Maya twittert unter @MayaMitKind und schreibt sporadisch in ihrem Blog Vielgeliebt.

Maya, eine Definition zum Einstieg: Wann ist ein Mensch trans?

Nach der Geburt wird ein Geschlecht in die Geburtsurkunde von Babys eingetragen, je nach Aussehen ihres Genitalbereichs. Das nehmen die meisten Erwachsenen zum Anlass, dieses Kind dann entweder als Junge oder als Mädchen anzusprechen und stereotyp zu behandeln. Für manche Menschen passt diese Zuordnung und sie finden sich darin wieder – sie sind cis. Andere realisieren irgendwann, dass diese Zuschreibung für sie nicht passt und sie geraten damit in Konflikt – sie sind trans.

Für viele ist das Konzept Geschlechtsidentität schwer zu verstehen. Woher wissen Sie, dass Sie eine Frau sind?

Einige erwarten an dieser Stelle vielleicht, dass ich antworte, wie gerne ich als Kind mit Puppen gespielt habe, dass ich mich gerne schminke und hohe Schuhe trage. Aber genau wie viele cis Frauen erfülle ich diese Klischees gar nicht. Vielmehr ist mein Frausein ein Zugehörigkeitsgefühl: Wenn ich in einer Gruppe Frauen bin, dann fühle ich mich unter meinesgleichen. Ich finde es übrigens interessant, dass diese Frage cis Personen so gut wie nie gestellt wird – die Antworten könnten erhellend sein.

Immer wieder berichten Medien, die Trans-Community wolle die Wörter «Frau» und «Mutter» abschaffen. Was ist an diesen Behauptungen dran?

Gar nichts. Wirklich nichts. Null. Ich bin ja selbst eine Frau, Mutter und verwende diese Begriffe regelmässig für mich und andere. Gerade trans Personen kämpfen doch darum, korrekt als die Männer, Frauen und nichtbinären Personen, Mütter, Väter und Eltern anerkannt zu werden, die sie sind! Bloss gibt es eben Menschen mit Uterus, die keine Frauen sind – und Frauen wie mich, die keinen Uterus haben. Der Begriff «Menschen mit Uterus» ist daher einfach eine medizinisch exakte Formulierung, um über Menschen zu sprechen, die beispielsweise von einer Schwangerschaft oder einem Uterusmyom betroffen sein können.

In der Schweiz können trans Menschen ab dem ersten Januar 2022 beim Zivilstandsamt mit sofortiger Wirkung ihren Geschlechtseintrag und den Vornamen ändern lassen.

Damit reiht sich die Schweiz in eine immer länger werdende Liste von Ländern ein, die diese sogenannte Self-ID umsetzen – noch vor uns hier in Deutschland. Ich finde die Self-ID richtig und wichtig. Noch immer koppeln viel zu viele Staaten eine simple Änderung der Papiere an gewaltvolle und erniedrigende Massnahmen wie Genitalinspektionen, Zwangssterilisationen oder ein völlig stereotypes Ausleben der Geschlechterrolle. Letzteres basiert auf dem Irrglauben, so von aussen die Geschlechtszugehörigkeit überprüfen zu können.

Als ich selbst dieses Verfahren durchlaufen musste, bin ich also brav im Kleidchen und mit Make-up erschienen und habe das Püppchen gespielt, obwohl mir das überhaupt nicht entspricht. Zum Glück setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass jede Person nur für sich selbst eine qualifizierte Aussage über ihr Geschlecht treffen kann.

Manche fürchten ein Missbrauchspotenzial. Zum Beispiel, dass Männer durch eine Änderung des Geschlechtseintrags die Wehrpflicht umgehen könnten.

Die Erfahrung aus anderen Ländern zeigt, dass solche Befürchtungen nicht wahr werden. Wie viele cis Männer würden sich dafür wohl für den Rest ihres Lebens als Frau anreden lassen, sich fortan bei allen zukünftigen Arbeitsstellen als beispielsweise «Maya» bewerben und bei jeder namentlichen Ausweiskontrolle in Erklärungsnot geraten? Trans Personen wissen, dass das unrealistisch ist, weil wir den durch solche Situationen entstehenden Leidensdruck nur allzu gut kennen. Warten wir doch erst einmal ab und ergreifen weitere Massnahmen falls nötig.

«Kinder beim Entdecken ihrer Identität zu begleiten, ist einer der schönsten Aspekte am Elternsein.»

Anderes Thema: Sie sind Mutter eines Kindes. Wie erziehen Sie in Geschlechterfragen?

Wie viele progressive Eltern halte ich nichts von Geschlechterstereotypen und biete dem Kind jegliches Spielzeug oder Kleidung an, egal ob rosa oder hellblau. Meine Partnerin hat damals vorgeschlagen, noch einen Schritt weiter zu gehen und unser Kind komplett geschlechtsoffen zu erziehen. Also dem Kind von unserer Seite keine Vorgabe zu machen, ob es ein Mädchen, ein Junge oder nichts davon ist. Wir packen es auch sprachlich nicht in stereotype Geschlechterschubladen, damit es selbstbestimmt aufwachsen kann.

Was genau bestimmt das Kind dabei selbst?

Seine Identität. Und zwar nicht im Sinne von «Entscheiden» wie eine Herrscherin, die über ihr Volk bestimmt. Eher wie ein Biologe, der eine Probe bestimmt. Kinder finden nach und nach heraus, wer sie sind. Sie dabei zu begleiten, ist einer der schönsten Aspekte am Elternsein.

Wie können wir als Eltern sie dabei unterstützen?

Indem wir ihnen früh Vielfalt zeigen und verschiedene Optionen gleichwertig nebeneinander stellen, anstatt sie mit einer Erwartungshaltung zu konfrontieren. Aber auch, indem wir wahrnehmen und positiv reagieren, wenn sie kreativ sind. Im Fall der geschlechtlichen Entwicklung zum Beispiel, wenn sie verschiedene Namen oder Pronomen für sich ausprobieren dürfen. Eltern sollten vermitteln: «Du bist gut so wie du bist und wirst geliebt, egal zu wem du dich entwickelst».

Weshalb ist positiv reagieren so wichtig?

Weil Eltern Verbündete für ihre Kinder sein sollten und nicht Gatekeeper, die ihnen im Weg stehen. Müssen Kinder gegen ihr Umfeld ankämpfen, können sie nicht gut spüren, was für sie richtig ist. Wer dem eigenen Kind ständig widerspricht, darf sich nicht wundern, wenn es beginnt, seine Identität zu verstecken. Dadurch steigt auch die Gefahr, dass sich das Kind in etwas verrennt, was vielleicht gar nicht passt.

Manche Eltern reagieren zwar offen auf das Outing ihres trans Kindes, sind dann aber überfordert, wenn es medizinische Massnahmen wünscht.

Die Frage wird relevant, wenn die Pubertät näherrückt. Für die meisten Mädchen ist es der Horror, einen Stimmbruch zu bekommen, ebenso wie für die meisten Jungs, wenn ihnen Brüste wachsen. Man kann es einem trans Kind zum Glück durch eine Hormontherapie ersparen, schmerzhaft die falsche Pubertät zu durchlaufen und die Auswirkungen später mit teils komplizierten OPs rückgängig machen zu müssen.

Wie gefestigt ist ein Kind vor der Pubertät in seiner Geschlechtsidentität?

Das ist unterschiedlich. Unser Kind ist vier Jahre alt und die Kategorie Geschlecht ist für sein Leben recht irrelevant. Es lehnt es ab, als Mädchen oder als Junge bezeichnet zu werden, sondern sagt von sich: «Ich bin einfach nur ein Kind». Das finde ich cool. Ich selbst habe vor meiner Pubertät immer felsenfest behauptet, ein Junge zu sein – das hatten mir ja immer alle so erzählt! Es gibt aber auch trans Kinder, die bereits mit drei oder vier Jahren klar sagen: du, ich bin etwas anderes als was du denkst.

Es ist wichtig, dass Eltern ihren Kindern die Sicherheit geben, mit ihnen über das eigene Geschlecht reden zu können. So vertrauen sich die Kinder ihren Eltern früher an und alle Beteiligten haben mehr Zeit, sich zu informieren und allfällige Massnahmen zu besprechen. Mit sogenannten Pubertätsblockern kann man die Pubertät auch eine Weile herauszögern, um Zeit zu gewinnen. Meist sind es die Eltern, die diese Zeit benötigen, nicht die Kinder. Denen ist oft schon seit Jahren klar, was ihr Geschlecht ist und wie sie sich körperlich entwickeln wollen.

Was sind die Risiken einer Hormontherapie?

Die falsche Pubertät zu verhindern, kann es schwieriger machen, später eigene biologische Kinder zu bekommen – darüber sollte man reden. Ansonsten halte ich die Risiken für überschaubar. Es ist wichtig, dass die Blutwerte regelmässig kontrolliert werden, weil manche Medikamente beispielsweise die Leber belasten können. Daher sollten Jugendliche medizinisch gut begleitet werden. Wer ihnen diese Optionen pauschal verwehrt, treibt sie in die Selbstmedikation. Fehlt die Akzeptanz des Umfeldes, hinterlässt das ebenfalls tiefe emotionale Verletzungen. All das ist weitaus riskanter als eine ärztlich begleitete Transition.

«Viele Eltern von trans Kindern stellen fest, wie viel glücklicher ihr Kind durch die Transition wird.»

Wie sieht die ideale Transition aus?

Da gibt es kein Patentrezept. Trans Kinder und Jugendliche sind Individuen – nicht alle werden auf dem gleichen Weg glücklich. Manche wünschen sich zum Beispiel eine Hormontherapie, andere nicht. Was aber die meisten unglaublich trägt, ist die Unterstützung ihrer Familie. Wenn sich Eltern und andere Bezugspersonen offen mit der Transition befassen, gemeinsam lernen und das Kind nicht nur akzeptieren, sondern es auf seinem selbstbestimmten Weg begleiten.

Klingt eigentlich einfach: die Familie als Team des Kindes.

Ja, und wenn sich alle darauf einlassen, ist dieses Team ein wichtiger Schutzraum, falls das Kind in seinem weiteren Umfeld irgendwo auf Ablehnung stösst. Für die Familie kann die Transition auch ein sehr schöner Prozess sein. Viele Eltern von trans Kindern stellen nach anfänglichen Ängsten fest, wie viel glücklicher ihr Kind durch die Transition wird – wie es richtig aufblüht. Unterstützende Eltern gewinnen nicht nur ein frohes Kind, sondern meist auch eine engere Bindung zu ihm.