Neues Kapitel in Boris-Johnson-SagaTories haben genug von BoJo
Der Ex-Premier will sich mit der spektakulären Rückgabe seines Abgeordnetenmandats nur vorläufig aus der Politik verabschiedet haben. Er sieht sich als Opfer, die Reaktionen sind heftig.
Zu Beginn dieser Woche wird Boris Johnson wohl die Hoffnung auf eine Rückkehr an die Macht in Grossbritannien im Laufe der nächsten fünf Jahre endgültig begraben müssen. Der umstrittene Ex-Premier, der am Freitagabend auf spektakuläre Art sein Unterhausmandat abgab, sieht seine Basis in der Konservativen Partei rapide schwinden – ebenso wie in der britischen Bevölkerung.
Falls Johnson damit gerechnet hatte, dass sein zorniger Rücktritt eine Revolte unter seinen Gefolgsleuten gegen Partei- und Regierungschef Rishi Sunak auslösen würde, hat er sich geirrt. Ein paar einsame Streiter in der Tory-Fraktion stellten sich zwar auf seine Seite. Und ein paar rechtslastige Blätter gaben Salven ab auf Sunak, der «Boris» nicht beigesprungen sei, oder sie wollten ihre Leserinnen und Leser glauben machen, bei den Tories sei «ein Krieg» ausgebrochen. Aber eine echte Rebellion zugunsten von Johnson gab es nicht.
Stattdessen räumten auch frühere Johnson-Mitarbeiter und -Loyalisten ein, dass «die Sache nun wohl gelaufen» sei für den Mann, der im Vereinigten Königreich vom Sommer 2019 bis zum Sommer 2022 regierte und auch seither dort noch für jede Menge Schlagzeilen sorgt. Top-Tories wurden am Wochenende zitiert mit den Worten, «die Pantomime» müsse «endlich zu einem Abschluss kommen – je schneller, desto besser». Johnson habe sich politisch total disqualifiziert.
Lügen über illegale Lockdown-Partys in Downing Street
Wirtschafts- und Energieminister Grant Shapps erklärte, die Welt habe sich «weiterbewegt», was Johnson offenbar nicht wahrhaben wolle. Kein finsteres «Establishment», sagte Shapps, habe Johnson dieses Ende beschert. Sein Ex-Boss habe sich «aus der neuen politischen Szene ausgeklinkt», und das eigenhändig. Viele Tories mahnten Sunak, kein Comeback Johnsons mehr zuzulassen. Man dürfe Johnson «nicht erlauben, noch einmal irgendwo für die Partei anzutreten», meinte der frühere Vizepremier Michael Heseltine.
Johnson selbst betonte unterdessen bei seinem Rücktritt als Abgeordneter, dass er dem Parlament jetzt «mal vorläufig» den Rücken kehre. Zum Abgang hatte er sich entschlossen, nachdem der Unterhausausschuss für moralisches Verhalten ihn bezichtigt hatte, das Parlament in der Frage illegaler Lockdown-Partys in Downing Street bewusst belogen zu haben.
Ein Ausschussbericht, der mit einer Suspendierung Johnsons vom Unterhaus für mindestens zehn Tage verbunden gewesen wäre, war dem Ex-Premier vor wenigen Tagen zur Stellungnahme übermittelt worden. Die Suspendierung hätte vom Unterhaus bestätigt werden müssen und im Falle der Bestätigung zu einer parlamentarischen Nachwahl in Johnsons Wahlkreis Uxbridge, im Westen von London, geführt.
Man habe «eine Hexenjagd» gegen ihn veranstaltet und «von Anfang an geplant, mich aus dem Parlament zu vertreiben», sagt Johnson.
Nach der Lektüre des Ausschussberichts war Johnson aber wohl zu dem Schluss gekommen, dass er nicht einmal mehr in der eigenen Fraktion über genug Rückhalt verfügte, um weiter im Parlament zu verbleiben – und dass seine Chancen gering waren, in Uxbridge wiedergewählt zu werden. Umfragen zufolge sind zwei Drittel der Briten mittlerweile davon überzeugt, dass der Ex-Premier Parlament und Öffentlichkeit mehrfach belogen hat und dass ein entsprechender Befund des zuständigen Ausschusses unweigerlich zu seinem Rücktritt führen muss.
Auf den Ausschussbericht, der demnächst veröffentlicht werden soll, reagierte Johnson selbst mit grösster Entrüstung. Man habe «eine Hexenjagd» gegen ihn veranstaltet und «von Anfang an geplant, mich aus dem Parlament zu vertreiben», erklärte er. Der Ausschuss habe «nicht den geringsten Beweis» dafür vorlegen können, dass er als Premier das Unterhaus in die Irre geführt habe. Die Ausschussmitglieder hätten sich stattdessen «bewusst dafür entschieden, die Wahrheit zu ignorieren». Man habe ganz einfach einen «kangaroo court», ein Scheingericht, gegen ihn inszeniert.
Zornig kommentierten diese Bemerkungen ausser der Opposition auch viele konservative Politiker. Immerhin war der Ausschuss vom Parlament selbst mit der Untersuchung beauftragt worden und hatte viel Zeit auf die Prüfung der Vorwürfe gegen Johnson verwendet. Vier der sieben Ausschussmitglieder gehören der Regierungspartei an. Ein früherer hochrangiger Gefolgsmann Johnsons meinte fassungslos, es sei «geradezu schändlich», wie der Ex-Regierungschef jetzt das Unterhaus «beleidigt» habe: «Er glaubt, dass er das Parlament einfach so verunglimpfen kann.»
Labour liegt in allen Umfragen klar vor den Tories
Johnson-Kritiker zogen Vergleiche mit Donald Trump, dem ehemaligen US-Präsidenten, der Johnson ja einmal als «Briten-Trump» charakterisiert hatte. Regelrecht «trumpisch» kam Boris Johnsons ehemaligem Ratgeber Will Waldron denn auch dessen generelle Weigerung vor, die Verantwortung für die eigenen Aktionen zu übernehmen. Der liberale «Observer» warf Johnson vor, «genauso abgetreten zu sein, wie er regiert hat» – nämlich «in einem Blitz an falschen Informationen» und «ohne auch nur ein Fitzelchen Seriosität und Rechtschaffenheit».
Die oppositionelle Labour-Partei nannte Johnson «einen Feigling», der sich vor der Wahrheit «drücke». Die Partei verlangte sofortige Neuwahlen, um dem «Chaos» einer 13-jährigen Herrschaft der Konservativen und speziell der Folgen der Johnson-Zeit ein Ende zu bereiten. Gegenwärtig liegt Labour in allen Meinungsumfragen klar vor den Tories.
Johnson deutete das in seiner Rücktrittserklärung so, dass Sunak letztlich versagt habe und die mangelnde Popularität der Tories auf das Konto der gegenwärtigen Parteiführung gehe. Ein kleines Häuflein von Johnson-Loyalisten in der Partei beschimpfte Sunak als «ehrlosen Schwindler» und warf ihm ein «Komplott gegen Boris» vor.
Vertrauensleute von Johnson zweifeln nicht daran, dass dieser Hoffnungen auf eine spätere Rückkehr in die Politik nicht aufgegeben hat.
Zusätzliche Unruhe löste aus, dass eine bereits vorab umstrittene Johnson-Liste zur Verleihung von Adels- und Ehrentiteln an «verdiente Persönlichkeiten» mehr als drei Dutzend Namen dubioser persönlicher Helfer des Premiers enthielt – wie zum Beispiel den von Carole Bamford, die mit dem milliardenschweren Tory-Gönner Lord Bamford verheiratet ist und die Johnson und seine Frau Carrie nach Johnsons erzwungenem Abgang als Premier im vorigen Sommer gratis in einem ihrer Häuser wohnen liess.
Seit seinem Sturz aus dem höchsten Amt soll Johnson über lukrative Auftritte als Redner bei Big-Business-Veranstaltungen bereits fünf Millionen Pfund bezogen haben. Intensiv spekuliert wurde zuletzt darüber, ob er von nun an wieder wöchentliche Kolumnen für seine «alte» Zeitung, den nationalkonservativen «Daily Telegraph», schreiben werde, um sich weiteren Einfluss auf seine Partei «von aussen her» zu sichern.
Vertrauensleute des Ex-Premiers zweifeln nicht daran, dass dieser Hoffnungen auf eine spätere Rückkehr in die britische Politik nicht aufgegeben hat. Für die Rolle eines Oppositionsführers hätte er zwar kaum die Geduld, falls Sunak nach einer Wahlniederlage 2024 gehen müsse, meinen die meisten britischen Kommentatoren. Für alle Zeit abschreiben dürfe man Boris Johnson aber nicht. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Der letzte Johnson-Tag – für den Moment».)
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