Rücktritt als AbgeordneterDer letzte Johnson-Tag – «für den Moment»
Boris Johnson ist zurückgetreten – zum zweiten Mal. Ist es das wirklich, das politische Ende? Vieles spricht dafür, aber nicht alles.
Im kürzlich erschienenen und erhellenden Buch «Johnson at 10», recherchiert und geschrieben vom Historiker Anthony Seldon, gibt es eine Stelle, die gut illustriert, wie das immer so ist bei Boris Johnson. Es gibt natürlich viele solche Buchstellen, es gibt ja auch viele Bücher über ihn, Boris Alexander de Pfeffel Johnson, mehr Anekdotenfass ohne Boden als Politiker, und man weiss oft nicht, ob man lachen oder den Kopf schütteln soll.
Seldon also schreibt, während der Covid-Zeit, als auch Johnson selbst zu Beginn seiner eigenen Covid-Erkrankung stand, habe er darauf bestanden, das wöchentliche Treffen mit der damals noch lebenden Queen Elizabeth II. in personam abzuhalten, «er wollte sich nicht einschränken lassen, nicht von Gesetzen oder seinen offensichtlichen Symptomen».
Der Palast war strikt dagegen, die weit über neunzigjährige Queen einem Gesundheitsrisiko auszusetzen, allein der Gedanke, der Premierminister könnte das Staatsoberhaupt derart fahrlässig mit Covid anstecken ... Johnson aber schien das egal zu sein. Nach einigem Hin und Her gab Johnson schliesslich nach und sprach mit der Queen am Telefon. Als das Gespräch vorbei war, drehte sich die Queen zu einem ihrer Mitarbeiter um und sagte, sie habe kein Wort verstanden. Der Premierminister habe einfach zu viel gehustet.
Boris Johnson ist am Freitagabend zurückgetreten, ein zweites Mal, dieses Mal von seinem Amt als Abgeordneter. Der Mann, der vor vier Jahren die grösste Mehrheit seit Margaret Thatcher für die Tories gewann, der erst Bürgermeister von London war, dann Aussenminister und dann Premierminister, ist jetzt nicht einmal mehr einfaches Member of Parliament.
Zu tun hat sein tiefer Fall auch mit Covid, mehr aber noch mit seinem Umgang damit, mit Regeln und Normen im Allgemeinen. Wer findet, er könne die Queen persönlich treffen, trotz Pandemie und eigenen Symptomen, der hat auch kein Verständnis dafür, dass Partys am Regierungssitz keine gute Idee sind, während das Land sich im strikten Lockdown befindet.
Ein Untersuchungsausschuss befand, Johnson habe gelogen
Sein Rücktritt ist ein typischer Boris-Johnson-Zug, sein abenteuerliches Statement liest sich, als sei er das Opfer einer Kampagne. «Es liest sich, als beschwere sich ein Kleinkind darüber, dass man ihm das Spielzeug weggenommen hat», sagte Sonia Purnell am späten Freitagabend in der BBC. Purnell hat früher mit Johnson beim Daily Telegraph zusammengearbeitet und später, klar, auch ein Buch über ihn geschrieben.
Mit seinem Rücktritt kam er seinem Rauswurf zuvor, nachdem ihm das «Privileges Committee», ein überparteilicher Untersuchungsausschuss, mitgeteilt hatte, dass man zu dem Schluss gekommen sei, er habe während der Partygate-Affäre das Unterhaus angelogen. Johnson betonte damals, es seien «zu jeder Zeit alle Regeln befolgt worden», obwohl in Downing Street nachweislich mehrere Zusammenkünfte stattfanden, während genau das von Johnson Regierung selbst verboten worden war. Auf manchen der Fotos von diesen Festen ist Johnson sogar selbst abgebildet.
Das Komitee schlug nun eine Suspendierung von mindestens zehn Tagen vor. Das hätte automatisch zur Folge, dass er sein Amt abgeben müsste und in seinem Wahlkreis Uxbridge und South Ruislip eine Neuwahl stattfände, zu der er aber auch selbst hätte antreten dürfen. Johnson hat das Schreiben des Komitees offenbar in dieser Woche erhalten, er hätte zwei Wochen Zeit gehabt für eine Antwort, danach hätte das Unterhaus über den Vorschlag des Komitees abgestimmt. Johnson beschloss, sein Ende selbst zu gestalten.
Johnson selbst sieht sich als Opfer einer «Hexenjagd»
In seinem Rücktritts-Statement schreibt Johnson, «sehr zu meiner Verwunderung sind sie fest entschlossen, das Prozedere gegen mich zu verwenden, um mich aus dem Parlament zu drängen». Sie, die Abgeordneten des Komitees, hätten Fakten ignoriert und ihn von Anfang an verurteilt. «Das ist die Definition eines kangaroo court», eines Scheingerichts. Ausserdem, der Ausschuss werde ja geleitet von der Labour-Abgeordneten Harriet Harman, es sei «eine Hexenjagd» gewesen, und zwar aus «Rache für Brexit und um das Ergebnis des Referendums von 2016 rückgängig zu machen».
Ein Sprecher des Ausschusses sagte am Freitagabend nüchtern, der Ausschuss werde weiterhin seine Arbeit tun und weise Johnsons Anschuldigungen zurück. Und was Johnsons Vorwürfe der «Hexenjagd» und «Rache für Brexit» angeht: Das Privileges Committee besteht aus sieben Abgeordneten, vier davon sind Tories, zwei von Labour, einer von der schottischen SNP. Alle Mitglieder, auch die Vorsitzende, haben je eine Stimme, und: zwei der vier Konservativen sind überzeugte Brexiteers.
Mehrere Medien veröffentlichten das Statement in ganzer Länge, darunter die BBC, überhaupt gibt es seit Freitag kaum ein anderes Thema in der britischen Politik als Boris Johnson, und das nicht nur wegen seines Rücktritts. Am Nachmittag hatte Downing Street ja auch noch Johnsons «Resignation Honours List» veröffentlicht, allein darüber könnte man schon wieder neue Bücher schreiben.
Die Liste enthält 37 Namen für Orden und Titel
Jeder Premierminister hat das Recht, nach seiner Amtszeit eine Liste zusammenzustellen mit Vorschlägen für «Peerages», also Berufungen ins Oberhaus auf Lebenszeit, und für die Vergabe von Orden und diversen Adelstiteln. Nach gängiger Konvention winkt ein Premierminister die Liste seines Vorgängers einfach durch, in Johnsons Fall aber ist das nicht so einfach mit gängigen Konventionen. Über Johnsons Liste war monatelang spekuliert worden, zwischendurch soll sogar sein Vater darauf gestanden haben, aber auch vier aktuelle Abgeordnete, die er ins Oberhaus berufen wollte – und die dann allesamt zurücktreten hätten müssen. Vier Nachwahlen auf einen Schlag, für den in den Umfragen deutlich zurückliegenden Premierminister Rishi Sunak wäre das keine gute Nachricht gewesen.
Auf der finalen Liste stehen jetzt 37 Namen für Orden und Titel, die meisten davon Freunde seiner Frau Carrie oder Johnson-Fans, etwa die Abgeordneten Jacob Rees-Mogg, Michael Fabricant oder auch die frühere Innenministerin Priti Patel. Dazu sollen sieben Personen ins Oberhaus berufen werden, darunter immerhin doch keine aktuellen Abgeordneten, dafür aber Figuren wie Dan Rosenfield, der zeitweise hochumstrittener Stabschef von Johnson in No. 10 war. Oder Ben Houchen, Bürgermeister im Tees Valley. Gegen Houchen gibt es aktuell schwerwiegende Korruptionsvorwürfe, es soll demnächst eine Untersuchung gegen ihn gestartet werden.
Sunak hat die Liste bereits genehmigt, es bleibt ihm auch wenig anderes übrig. Dass die Liste zeitlich zusammenfiel mit Johnsons Rücktritt, das wiederum dürfte Sunak gelegen kommen, ein schlechter Boris-Johnson-Tag ist schliesslich besser als zwei. Die Frage ist jetzt nur, ob Freitag der letzte Boris-Johnson-Tag war. Vieles spricht dafür, aber nicht alles.
Es gibt noch immer Fans, die zu ihm halten, darunter auch ein paar wenige Abgeordnete der Tories, die noch Freitagnacht verkündeten, sie würden sich nun um ihn scharen. Was das bedeutet, eine eigene Partei oder noch mehr Streit in der Partei der Konservativen als ohnehin schon, das vermochte niemand zu beantworten, noch nicht. Johnsons Statement endet mit der Formulierung, er werde das Parlament verlassen, «at least for now». Zumindest für den Moment.
Boris Johnson sei eben, schrieb die Times am Samstag, «ein Narzisst bis zum Ende».
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