Tom Waits remasteredSeine Songs klingen nun scharf und dreidimensional
Tom Waits hat fünf seiner besten Platten neu gemastert. Jetzt klingen sie so, wie sie gedacht waren.

Als sie an seiner Tür klopfte, konnte er nicht wissen, dass sich ihr Leben ändern würde. Tom Waits sass am Klavier in einem Zimmer, in dem nicht viel mehr Platz hatte. Der Songwriter arbeitete im Zoetrope Studio von Francis Coppola in San Francisco, dem Regisseur der «Godfather»-Trilogie und von «Apocalypse Now». Zu seinem neuen Projekt hatte Coppola Waits für den Soundtrack engagiert, das war 1980. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte der Musiker einen anständig bezahlten Job.
Dennoch ging es ihm nicht gut. Wie sein Vater, ein Spanischlehrer aus Los Angeles, war Waits auf dem besten Weg dazu, ein Alkoholiker zu werden. Anders als seiner christlichen Mutter half ihm Gott nicht weiter. Die Scheidung seiner Eltern hatte ihn traumatisiert. Er hatte zwei Schwestern, wuchs aber still und einsam auf.
Später hatte er Affären, aber keine Beziehung. Sie habe ihn gar nicht gekannt, sagte die Songschreiberin Rickie Lee Jones, die einmal mit ihm zusammen war: «Dauernd spielte er sich selber als eine Rolle.»
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
So blieb Tom Waits als Mann einsam und als Künstler verkannt. Zwar hatten ihm seine bisherigen Platten ein wenig Erfolg gebracht. Die Leute liebten ihn auch, wenn er in den Clubs auftrat, er war witzig und schrieb schöne Lieder. Aber bei allem Humor und aller Poesie schaffte er es nie über ein bestimmtes Erfolgsniveau hinaus. Die Bewunderung für seine Songs war grösser als ihre Verkäufe.
Sie verliebten sich auf der Stelle
So sass er an diesem Morgen am Klavier, als es an der Tür klopfte. Er machte auf. Und sah vor sich die strahlendste Frau, die ihm je begegnet war. Sie hiess Kathleen Brennan und arbeitete als Scriptfrau für Coppola, eine Irin aus einer bäuerlichen Grossfamilie, belesen und humorvoll. Die beiden verliebten sich auf der Stelle. Wenige Wochen später wurden sie ein Paar. Zwei Jahre darauf heirateten sie, zogen zusammen, bekamen drei Kinder, schrieben gemeinsam Songs. Sie tun das bis heute.
«Ich bin der Jäger, sie ist die Sammlerin», sagte er über ihre Arbeitsteilung. Ohne seine Frau wäre ihr Mann möglicherweise in den Drogen versunken. Oder hätte zwar weitere geistreiche und melancholische Lieder geschrieben, aber in der gleichen Art.
Ohne Kathleen hätte Tom niemals seinen Sound, seine Stimme seine Lieder so systematisch radikalisiert. Er hätte es auch nicht gewagt, so eigenwillige Arrangements und Instrumentierungen auszuprobieren, wie er das auf der Trilogie tat, die er nach der Begegnung mit seiner Frau aufnahm. Und die bis heute zu seinen Meisterwerken gezählt wird: «Swordfishtrombones» von 1983, «Rain Dogs» zwei Jahre später und «Frank’s Wild Years» von 1987, das Waits zu einem Musical ausbauen sollte.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Zusammen mit den beiden folgenden, ebenso radikal geratenen Alben «Bone Machine» und «Black Rider» bringen Waits und Brennan diese fünf Platten jetzt in sorgfältig neu gemasterten Versionen wieder heraus, auf CD, als Stream und auch auf Vinyl. Zum ersten Mal hört man die Stücke jener Jahre in den dreidimensional klingenden, scharf konturierten, jedes Instrument herausstellenden Versionen, in der sie vorgesehen waren.
Der Plattenchef erschrak
Statt sich weiter als singender Melancholiker zu gebärden, brach Tom Waits in eine Musik aus, die dem Lärm näher stand als dem Klang. Ein roher, organisch hölzerner Rhythmus trieb die Melodien vor sich her. Auch die Instrumentierung, die Waits und seine Musiker einsetzten, klang unerhört. Sie brachten Congas, Dudelsack und balinesische Gongs zum Tönen. Es vibrierten Marimbas, Vibrafone und eine Glasharmonika, es polterte der Kontrabass, es schrammelte das Banjo. Die Hammondorgel grollte, eine schrille Gitarre stotterte, die Posaune schnaufte, das Akkordeon atmete schwer. Zwischendurch wurde ein Stuhl durch das Studio geschleift, weil Waits das Geräusch gefiel. Oder er schlug mit einer Stange auf einen Amboss ein.
«Meine Songs sind derangierte Tagebücher und ein Versuch, dem Lärm in meinem Kopf zuzuhören und ihn in einen orchestrierten Abfall zu überführen.»
Das Resultat klang nach Zirkusmusik ohne Zirkus, Filmmusik ohne Film, bevölkert von den Schattengestalten und Erinnerungen einer privaten Geisterbahn, vollgestellt mit Zwergen und Matrosen, Kindern auf der Strasse, kichernden Filipinas, frei laufenden Hunden, Maultieren und Raben. Und natürlich Frank, Toms Held aus dem Stück der Platte «Frank’s Wild Years», der eines Abends heimkam, sein Haus anzündete und mit dem Auto lachend davonfuhr. Das Album wurde von allen, die etwas von Musik verstehen, als moderner Klassiker erkannt: Alles klang neu und zugleich wie immer schon da.
«Seine Stücke waren Kurzfilme aus einem heruntergekommenen Zirkus Amerikas», sagt Thom Yorke zu dieser Kollektion, Sänger der Radiohead. Er sei ein reisender Songschreiber, der im falschen Quartier gelandet sei und alle mit seinen Worten bezaubere, sagt der Schriftsteller Ian Rankin. Auf diesen Platten funktioniere er als Mixer von Genres, findet der Regisseur Jim Jarmusch: «Rhythm ’n’ Blues Blues, Balladen, Sprechgesang, Stockhausen, Kurt Weill, Louis Armstrong, Serge Gainsbourg und Death Metal.» Er habe es als Schauspieler bemerkenswert gefunden, erzählt Jeff Bridges, «die verschiedenen Figuren zu erleben, die er geschaffen hatte, in die er sich verwandelte, um sie dann hinter sich zu lassen».
Er hörte den Lärm in seinem Kopf
Von «Swordfishtrombones» an lässt sich bei Waits eine systematische ästhetische Radikalisierung verfolgen: Asthmatisierung der Stimme, Verrohung der Musik. Seine Songs sind «derangierte Tagebücher», wie Waits sie damals nannte, «ein Versuch, dem Lärm in meinem Kopf zuzuhören und ihn in einen orchestrierten Abfall zu überführen». Gesanglich lässt sich diese Phase am ehesten mit Captain Beefheart vergleichen und musikalisch mit dem exzentrischen Instrumentenbauer Harry Partch, der eine 43-stufige Tonleiter erfand und eine Vielzahl perkussiver Instrumente.
Selbst Tom Waits’ Balladen wie «Town with No Cheer» oder «Clap Hand», auf denen er sich die melancholische Zärtlichkeit der frühen Jahre bewahrt hatte, klangen düster oder verzweifelt. Dass seine Plattenfirma die Veröffentlichung von «Swordfishtrombones» verweigerte und den Vertrag mit Tom Waits nicht verlängerte, sollte sich als Vorteil herausstellen. Denn die neue Musik gefiel dem hochmusikalischen, jamaikanisch-englischen Plattenchef Chris Blackwell so gut, dass er Waits alle Freiheit gab, seine nächsten Platten selber zu gestalten.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
«Rain Dogs», das zweite Album der Trilogie, klang etwas zugänglicher und machte ihn bekannter, zumal Rod Stewart das Stück «Downtown Train» zum Hit machte. Die Songs klingen zum Mitsingen einfach, dabei haben über zwei Dutzend Musiker daran mitgearbeitet. Und bereits das Folgealbum «Frank’s Wild Years» suchte wieder die Extreme, und die Stimme des Sängers steigerte sich zum Schrei oder starb zum Flüstern ab. Bei «Black Rider», seinem nächsten, aber Jahre später veröffentlichten Projekt, tat er sich mit dem Opernintendanten Robert Wilson und dem avantgardistischen Autor William Burroughs zusammen und vertonte eine Version der Freischütz-Sage, die im Hamburger Thalia-Theater uraufgeführt wurde.
Tom Waits wurde die Rolle nicht mehr los, die er sich zu seinem Schutz geschaffen hatte.
Die Probeaufnahmen zu «Bone Machine» von 1992 schliesslich, der letzten der fünf neu gemasterten Platten, bei der Kathleen Brennan mehrere Songs mitverfasste, fanden in einer Scheune statt. Das fertige Album klang stellenweise übersteuert, die Begleitung skelettal, die Instrumentierung holprig, dazu schrie der Sänger wie ein Besessener seine Lieder von letzten Tagen. Er sang vom Ozean, der ihn nicht haben will, vom Mord in der roten Scheune und von einem Kolosseum, in dem sich Raubtiere und Christen nicht mehr unterschieden. Apokalypsen im Dreiminutenformat.
Als ich ihn in einem Pariser Theater auftreten sah, das war im Mai 2000, betrat er den Saal von hinten, wankte durch das Publikum und bellte durch sein Megafon. Auf der Bühne schrie er weiter, wisperte und krächzte, ruderte mit den Armen, stampfte mit den Stiefeln, klappte den Oberkörper nach unten, torkelte wie ein Epileptiker zwischen seinen Musikern. Sein Paviangesicht glänzte im Scheinwerferlicht, seine Segelohren warfen Schatten. Zuletzt schwenkte er, zum Endzeitblues seiner Begleiter, seinen Hut über dem Kopf.
Aber egal, was er machte, so sehr er sich auch verrenkte, so dissonant er seine Lieder vortrug, die Leute im Saal waren hin und weg. Sie klatschten und jubelten, die Verehrung dampfte aus dem Saal empor, und keine Dissonanz, kein Misston konnte sich dagegen wehren. Mit einem Mal wurde klar, was sein grösstes Problem als Künstler geworden war: Tom Waits wurde die Rolle nicht mehr los, die er sich zu seinem Schutz geschaffen hatte.
Obwohl er als Künstler die Öffentlichkeit suchte und sie als Performer auch brauchte, war er im Innersten ein scheuer Mensch.
Denn er war gar nicht der, als der er sich gab. Tom war in einem unauffälligen Vorort von Los Angeles aufgewachsen und nach der Scheidung seiner Eltern mit Mutter und Schwestern nach San Diego gezogen. Dennoch inszenierte er sich später als trunkener Penner am Rand der Gesellschaft, lebte zeitweise im Tropicana-Hotel in Los Angeles, dessen Zimmer er mit Zeitungsbeigen, vollen Aschenbechern und leeren Bierflaschen vollmüllte.
Obwohl er als Künstler die Öffentlichkeit suchte und sie als Performer auch brauchte, war er im Innersten ein verschlossener, scheuer Mensch, dem nichts so wichtig war wie sein Privatleben. Auch dabei half ihm Kathleen Brennan, mit der die Familie erst nach New York und dann ins ländliche Kalifornien zog. Sie half ihm auch aus der Selbstparodie hinaus; statt Rollen zu spielen, sang er ab «Swordfishtrombones» über das erfundene Leben anderer.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Seine Rolle als singender Spastiker macht fast vergessen, wie sorgfältig Waits im Studio arbeitete. Er wusste genau, was er von seinen Musikern hören wollte. Auch als Lyriker steigerte er sein Talent als Beobachter und Geschichtenerzähler zu literarischer Grösse und schloss mit seinen Texten an seine Vorbilder wie Charles Bukowski, Jack Kerouac oder Raymond Chandler an, den Neon-Romantiker unter den Kriminalautoren von Los Angeles. Waits schrieb über die Leute, die nicht über sich schreiben konnten. Und die er in seinen unruhigen Jahren als Platzanweiser, Pizzabäcker, Taucher, Patisserieverkäufer, Feuerwehrmann, Autowäscher, Barmann und Türsteher beobachtet hatte.
Als ich ihn im Interview auf die biografischen Bezüge seiner Figuren ansprach, reagierte er ausweichend. «Ich sammle Geschichten, keine Tagebücher», sagte er, «und nicht einmal die Lieder, die ich schreibe, sind die meinigen. Sie gehören denen, die keine Chance haben, gehört zu werden.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.