Horrorsturz vor 30 JahrenDas öffentliche Sterben der Ski-Weltmeisterin
Ulrike Maier stürzt 1994 in einer Abfahrt vor laufender Kamera in den Tod. Die Österreicherin hinterliess eine kleine Tochter – und löste eine Revolution aus.
War ein Fahrfehler schuld? Ein schlecht geschützter Pflock bei der Zeitmessung? Oder war es nur eine elend schlechte Laune des Schicksals?
Es ist der 29. Januar 1994, Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen. Als sich Ulrike Maier aus dem Starttor stösst, hat sie noch wenige Minuten zu leben. Sie rast hinunter, so weit, so schnell.
Bei Tempo 105 verschneidet ihr rechter Ski, er beisst sich ins Eis, reisst sie bergauf. Sie knallt gegen einen mit Strohballen abgedeckten Keil, der die Zeitmessanlage sichern soll. Beim Aufprall gegen den Pflock verliert die Österreicherin den Helm, sie wird auf die Piste zurückgeschleudert, rutscht regungslos talwärts. Halswirbelsäule und Rückenmark werden durchtrennt, der Hirntod tritt ein.
Es sind verstörende Bilder, für die Tausenden im Ziel, die Hunderttausenden vor den Fernsehgeräten. Und heute für jene, die sich den halbminütigen Beitrag auf Youtube ansehen. Der Tod der beliebten Fahrerin wird zur gnadenlos öffentlichen Angelegenheit, die Unfallszenen werden rauf- und runtergespielt. Sogar die Beerdigung wird zum Medienspektakel, samt Direktschaltung.
Immer geht es auch um die vierjährige Tochter. Maier ist eine der wenigen Mütter im Weltcup, beim WM-Titel im Super-G 1989 ist sie im dritten Monat schwanger, bei der Titelverteidigung zwei Jahre später lächelt Melanie im Ziel auf dem Arm von Vater Hubert Schweighofer.
Dieser steht am Tag nach der Tragödie an der Unfallstelle und schwört: «Die Herrschaften werden bezahlen. Ich werde die Verantwortlichen bis in die letzte Instanz verfolgen.» Garmischs OK-Chef erhält Morddrohungen, FIS-Renndirektor Kurt Hoch braucht Polizeischutz.
Zwei Jahre später stehen er und sein Schweizer Stellvertreter Jan Tischhauser vor Gericht, der Prozess endet mit einem Vergleich: Sie zahlen rund 10’000 Franken an die Bergwacht in Garmisch, die FIS überweist aus moralischer Verantwortung 600’000 Franken an einen Fonds zugunsten Melanies. Der Richter begründet: «Eine etwaige Schuld der Angeklagten, falls sie festgestellt worden wäre, wäre gering gewesen.»
Ende Saison hätte sie aufhören wollen
Der Unfall löst eine Revolution im Sicherheitsbereich aus: Die neuartigen taillierten Ski werden reglementiert, grössere Sturzräume und Fangzäune auch an vermeintlich ungefährlichen Stellen vorgeschrieben. Zwecks besserer Orientierung wird blaue Farbe auf den Pisten aufgetragen, Messanlagen werden an biegsame, mit Matten versehene Stäbe montiert – die Kosten für die Veranstalter steigen massiv. Und die Athletinnen müssen eine Erklärung unterschreiben, mit der sie bestätigen, auf eigenes Risiko zu fahren.
Vor 30 Jahren wird die Unglücksabfahrt tatsächlich fortgesetzt. Ulrike Maier stirbt, mit 26. Am Ende der Saison hätte sie aufhören wollen.
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