Veterinär im InterviewWarum sterben in Schweizer Zoos so viele Elefanten?
Tierschützer kritisieren die Haltung der Tiere. Der Chef der Afrikanischen Elefantenzucht in Europa ordnet die Todesfälle ein und erklärt, was schiefgelaufen ist.
Elefanten sind die grossen Stars in einem Zoo. Umso mehr ist das Publikum schockiert, wenn hierzulande ein grauer Riese nach dem anderen stirbt. In der Schweiz hat sich in letzter Zeit regelrecht ein Elefantendrama angebahnt. Im Sommer 2022 fielen im Zoo Zürich die drei Asiatischen Elefantenkühe Ruwani (5), Umesh (2) und Omysha (8) einem Herpesvirus zum Opfer. 2020 starben am Zürichberg kurz nach ihrer Geburt zwei Elefantenbabys: Sie überlebten die schweren Verletzungen durch andere Tiere aus ihrer Gruppe nicht.
Auch im Zoo Basel gab es bei den Afrikanischen Elefanten vor kurzem Verluste. Im vergangenen August musste der Elefantenbulle Tusker (31) nach mehrmonatiger Krankheit eingeschläfert werden, da er an Tuberkulose litt. Durch seine Balanceakte mit Baumstämmen auf Stahlträgern erlangte der ursprünglich aus dem südafrikanischen Kruger Nationalpark stammende und 1995 vom Zoo Wuppertal nach Deutschland importierte Tusker weltweit Berühmtheit und hatte viele Fans auf Tiktok.
Im April 2021 wurde Tusker als einer der besten Zuchtbullen Europas nach Basel geholt, da es im Zolli schon seit rund 30 Jahren keinen Elefantennachwuchs mehr gegeben hatte. Vor knapp zwei Jahren hat er die Leitkuh Heri (47) gedeckt. Nun wurde bekannt, dass das Kalb im Bauch des Muttertiers abgestorben ist. Die erwartete Geburt wäre in den kommenden Wochen gewesen.
Herr Lawrenz, warum sterben in der Schweiz derzeit so viele Elefanten?
Elefanten sind charismatische Tiere, und der Tod eines jeden Elefanten erfährt eine besondere Aufmerksamkeit. Dass in Zürich trotz bester veterinärmedizinischer Versorgung damals gleich drei Asiatische Elefanten hintereinander am Herpesvirus gestorben sind, ist sehr tragisch und ein grosser Verlust, aber nichts Unnatürliches. Bisher gibt es noch keinen Impfstoff für die grauen Riesen, obwohl wir weltweit intensiv daran forschen. Im Zoo werden die an Herpes erkrankten Tiere deshalb mit antiviralen Medikamenten behandelt. Dennoch können wir damit leider nicht alle retten.
Wie ungewöhnlich ist eine solche Folge von Todesfällen?
Auch wenn es nach einer erhöhten Sterblichkeit aussieht, ist es gesamthaft betrachtet ganz normal. Inzwischen haben unsere Elefanten im Zoo sogar eine ähnlich hohe Lebenserwartung wie im Freiland.
Schützt sich der Körper auch selbst vor Herpes?
Grundsätzlich haben vor allem Jungtiere ab dem zweiten Lebensjahr schwere Verläufe, da bei ihnen in dieser Zeit der Schutz durch die Antikörper der Mutter nachlässt. Wenn sich ein Elefant nicht in diesen ersten ein bis zwei Jahren mit dem Herpesvirus auseinandersetzt, verliert er langsam seinen Antikörperschutz und kann dann in den laufenden Jahren schwer erkranken und auch daran sterben.
Der Elefantenbulle Tusker starb diesen Sommer im Zoo Basel an Tuberkulose. Lässt sich dies nicht rechtzeitig behandeln?
Tusker war früher rund zwei Jahrzehnte bei uns im Zoo Wuppertal. Es war bekannt, dass er Kontakt zu einem erkrankten Elefanten hatte. Anders als bei uns Menschen kann man wegen der Grösse bei Elefanten aber keine Röntgenaufnahmen vom Brust- oder Bauchraum machen, die das wichtigste diagnostische Hilfsmittel zur Erkennung von Tuberkulose sind. Eine mehrmonatige Behandlung mit Medikamenten ist sehr schwierig, da man extrem grosse Mengen bitter schmeckender Antibiotika verabreichen muss. Bei einem Elefanten von einigen Tonnen Körpergewicht wären das täglich viele Hundert Tabletten. In der Regel verweigert der Elefant nach wenigen Tagen die orale Aufnahme.
Müsste man ihn überlisten?
Bei anderen Elefanten in Wuppertal hatten wir versucht, die Medikamente in Früchten oder sogar in Coca-Cola zu verstecken. Doch schon beim zweiten Mal haben uns die Tiere die Früchte um die Ohren geschmissen. Aber auch Zäpfchen funktionieren nicht, weil Elefanten jede Stunde einmal Kot absetzen. Ein Stück Holz als Beisssonde in das Maul zu geben und gleichzeitig mit einer Spritze zwei Liter in den Rachen zu verabreichen, klappt ebenfalls nicht. Am Schluss haben wir hier eine Methode entwickelt, bei der wir ein Jahr lang eine gelartige Flüssigkeit mit Antibiotika in den Enddarm der Elefanten gepumpt und täglich die Konzentration der Medikamente im Blut überprüft haben. Eine Pharmafirma hat uns dazu die Rohstoffe der Antibiotika in Fässern zu hundert Kilo beliefert.
Tuskers Nachwuchs ist im Bauch der Mutter Heri gestorben. Was wird nun gemacht?
Der Zoo Basel wird von einem hervorragenden Tierärzteteam betreut, das ständig in Kontakt mit Experten und Expertinnen der verschiedenen Fachgebiete im Ausland ist. Manuelle Geburtshilfe ist bei einem Elefanten nicht möglich. Das Herausziehen des Kalbs funktioniert aus anatomischen Gründen nicht. Auch ein Kaiserschnitt ist aufgrund der Grösse und Anatomie des Tieres ausgeschlossen. Hinzu kommt, dass Wunden bei Elefanten durch ihre dicke Haut nicht gut verheilen. Es gibt Fälle, da bleibt das Kalb in einer Art mumifiziertem Zustand jahrelang oder für immer im Bauch der Mutter, ohne dass sie gesundheitlich beeinträchtigt ist. Wenn sich jedoch die Gebärmutter entzündet und es zu einer Infektion der Bauchhöhle kommt, kann das Muttertier daran sterben oder muss eingeschläfert werden.
Heri hatte früher schon mal eine Totgeburt erlitten. War diese Schwangerschaft ein Risiko?
Nicht die damalige Totgeburt, sondern das hohe Alter des Tieres hat ein Risiko dargestellt. Wir hatten eigentlich nicht damit gerechnet, dass sie noch zeugungsfähig war, sondern vielmehr beabsichtigt, mit einer der beiden jüngeren Elefantenkühe aus der Gruppe zu züchten. Elefanten leben in Sozialverbänden und sind nur ein- bis zweimal im Jahr bereit für eine Fortpflanzung. Trennt man die Mitglieder einer Gruppe, werden sie nicht mehr trächtig. Aus diesem Grund haben wir die Tiere für die Zucht zusammengelassen.
Das ist nun aber schiefgelaufen.
Ja, bedauerlicherweise ist im Zoo Basel nun das eigentlich sehr unwahrscheinliche Worst-Case-Szenario eingetreten. Es ist dumm gelaufen, da stehen wir dazu. Doch wir brauchen den Nachwuchs in den Zoos und müssen dabei auch bewusst gewisse Risiken eingehen, um bei uns in Europa eine gesunde, stabile, sich selbst erhaltende Population aufzubauen, die direkt und indirekt dem Erhalt der Arten in ihrem natürlichen Lebensraum dienen muss.
Könnte es sein, dass Tusker vor seinem Tod noch andere Elefanten mit Tuberkulose angesteckt hat?
Dies ist leider noch nicht auszuschliessen, hat aber mit grösster Wahrscheinlichkeit nichts mit dem Geburtsverhalten im aktuellen Fall zu tun. Eine Tuberkulose entwickelt sich extrem langsam und schleichend. Ein möglicher Interferon-Gamma-Test sagt, dass sich der Körper mit dem Erreger auseinandergesetzt hat, aber nicht, ob man infiziert und krank ist oder ob man ihn erfolgreich abgetötet hat. Mithilfe von Rüsselspülproben muss man wiederholt nach Erregern suchen.
Inwieweit helfen unsere Zoos ihren Artgenossen in Afrika?
Das Wissen und die Erfahrungen, die wir gemacht haben und noch immer machen, müssen wir in die Heimat der Elefanten zurückbringen. Denn diese unterscheidet sich an vielen Orten kaum noch von guten Zoos und besteht nur noch aus kleinen Nationalparks. In der Natur haben wir es verbockt. Denn die Wege für Wanderungen der Elefanten sind oft nicht mehr miteinander verbunden. Der Klimawandel sorgt obendrein für mehr Dürren. Wenn die Tiere nur noch in kleinen Gebieten und isoliert von anderen Gruppen leben, brauchen wir dringend das Know-how aus den Zoos, um zu wissen, wie wir diese Restpopulationen aktiv coachen und managen können.
Gibt es irgendwo auch zu viele Elefanten?
Ja, in Botswana. Dort fressen sie im wahrsten Sinne des Wortes ihren eigenen Lebensraum auf und hinterlassen Wüsten. Pro Tag frisst ein einzelnes Tier mehr als hundert Kilogramm an Holz, Bäumen und Gras. Das meiste davon wird allerdings nicht verwertet und wieder ausgeschieden, weil es hauptsächlich unverdauliche Fasern sind.
Tierrechtsorganisationen kritisieren die Haltung von Elefanten in Zoos. Ist sie überhaupt noch zeitgemäss?
Ja, klar. Doch wir haben früher sicherlich Fehler gemacht und lernen ständig dazu. Zum Beispiel würden wir heute keine Elefantenfamilien mehr trennen, die Töchter bleiben lebenslang bei ihren Müttern und die männlichen Jungtiere wachsen in gleichgeschlechtlichen sogenannten Bachelorgruppen wie in der Natur auf. Wir würden Elefanten heute auch nicht mehr als Wildfang aus Afrika importieren, wie wir es früher gemacht haben. Die Kritik an Zoos kommt jedoch vor allem, wenn irgendwann etwas Dramatisches passiert. Wenn es nach Tierrechtsorganisationen geht, dürfte man überhaupt keine Tiere in menschlicher Obhut halten – auch keine Hunde und keine Katzen.
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