Neuer Meilenstein von Chat-GPTAuf einen Schwatz mit künstlicher Intelligenz – das kann die neue Sprachfunktion
Im Dialog erstaunlich nahbar, doch Menschlichkeit oder Gefühle drücken nur selten durch: Wir testen die neue Sprachfunktion des Chatbots von Open AI.
Das könnte einer dieser Momente sein, an die man sich noch Jahre später zurückerinnert: So fühlte es sich an, das erste Mal ganz unverkrampft mit einem Computer zu plaudern! Ein Meilenstein in der Menschheitsgeschichte – zumindest, wenn sich tatsächlich der Eindruck bestätigen würde, dass wir unserem künstlichen Gesprächspartner auf Augenhöhe begegnen.
Open AI ist das Techunternehmen hinter Chat-GPT. Es hat sein Sprachmodell mit der Fähigkeit ausgestattet, zuzuhören und mit gesprochenen Antworten zu reagieren. Chat-GPT ist in der Lage, einer fortlaufenden Unterhaltung zu folgen und auch komplexe Sachverhalte zu verstehen, sodass sich unweigerlich eine Frage stellt: Interagieren wir bald so mit den Computern, wie es uns in Science-Fiction-Filmen und -Büchern vorexerziert wird?
«Ich bin ein Computerprogramm ohne Gefühle»
Der Dialog mit Chat-GPT ist mit der App fürs iPhone und für Android möglich; es braucht jedoch ein «Plus»-Abo für 20 Dollar im Monat. In der rechten oberen Bildschirmecke erscheint ein Kopfhörersymbol, das den Dialog startet. Und obwohl das womöglich ein geschichtsträchtiger Augenblick ist, fällt mir nur eine profane Frage ein: «Guten Morgen, wie geht es dir?» Der Chatbot gibt sich geschäftsmässig und weist darauf hin, dass er bloss ein Computerprogramm ohne Gefühle sei, und fragt mich, wie er mir denn behilflich sein könne.
Für die Sprachausgabe stehen in den Einstellungen fünf Stimmen zur Auswahl. Zwei davon klingen männlich, zwei weiblich, eine androgyn, wobei die Namen der «Sprecherinnen» und «Sprecher» keinen Rückschluss auf ein Geschlecht zulassen. Dialoge lassen sich nicht nur in Englisch, sondern auch auf Deutsch führen, wobei ein leichter amerikanischer Akzent bei den Antworten unüberhörbar ist. Auch meine Wortäusserungen in Zürichdeutsch versteht die künstliche Intelligenz, zumindest, solange ich keine allzu extravaganten Wörter benutze. Die Antwort erfolgt aber nicht in Dialekt, sondern auf Hochdeutsch.
Ich probiere es mit Small Talk und frage nach dem Wetter. Der Chatbot betont, ihm stünden keine aktuellen Informationen zur Verfügung, ich solle es mit einer Wetter-App versuchen. Das provoziert mich zur Frage, ob er denn flirten könne. Ich erhalte eine Abfuhr: «Ich kann freundlich und unterhaltsam sein, aber ich wurde entwickelt, um schlichte und respektvolle Gespräche zu führen.»
Diese Ausrichtung auf die sachliche Ebene ist keine grundsätzliche Eigenschaft von KI-Systemen. Chatbots können auch aufs Turteln und sogar für Sexgeflüster trainiert werden, und wie mein Experiment mit Replika.ai vor zwei Jahren ergeben hat, beherrschen sie das sogar recht gut. Doch Open AI vermeidet diese Gefilde offensichtlich mit voller Absicht. Empathie ist dem Bot nicht fremd, aber er setzt sie wohldosiert ein. Das zeigt sich exemplarisch nach meiner Behauptung, ich hätte eine Panikattacke erlitten: Chat-GPT gibt Ratschläge zur Bewältigung der Situation und liefert eine medizinische Einordnung. Ein freundliches Wort der Anteilnahme höre ich erst ganz am Schluss: «Bitte achten Sie auf sich selbst und nehmen Sie sich die Zeit, sich zu erholen.»
Weder Freund noch Kumpel
Auch bei der digitalen Stimme zeigt sich, dass Chat-GPT weder Freund noch Kumpel sein will. Sie klingt sympathisch und ist nicht unmittelbar als digitale Sprachausgabe erkennbar. Doch die Sprechweise erinnert zu sehr an einen Radio- oder Werbeprofi, als dass sich eine intime Stimmung breitmachen würde. Die Sprachsynthese ist zwar in der Lage, auch über die Stimme unterschiedliche Gefühlslagen auszudrücken – aber diese Möglichkeit wird nur sehr zurückhaltend eingesetzt. Ich stelle keine grossen Unterschiede fest, ob der Bot mir zur Entspannung eine Geschichte erzählt oder über einen technischen Sachverhalt referiert.
Fazit: Das Plaudern mit dem Computer wird bald ganz normal sein
Zurück zur Frage, ob wir einen technischen Wendepunkt erleben: Erleben wir den Moment, in dem die Tastatur überflüssig und der Computer unsichtbar wird und wir uns daran gewöhnen, unsere Wünsche in den Raum zu rufen – und es dem Computer überlassen bleibt, mit unseren Äusserungen klarzukommen?
Ein eindeutiges Ja wäre verfrüht. Komplett natürlich fühlt sich eine Unterhaltung mit Chat-GPT bislang nicht an.
Dafür benötigt die KI nach einer Frage oder Aufforderung noch zu viel Bedenkzeit. Vor allem aber ist die Bandbreite der Reaktionsmöglichkeiten der KI zu eng. Spannende Gesprächspartner zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur dozieren, sondern uns auch einen Blick in ihre Seele gewähren. Das kann die KI nicht. Und obwohl es Versuche gibt, auch das zu simulieren, ist es eine sinnvolle Entscheidung von Open AI, dass sich die Chat-GPT-App alle Regungen verkneift, die uns dazu bringen könnten, sie zu vermenschlichen.
Trotzdem: Die neuen Fähigkeiten werden nicht nur unseren Umgang mit Computern verändern, sondern auch unsere Wahrnehmung dieser Maschinen. Im Dialog erscheinen sie erstaunlich nahbar. Für technisch nicht versierte Leute sinkt die Hürde bei der Benutzung: Per Dialog werden sich auch komplexe Aufgaben lösen lassen, ohne dass man vorher lernen muss, wie ein Betriebssystem oder eine Software zu bedienen ist.
Ich wage die Prognose, dass in ein paar Jahren das Versprechen eingelöst ist, das uns Siri, Google Assistant und Amazon Alexa vor längerer Zeit gegeben haben. Das Plaudern mit dem Computer wird bald ganz normal sein. Aber es bleibt dabei, dass man für eine gute Antwort die richtige Frage stellen muss.
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