TV-Kritik «Tatort»«Last Christmas»: Auf der Suche nach dem rechten Platz fürs Herz
Der Bremen-«Tatort» vom 2. Advent führt in ein Bilderbuchhaus am Ende der Welt und ein Agatha-Christie-Rätsel hinein.
«I don't believe in an interventionist God», singt Nick Cave in der letzten Minute des neuen Bremen-«Tatorts», und endlich, endlich fängt es an zu schneien. Die Toten bleiben zwar tot, doch eine tränenreiche Vergebung sorgt zusammen mit dem Schnee für weihnachtliche Stimmung. Aber ganz so süss-sämig wollte das Team rund um den Bremerhavener Regisseur Sebastian Ko den Krimi vom 2. Advent dann doch nicht enden lassen, also folgt noch eine Rückblende in jene fatale Nacht, in der das Sterben im Fall «Stille Nacht» konkret seinen Anfang nahm (weniger konkret reicht das Geschehen in Wahrheit sogar Jahrzehnte zurück). Nichts hätte verkehrter sein können als das damals abgegebene Versprechen «Es wird alles gut».
Kommt man mit wohligem Schmerzensgroove und bittersüsser Sentimentalität gut klar, wird man mit dieser Geschichte aus der Hand des Drehbuchduos Daniela Baumgärtl und Kim Zimmermann sicher warm werden. Zur nötigen Härte tragen unter anderem die Kommissarinnen bei: die eher menschenfeindliche, technikverliebte höhere Tochter Linda Selb (Luise Wolfram) und die raue Proletariertochter Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) – sowie die neu eingeführte Rechtsmedizinerin, mit authentischem US-Akzent gespielt von der aus New York stammenden Schauspielerin und Sängerin Helen Schneider. Drei Frauen mit Haaren auf den Zähnen, alle keine Festtagsfans.
Doch auch bei Familie Wilkens herrscht nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen. Unter der Oberfläche knistern alte Konflikte, in den schönen Räumen schreit ständig das Baby, und nach der langen Karaokeparty mit Whams «Last Christmas» – aua! – wird buchstäblich eine Leiche im Keller gefunden, nämlich die von Familienpatriarch und Kapitän Hendrik Wilkens.
Dabei war der ein cooler Typ und lebte mit seinem Ehemann in dem weiss getünchten, mit Lichterketten dekorierten Bilderbuchbauernhaus mit Fachwerk, Reetdach und Blick auf den Deich. Am Ende der Welt sozusagen, über das schnatternd die Wildgänse fliegen. Alle waren zum Fest gekommen: die Tochter des Kapitäns, dessen Frau vor langer Zeit an Krebs gestorben ist; der Sohn mit Frau und kleinen Kindern; auch ein einsamer philippinischer Matrose war eingeladen.
Und einer von denen muss der Täter gewesen sein: Genau, wir sind in einem Agatha-Christie-Rätsel gelandet, bloss die Dienerschaft fehlt. Milieustudien gibts dennoch, vom Besuch bei der Bremer Seemannsmission bis zum kritischen Seitenblick auf den latenten Rassismus der Polizei. Und wie in Christies Romanen entwickeln die Ermittlerinnen imaginäre Rückblenden, um schliesslich herauszufinden, dass die Sache sich völlig anders zugetragen hat.
Trotzdem wartet «Stille Nacht» nicht wirklich mit grossen Überraschungen auf. Aber als gefällig illustrierte Untersuchung der Graubereiche des Menschelns und Gutmenschelns, abseits von jedem billigen Verbrecherplot, sorgt der Adventskrimi für ansprechend zwiespältige «Christmas»-Gefühle.
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