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TV-Kritik «Tatort»
«Du bist für mich gestorben», sagt die Mutter – und dann ist die Tochter tot

Aufwachsen auf dem Land: Kein Leben auf dem Ponyhof, jedenfalls nicht für Emma (Irene Böhm). Den Kommissaren (Richy Müller, links, und Felix Klare) will sie aber nichts darüber sagen.
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Das Dorf schmiegt sich ins Knie der Grossen Lauter, eine denkmalgeschützte Barockkirche und eine pittoreske Burgruine gibt es auch. Ein Location-Scout hat die 120-Seelen-Gemeinde Bichishausen im Biosphärengebiet Schwäbische Alb für den Dorfkrimi von Autor Norbert Baumgarten aufgetan: ein guter Griff.

Die klassische Kombination Idyll und Enge wird hier auch mal unkonventionell serviert. Da hat Mutter Riedle – umwerfend in ihrer verbitterten Herrschsucht: Julika Jenkins – den Tisch gedeckt, die selbst gekneteten Semmelknödel auf den Tellern verteilt, und plötzlich bricht das ganze Elend der letzten Tage über sie ein.

Ihre älteste Tochter Hannah wurde ermordet, der Mörder ist nicht gefasst, und der letzte Satz, den sie an Hannah gerichtet hatte, lautete: «Dann bist du für mich gestorben.» Jetzt stopft sie im Dunkeln einen Knödel nach dem anderen in sich hinein – so viele, bis sie keine Luft mehr bekommt. Sie will ersticken, so wie das Leben auf der Alb die Tochter erstickt hat.

Details in Grossaufnahme

Überhaupt ist es eine Wucht, wie das Weh hier in Bilder gepackt wird (starke Regie: Andreas Kleinert). Ständig scheint es grau zu sein in dem niedlichen Ort, und der schwarze Riesenschnauzer bellt, sobald ein Fremder auftaucht. Expressiv wird auf die Details in diesem tragischen Stillleben gezoomt und klug geschnitten: etwa von der Jagdwaffe im Wald zur Startpistole am Sportplatz. In dieser kleinen Welt wird ein zuckender Finger, ein verzogener Mund ganz gross. Und unheimlich unkt und klopft das Schlagzeug in den Film hinein, als würde es dirigiert von Edgar Allan Poe.

Vater Riedle (Moritz Führmann), der alles zusammenhalten wollte, verzweifelt.

Die Gaststätte der Familie Riedle ist so schäbig wie der Familienkäfig; in den Gastzimmern tröpfeln die Wasserhähne, die Weihwasserkessel hängen schief. Die Männer des Dorfs arbeiten in der Betonfabrik, basteln in der Freizeit am Häusle und gehen am Wochenende auf die Jagd; die jungen Frauen trainieren im Sportverein und planen ihre Hochzeit. 

Hannah hatte mehr gewollt. Am Anfang sehen wir sie jubelnd den traditionellen «Löffler-Lauf» gewinnen: ein Rückblick. Später war sie dem Ort davongerannt, hatte ihre Verlobung gelöst und war ab nach Stuttgart für eine Tischlerlehre. Ihre Mutter hatte sie verdammt, ihr Ex-Freund bekniet, ihr Verehrer gestalkt. Ihre kleine Schwester Emma war verletzt und ihr Vater (eindrücklich: Moritz Führmann) verzweifelt um familiäre Versöhnung bemüht. Jetzt ist sie tot.

Tristesse überall

Aber alles kommt noch viel düsterer. Nicht nur deshalb, weil Hannahs Leben in der Stadt gleichfalls recht trübe ausschaute, wie die Stuttgarter Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) herausfinden. Sie sind hier nicht die Stars, sondern stolpern fast versehentlich in die Lösung hinein, und zwar in der fantastischen, weiss leuchtenden Stuttgarter Stadtbibliothek, diesem Hort der Aufklärung – zu spät, zu spät.

Tristesse überall, krass falsch verstandenes Pflichtgefühl und böser Zufall. Unter uns: So verkorkst wie hier kann das Leben doch einfach nicht sein, auch nicht in der Provinz. Aber wenn doch: Besser als in «Lass sie gehen» kann man das kaum zeichnen.