Corona trifft Selbständige und KMU Taggeld-Versicherte müssen deutlich mehr einzahlen
Mit der Pandemie sind die Erwerbsausfälle und damit die Schäden förmlich explodiert. Viele Firmeninhaber und Angestellte müssen Aufschläge von bis zu 26 Prozent hinnehmen.
Dass seine Kunden wegen der Pandemie zum Teil weggeblieben sind, hat den Shiatsu-Therapeuten François Sennhauser (Name geändert) schon hart getroffen. Nun teilte ihm auch noch die Versicherungs- und Vorsorgeberatungsfirma Fairsicherung mit, die Prämie für seine Krankentaggeldversicherung werde wegen Corona im nächsten Jahr um satte 26 Prozent teurer. Will er im Krankheitsfall weiterhin zumindest einen Teil seiner Einkünfte erhalten, muss er 1260 statt 1000 Franken bezahlen.
Vielen Selbstständigerwerbenden und KMU wird es ähnlich wie François Sennhauser ergehen, wie eine Umfrage bei den führenden Krankentaggeldversicherern zeigt. Das liegt daran, dass ihr Geschäft schon vor Corona schlecht rentierte. 2019 hatten die meisten Versicherer eine sehr hohe Schadenquote von 80 Prozent oder mehr ausgewiesen. Das ergab eine Marktanalyse des Vermögenszentrums, die demnächst veröffentlicht wird.
Diese Quote zeigt den Anteil der ausgezahlten Versicherungsleistungen und gebildeten Reserven am gesamten Prämienertrag. Um das Geschäft profitabel zu betreiben, sollte sie unter 75 Prozent liegen, sagt Simon Tellenbach, Autor der Marktanalyse.
Die meisten Versicherer rechnen mit höheren Kosten
Dann kam Corona und damit eine zusätzliche Belastung der Taggeldversicherer. Wie hoch sie genau ist, ist unklar, da die Zahlen der eidgenössischen Finanzmarktaufsicht für das vergangene Jahr erst im kommenden Frühjahr veröffentlicht werden. Die meisten der befragten Versicherer rechnen aber mit steigenden Leistungen.
Jene der Swica sind im vergangenen Jahr um 10 Prozent gestiegen, wie Kommunikationschefin Silvia Schnidrig sagt. Auch im laufenden Jahr liegen sie deutlich über dem Vor-Corona-Niveau. Mit einem Prämienvolumen von 854 Millionen Franken ist Swica die mit Abstand grösste Anbieterin im 3,9-Milliarden-Markt der Taggeldversicherungen. Sie ist auch der Verbandsversicherer von Gastro Suisse, der von der Pandemie besonders stark betroffenen Branche.
Überdurchschnittlich stark seien die Leistungen in Branchen mit Kundenkontakt gestiegen, erklärt Schnidrig. Auch die wirtschaftliche Unsicherheit wirke sich auf Häufigkeit und Dauer der Krankheiten aus.
Helsana-Sprecherin Dragana Glavic-Johansen nennt die Zusatzkosten infolge Corona ebenfalls «spürbar». Noch seien zwar die Folgen der Rückkehr aus dem Homeoffice oder aus der Kurzarbeit schwer abzuschätzen. «Erwartet wird jedoch ein Anstieg der Leistungskosten, hauptsächlich im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen und daraus resultierenden Arbeitsunfähigkeiten.»
Auf mögliche Spätfolgen der Corona-Krise weist Axa-Sprecherin Simona Altwegg hin: «Wir wissen aus vergangenen Wirtschaftskrisen, dass die Anzahl schwerwiegender Krankheitsfälle mit der Zunahme von Arbeitslosenquoten und weiteren negativen Wirtschaftsfaktoren ebenfalls steigt.»
Die Zürich-Versicherung führt die überdurchschnittliche Steigerung der Taggeldzahlungen nicht nur auf psychische Erkrankungen wegen des Lockdown und der unsicheren Wirtschafts- und Arbeitslage zurück – sondern auch auf zunehmende Erkrankungen am Bewegungsapparat. Als Grund nennt Sprecher Kay Schubert fehlende sportliche Tätigkeiten infolge Covid-19 sowie ungünstige ergonomische Arbeitsbedingungen im Homeoffice.
«Eine Prämienerhöhung wird zur Profitabilisierung der Branche nicht zu umgehen sein.»
«Es sind nicht nur die Corona-Fälle allein, sondern vielmehr die Begleitumstände sowie eine markante Zunahme der Dauer der Arbeitsunfähigkeit», sagt Allianz-Sprecher Bernd de Wall. Er sagt voraus: «Da die meisten Versicherer schon zuvor eine sehr hohe Schadenbelastung ausgewiesen haben, wird eine Prämienerhöhung zur Profitabilisierung der Branche nicht zu umgehen sein.»
Wie stark diese allerdings ausfallen soll, will er für sein Unternehmen nicht verraten. Auch der Rest der Branche hält sich bedeckt. Es lassen sich höchstens Aussagen wie die folgenden entlocken: «Die Tendenz zeigt nach oben.» (Groupe Mutuel) Oder: Man werde «individuell und bedarfsgerecht einzelne Verträge anpassen» und behalte sich je nach Entwicklung weitere Anpassungen vor. (Swica) Und: «Preiserhöhungen sind möglich.» (Helsana)
Viele Versicherer weigern sich, Offerten auszustellen
Für rund 1200 Kundinnen und Kunden der Fairversicherung – darunter viele Freiberufler wie Künstlerinnen oder Therapeuten – ist die Preiserhöhung um 26 Prozent bereits Tatsache. So hat es die Beratungsfirma mit der Genossenschaft Branchenversicherung, die für verschiedene Branchen Versicherungslösungen anbietet, ausgehandelt.
Fairversicherung-Chef René Grünig ist froh, dass die Prämien nicht noch stärker gestiegen sind. Und es sei für viele Kundinnen und Kunden besser, eine höhere Prämie zu zahlen, als gar keine Versicherung zu erhalten. Denn: «Wir führen jetzt Jahresgespräche mit den Versicherern, und diese sagen klar, wen sie nicht wollen: Leute aus der Tourismusbranche oder aus dem Gastgewerbe etwa oder über 50-Jährige, auch wenn sie nie einen Schadenfall hatten.»
Seit dem dritten Quartal des vergangenen Jahres seien viele Versicherer nur sehr eingeschränkt bereit, Offerten für eine Taggeldversicherung zu berechnen, bestätigt Simon Tellenbach vom Vermögenszentrum. Einige verlangten eine Wartefrist von 30 oder 60 Tagen. Andere würden die Krankentaggeldversicherung nicht mehr einzeln anbieten, sondern nur in Kombination mit anderen Versicherungen wie der Unfall- oder Haftpflichtversicherung. Oder sie weigerten sich schlicht ganz, eine Offerte auszustellen.
Höhere Prämien treffen auch die Lohnempfänger
Eine Prämienerhöhung erscheint da als das kleinere Übel. Allerdings eines, das nicht nur die Selbstständigerwerbenden und KMU treffen könnte, sondern auch die breite Masse der Lohnempfänger.
Helvetia-Sprecher Jonas Grossniklaus weist auf die pandemiebedingte Zunahme der psychischen Erkrankungen hin, die oft hohe Kosten verursachten. «Dies dürfte sich auch auf die kollektive Krankentaggeldversicherung auswirken», warnt er. Wobei der Effekt je nach Portefeuille des einzelnen Versicherers unterschiedlich ausfallen werde.
Am Ende könnten das auch die Angestellten in der Lohntüte spüren. Denn die Arbeitgeber können von Gesetzes wegen bis zur Hälfte der Prämien auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überwälzen.
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