Syriens ZukunftErdogan will seine Macht ausbauen, Netanyahu auch. Und was macht Trump?
Viele Syrer hofften nach Assads Sturz auf bessere Zeiten. Nun droht das Land zu zerfallen, weil die Türkei, Israel und weitere Mächte dort ihre eigenen Ziele verfolgen. Ein Überblick.

Vor etwas mehr als drei Monaten fiel die Diktatur von Bashar al-Assad in Syrien. Millionen Menschen hofften auf eine bessere Zukunft – die bisher nicht eingetreten ist. Die Sicherheitslage ist schwierig, die wirtschaftliche Situation auch. Übergangspräsident Ahmed al-Sharaa hat die Löhne der staatlichen Angestellten bisher nicht wie versprochen erhöht, die meisten bekommen nicht einmal umgerechnet 100 Franken im Monat.
Dass Syrien bisher nicht wieder auf die Beine kommt, es keinen Plan zum Wiederaufbau gibt, liegt auch daran, dass die Gross- und Regionalmächte völlig unterschiedliche Vorstellungen haben, wie die Zukunft Syriens aussehen soll. Ein Überblick über die Interessen:
Türkei: Erdogan will sein Land als Regionalmacht
Präsident Recep Tayyip Erdogan war nach dem Sturz des Assad-Regimes erst einmal der grosse Gewinner. Die Türkei hatte die siegreiche Rebellengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) jahrelang unterstützt, Übergangspräsident Ahmed al-Sharaa hat enge Kontakte zum türkischen Geheimdienst. Schon wenige Tage nach dem Umsturz konnte man in Damaskus mit der türkischen Lira bezahlen, türkische Waren überschwemmen den syrischen Markt.
Für Ankara ist Syrien ein grosser Markt für die heimische Wirtschaft und ein wichtiger Baustein für Erdogans Ziel, im Nahen Osten eine wichtige Regionalmacht zu werden. Der türkische Präsident möchte ein stabiles Syrien, das von einer sunnitisch-islamistischen HTS-Regierung dominiert wird. Die türkische Armee soll bereits erste Militärbasen im Land errichten.

Einig sind sich Erdogan und al-Sharaa aber nicht immer, vor allem, was die Haltung gegenüber den Kurden in Nordsyrien angeht. Die HTS-Regierung schloss mit den dortigen Syrian Democratic Forces (SDF) ein Abkommen, das diese voll in die reguläre syrische Armee überführen soll. Zum Ärger der Türkei, die die SDF als verlängerten Arm der Terrorgruppe PKK sieht und regelmässig bombardiert.
Israel: Netanyahu will ein schwaches Syrien
Für Israel war der Nachbar Syrien in den vergangenen Jahren immer ein Problem, das Regime von Bashar al-Assad überlebte nur so lange, weil Waffen aus dem Iran und die Kämpfer der mit den Mullahs verbundenen libanesischen Hizbollah an vorderster Front gegen die Rebellen kämpften. Im Gegenzug nutzten Teheran und die Hizbollah das Land als Nachschublinie in den Libanon, um von dort Israel zu bedrohen und zu beschiessen. Weil diese Route mit dem Fall von Assad gekappt wurde, konnte Israel auch so erfolgreich die Hizbollah bekämpfen, die so geschwächt ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Die Regierung von Benjamin Netanyahu will ein schwaches Syrien, das keine Gefahr für ihn werden kann. Dessen Armee keine Flugabwehr hat, die israelische Luftangriffe abfangen könnte. Allein in den ersten Tagen nach Assads Sturz zerstörte Israel fast die gesamte syrische Luftwaffe und Marine. Netanyahu bietet den Kurden im Norden seine Unterstützung an, allein deshalb, weil sie Erdogans Gegner sind.
Netanyahu sprach sich sogar für den Verbleib der Russen in Syrien aus, die dort zwei Stützpunkte haben. Sie sollen ein Gegengewicht zum Erzfeind Türkei bilden, mit dem Israel um die Hegemonie in der Region konkurriert. Im Süden Syriens hat Israel weitere Gebiete besetzt und mindestens neun Militärbasen eingerichtet.
Kritiker, auch im eigenen Land, glauben, dass Netanyahu mit seiner Politik genau das Chaos herbeiführen wird, das er doch eigentlich vermeiden will. Die syrische Wirtschaft droht zu kollabieren, auch weil das Land wegen der US-Sanktionen weitgehend vom internationalen Finanzsystem abgeschnitten ist. Netanyahu drängt US-Präsident Donald Trump immer wieder, die Sanktionen aufrechtzuerhalten.
USA: Unterstützt Trump Israel oder die Türkei?
Die Haltung der USA wird entscheidend sein dafür, wie es mit Syrien weitergeht. Nur spielt das Thema für Trump keine grosse Rolle. Das kann gut sein für Syrien – oder auch nicht. Auf der einen Seite hat der US-Präsident nach dem Sturz Assads klar gemacht, dass er die Lage für hoffnungslos hält: «Syrien ist ein Schlamassel, aber es ist nicht unser Freund», schrieb er am selben Tag in seinem sozialen Netzwerk Truth Social. Auf der anderen Seite hat er nicht, wie von vielen befürchtet, die etwa 2000 verbliebenen US-Soldaten abgezogen, die in Nordsyrien die Ölquellen schützen und die Lager mit den gefangenen IS-Terroristen – und auch die Kurden vor der Türkei.
Wie es in Syrien weitergeht, wird auch davon abhängen, auf welche Seite Trump sich ziehen lässt, auf die Israels oder die der Türkei. Erdogan hat ihn vor wenigen Tagen wieder angerufen und gebeten, die Sanktionen zu beenden. Der türkische Präsident sprach davon, «wie wichtig es ist, gemeinsam zur Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien beizutragen, um die Stabilität wiederherzustellen, die neue Regierung funktionsfähig zu machen und die Normalisierung zu unterstützen». Trump hat sich nach dem Telefonat bislang nicht öffentlich geäussert.
Arabische Staaten: Bisher wenig Unterstützung
Länder wie Saudiarabien oder Katar stützten viele Jahre lang die Opposition gegen Assad, verloren aber in den vergangenen Jahren den Glauben, dass der Sturz noch gelingen könne, nahmen Assad schliesslich sogar wieder in die Arabische Liga auf. Auch Interimspräsident al-Sharaa will gute Beziehungen zu den Golfstaaten und Syrien vom Iran lösen, seine erste Reise führte ihn nach Saudiarabien. Von dort kam aber bisher wenig Unterstützung, weder finanziell noch in Form eines Plans, wie es mit dem Land weitergehen soll.
Iran: Ein instabiles Syrien nützt den Mullahs mehr
Für Teheran war der Fall von Assad ein traumatisches Ereignis, das die Achse des Widerstands gegen Israel massiv schwächte. Aufgegeben haben die Mullahs das Land aber noch nicht, vieles deutet darauf hin, dass der Angriff von Assad-treuen Alawiten auf die Sicherheitskräfte des neuen Regimes vom Iran unterstützt wurde. Ein schwaches und instabiles Syrien ist in dessen Interesse, so könnte es das Land wieder als Schmuggelroute in den Libanon gewinnen.
Russland: Putin braucht die Militärstützpunkte
Präsident Wladimir Putin gehört zu den klaren Verlierern von Assads Sturz, er hatte das Regime jahrelang gestützt, mit seinen Bombern ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht. Putin hofft zumindest, seine zwei Militärstützpunkte behalten zu können, vor allem die Luftwaffenbasis nahe Tartus. Von dort fliegen Militärmaschinen nach Libyen, in den Sudan und in die Zentralafrikanische Republik, wo Russland grosse Bodenschätze ausbeutet.
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