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Interview zur Situation der syrischen Kurden
«Ziehen die Amerikaner ab, fürchte ich Unruhen»

Der Oberbefehlshaber der Syrischen Demokratischen Kräfte, Mazloum Abdi, während eines Interviews in der nordöstlichen Stadt Hasakeh in Syrien am 26. Oktober 2024.
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In seiner Kommandozentrale steht ein Regal, darin lauter US-amerikanische Militärauszeichnungen. Mazloum Abdrdi, mit bürgerlichem Namen Ferhat Abdi Şahin, befehligt die SDF, ein kurdisch-arabisches Bündnis, das mit dem Westen den Islamischen Staat niedergekämpft hat – und ihn immer noch bekämpft. Den SDF fiel ungefähr ein Drittel Syriens zu, der Norden und der Osten, dazu Tausende IS-Männer und ihre Familien. Heute ist Abdi neben dem neuen Präsidenten Ahmed al-Sharaa einer der mächtigsten Männer im Land.

Und während im Rest Syriens der Krieg vorbei ist, geht er im Norden weiter: Die Türkei und verbündete Söldner greifen die SDF fast täglich an, für sie gehören diese zur verbotenen PKK-Miliz. Noch 2000 US-Soldaten, die Donald Trump eventuell abziehen will, sind im Gebiet stationiert. Wenige Tage vor dem Gespräch hat die PKK einen Waffenstillstand verkündet. Ihr Gründer Abdullah Öcalan hatte aus seiner türkischen Gefängniszelle heraus einen Frieden gefordert.

Herr General, die USA haben gerade ihre Militärhilfe für die Ukraine gestrichen. Fürchten Sie, dass Donald Trump auch die US-Truppen aus Ihrer Region abziehen wird?

Ich glaube, die neue US-Regierung arbeitet gerade an ihrem Plan für Syrien. Noch wissen wir nicht, wie er aussehen wird – wie sich die Vereinigten Staaten gegenüber der neuen syrischen Regierung in Damaskus verhalten werden und was das für die amerikanischen Truppen bedeutet. Der Grund, warum die US-Armee hier ist, ist der Kampf gegen den IS. Dieser Grund existiert immer noch.

Im IS sehen Sie nach wie vor eine relevante Gefahr?

Die Gefahr ist hoch, die Situation in Syrien ist noch immer nicht stabil. Es ist dringend geboten, dass die Amerikaner bleiben und verfolgen, was hier passiert. Wenn sie jetzt abziehen, fürchte ich Chaos und Unruhen. Es sind die US-Truppen, die für Balance und Ausgleich in unserer Region sorgen. Ihr Abzug würde anderen Akteuren nützen.

Also radikalen Gruppen wie dem IS?

Ja. Ich sage nicht, dass die USA für immer bleiben müssen. Aber so lange, bis wir für Syrien eine langfristige politische Lösung gefunden haben.

In Europa wird gerade viel darüber gesprochen, wie man sich künftig etwa mit der Ukraine ohne die USA verteidigen kann. Könnten die Europäer in Syrien die Lücke füllen, falls die USA ihren Einsatz beenden?

Wir haben das schon einmal vorgeschlagen, aber ich glaube nicht, dass die Europäer dazu bereit sind. Das Problem ist, dass sich die Türkei dagegen wehrt. Die Türkei will nicht, dass eine weitere Partei in der Region präsent ist.

Auch Trumps Kürzungen der US-Hilfen betreffen Sie. Sein Aussenminister Marco Rubio hat für das Al-Hol-Camp, in dem 38’000 Angehörige von IS-Kämpfern leben, eine dreimonatige Frist gestellt – für die Zeit danach ist nicht klar, ob die USA noch Gelder für das Lager bereitstellen. Falls nicht, was würde passieren?

Es ist ein ernstes Sicherheitsrisiko. Die SDF haben nicht die Kapazitäten, für die IS-Lager und die Gefängnisse allein aufzukommen. Falls die Hilfszahlungen eingestellt werden, könnte es Unruhen geben. Es könnte die ganze Region destabilisieren. Was wir benötigen, ist eine dauerhafte Lösung für die Gefängnisse und die Lager.

Klingt, als gäbe es gar keine Alternative zu den USA.

Absolut, es gibt keine Alternative. Wir haben zehn Jahre lang gemeinsam mit ihnen gegen den IS gekämpft. Jetzt können wir nur abwarten, was die neue US-Regierung für Syrien will.

Wenn Sie nach all den Jahren und nach Bashar al-Assads Ende auf Ihr Land blicken, haben Sie ein gutes Gefühl oder machen Sie sich Sorgen?

Ich muss optimistisch bleiben, aber wir stehen vor vielen Problemen. Dafür brauchen wir Partner, allein werden wir es nicht schaffen. Zwei Dinge stehen als Erstes an. Das eine ist ein Waffenstillstand im Norden, also mit der Türkei; das andere ist ein Abkommen mit der neuen syrischen Regierung. Da bin ich vorsichtig optimistisch.

«Beim Abkommen mit der neuen syrischen Regierung bin ich vorsichtig optimistisch.»

Dazu sind Sie aktuell in Verhandlungen. Was dachten Sie, als Sie den Aufruf von Abdullah Öcalan lasen, der die PKK zum Niederlegen der Waffen aufforderte?

Als SDF bekamen wir schon vorher eine Botschaft von ihm, insofern waren wir von dem Aufruf nicht überrascht. Wir begrüssen ihn, er ist ein historischer Schritt hin zu einer Lösung für die Kurdinnen und Kurden. Er wird den ganzen Nahen Osten verändern. Wir schliessen uns dem Aufruf also an.

Aber fühlen Sie sich denn von Öcalan mit angesprochen? So sieht es die Türkei, sie will, dass auch Sie sich entwaffnen.

Nein. Es ist klar, dass sich der Aufruf nicht uns richtet. Wir sind kein Teil der PKK, auch wenn es das in der türkischen Presse heisst. Öcalan hat uns in seiner Nachricht an uns als Freunde angesprochen, nicht als Kameraden.

Dass die SDF ihre Waffen niederlegen, steht also nicht zur Debatte?

Wir unterstützen Öcalans Aufruf, und wir werden tun, was wir können, damit er Erfolg hat. Was aber von uns erwartet wird, ist etwas anderes. Wir sind in Syrien. Die Lösung für die SDF diskutieren wir in Syrien, und wir werden sie gemeinsam finden.

Sie meinen, dass sich die SDF in die neue syrische Armee eingliedern. Ändert der Aufruf von Abdullah Öcalan also gar nichts an Ihrem Verhältnis zur Türkei?

Wir wollen einen Waffenstillstand. Die Türkei hat ihr Bombardement von Nordsyrien immer mit der PKK begründet, jetzt finden die beiden Konfliktparteien eine Lösung. Damit sollten auch die türkischen Angriffe auf unsere Region enden.

Würden Sie direkt mit der Türkei verhandeln?

Natürlich, wir sind bereit.

Was erwarten Sie denn von der türkischen Regierung, damit es einen dauerhaften Frieden geben kann?

Sie muss nun ihren Teil erfüllen. Nach 40 Jahren des Krieges hat die PKK einen einseitigen Waffenstillstand verkündet, der bereits gilt. Jetzt geht es darum, dass die Kurdinnen und Kurden ihren Widerstand auf friedliche und demokratische Art und Weise ausüben können. Es geht um ihre vollen politischen Rechte. Die sollten auch in einer neuen türkischen Verfassung enthalten sein.

Geht es auch um eine Amnestie für die kurdischen Gefangenen in der Türkei?

Das meine ich mit den politischen Rechten. Die Gefangenen, denen man PKK-Mitgliedschaft vorwirft, müssen freikommen. Das gilt auch für Öcalan selbst. Und die Türkei muss ihre Tore öffnen für die Kämpfer, die nun ihre Waffen niederlegen, damit sie sich in der Türkei fortan politisch entfalten können.