Gerichtsprozess in LondonWie die BBC zwei bulgarische Spioninnen im Einsatz für Russland enttarnte
Eine Zelle soll in London Spionage für Russland betrieben und Aktionen geplant haben. Das britische Medienhaus hat zwei weitere mutmasslich beteiligte Frauen ausfindig gemacht.

In London läuft derzeit ein Gerichtsprozess gegen sechs Bulgarinnen und Bulgaren wegen mutmasslicher Spionage für Russland. Sie sollen alle Teil einer Zelle in London gewesen sein, die gezielt Journalisten, die zu russischen Geheimdienstaktivitäten recherchiert haben, ausspioniert hat. Drei von ihnen wurden bereits Anfang März wegen «Verschwörung zur Spionage» verurteilt. Es handelt sich um die bulgarischen Staatsangehörigen Katrin Ivanova, Vanya Gaberova und Tihomir Ivanchev. Die Polizei spricht von einer der grössten ausländischen Spionageaktionen Grossbritanniens.
Der Kopf der Zelle sei Orlin Roussev gewesen, der von einem Guesthouse aus operiert habe. Bei ihm habe die Polizei «einen Schatz an Spionagegeräten» sicherstellen können, darunter in Krawatten versteckte Kameras, eine in einem falschen Felsen versteckte Kamera und Gläser mit Aufnahmegeräten. Die Polizei fand auch mehrere Kuscheltiere der Minions, darunter eines mit einer Spionagekamera. Roussev soll seine Teammitglieder auch als «Minions» bezeichnet haben – ähnlich den gelben Handlangern des Bösewichts Gru in der Kinderfilmreihe «Ich – Einfach unverbesserlich».
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Roussev und zwei weitere Mitglieder, Biser Dzhambazov und Ivan Stoyanov, sind geständig. Die Zelle soll Entführungen und die Tötung von Zielpersonen geplant haben. Laut der Metropolitan Police nutzten sie dabei Methoden, «wie man sie in einem Spionageroman erwarten würde».
Die «hoch entwickelte Spionagezelle» soll laut BBC von Moskau aus vom ehemaligen Wirecard-Topmanager Jan Marsalek gesteuert worden sein. Marsalek steht im Verdacht, gleich in mehreren Fällen Spionage für die Geheimdienste in Russland betrieben zu haben. Seit 2020 befindet er sich auf der Flucht.

Bei dem Gerichtsprozess in London kamen auch zwei Bulgarinnen zur Sprache, die für die Zelle im Ausland gearbeitet haben. BBC gelang es aufgrund der Gerichtsakten, diese ausfindig zu machen und ihre Identitäten zu bestätigen. Bei den Frauen handle es sich um C. G. aus Sofia und T. D. aus Wien. Beide äussern sich nicht zu den Vorwürfen.
Job bei Airline in Bulgarien für Spionage missbraucht
G. soll ihre Stelle bei einer bulgarischen Fluggesellschaft in Sofia dazu genutzt haben, mit einem Spionageteam Zielpersonen auf Flügen auszuspionieren. Die Agenten sollen dabei direkt neben den Zielpersonen im Flugzeug platziert worden sein. So gelang es beispielsweise, den PIN-Code für das Mobiltelefon des Journalisten Roman Dobrokhotov in Erfahrung zu bringen. Dobrokhotov ist überzeugt, dass Wladimir Putin seine Überwachung persönlich angeordnet hat.
Zudem soll G. Fluginformationen über den renommierten Investigativjournalisten Christo Grozev weitergegeben haben. Grozev arbeitete wie Dobrokhotov unter anderem an der Aufklärung der Nervengiftanschläge auf Sergei Skripal (2018) und Alexei Nawalny (2020). Auch der russische Dissident Kirill Kachur habe auf ihrer Überwachungsliste gestanden. Wie sich zeigte, ist G. auch in mehreren Chatgruppen mit den drei bereits Verurteilten.
Die BBC überprüfte mehrere Social-Media-Profile und glich sie mit den Akten aus dem Gerichtsprozess ab, bis das Medienhaus schliesslich ihre Identität eindeutig klären konnte. Wie sich herausgestellt habe, sei G. den bulgarischen Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit der Spionagezelle bereits bekannt. Eine Straftat werde ihr jedoch nicht vorgeworfen. Als sie telefonisch kontaktiert worden sei, habe G. sofort aufgelegt und später per Brief mitgeteilt, dass sie sich nicht zum Fall äussern werde.
Anti-Ukraine-Kampagne für Russland in Wien
Die zweite Frau, T. D., soll von Wien aus operiert haben. Ihr Hauptauftrag war ebenfalls die Überwachung von Christov Grozev, heutiger Rechercheleiter bei «The Insider» und ehemaliger Chef des internationalen Rechercheportals «Bellingcat». D. soll direkt in einer Wohnung gegenüber von Grozev gewohnt haben und dabei zahlreiche Fotos von ihm geschossen haben. Zudem sei sie für eine Anti-Ukraine-Kampagne bezahlt worden, bei der sie Sticker an Orten wie dem Sowjetdenkmal in Wien anbringen und Unterstützer der Ukraine als «Neo-Nazis» verunglimpfen musste. D. soll in Wien ebenfalls Kontakt mit den drei bereits Verurteilten der Zelle gehabt haben.
Zu D.s weiteren Zielpersonen hätten auch der österreichische Geheimdienstchef Omar Haijawi-Pirchner und die auf Russland spezialisierte Investigativjournalistin Anna Thalhammer gehört. Vergangenen Dezember wurde sie laut BBC verhaftet. Ihr wird vorgeworfen, einer «nachrichtendienstlichen Tätigkeit zum Nachteil Österreichs» nachgegangen zu sein. Darüber berichteten zuerst die österreichischen Magazine «Falter» und «Profil». Bei Letzterem arbeitet die Journalistin Thalhammer.
D. soll der Polizei bestätigt haben, dass sie versucht hat, Thalhammer an ihrem Arbeitsplatz zu fotografieren und in einem Restaurant beobachtet zu haben. Thalhammer selbst sei im vergangenen Jahr von den Behörden erstmals darüber informiert worden, dass sie im Visier von Spionen stehe. «Ich bin frustriert und habe ehrlich gesagt auch Angst», sagte sie zu BBC. «Ich lebe allein mit meiner Tochter.» Sie wisse nicht, wo sie überall ausspioniert worden sei. Aber einige ihrer Quellen seien aufgeflogen und es sei auch versucht worden, in ihr Haus einzubrechen.
Eine der Personen, die zurzeit in London auf ihr Urteil warten, sei eine langjährige Freundin von D. Von ihr habe sie eine Liste mit Namen, Adressen und Fotos erhalten mit der Bitte, mehr Informationen über die Zielpersonen zu sammeln. Dem sei sie nachgekommen. Die anderen Personen der Zelle hätten sie zudem in die Irre geführt und zuerst von einem «Studentenprojekt» gesprochen, später hätten sie sich dann als Mitarbeiter von Interpol ausgegeben.
Die BBC konfrontierte D. mitten in Wien mit den Vorwürfen. Sie habe jedoch bestritten, überhaupt diese Person zu sein. Doch die Kleidung, die sie an jenem Tag getragen habe, und Gegenstände, die sie bei sich gehabt habe, seien auch in Social-Media-Posts von ihr ersichtlich. Ausserdem habe sie nach der versuchten Kontaktaufnahme genau die Adresse aufgesucht, an der die BBC ihre Wohnung ausfindig gemacht hatte. Auch sie wollte sich später nicht schriftlich zu den Vorwürfen äussern.
BBC: Über 80’000 Telegram-Nachrichten mit Marsalek sichergestellt
Die Polizei konnte im Rahmen des Gerichtsprozesses über 80’000 Telegram-Nachrichten zwischen Marsalek und Roussev sicherstellen. Der Chatverlauf enthüllt mehrere Operationen in der Zeit von 2020 bis Februar 2023, danach intervenierte die Polizei. Aus den Chatverläufen gehe hervor, dass Marsalek und Roussev über die Entführung und Ermordung der Journalisten Grozev und Dobrokhotov diskutiert hätten. Auch das Ausspähen von ukrainischen Soldaten, die in Deutschland auf einem US-Stützpunkt trainierten, war Teil ihrer Unterhaltung.
Die beiden Frauen D. und G. befinden sich im Gegensatz zu den Mitgliedern der sechsköpfigen Spionagezelle in London nicht in Haft. G. ist in Bulgarien auf freiem Fuss und arbeitet weiter in der Reisebranche. Auch D. befindet sich in Wien wieder auf freiem Fuss. Ein Antrag auf Untersuchungshaft wurde von der österreichischen Staatsanwaltschaft abgelehnt, da keine Fluchtgefahr bestehe und das Risiko auf weitere Spionage gering sei, da sich die anderen Mitglieder in Grossbritannien in Haft befänden.
Dieser Entscheid stösst insbesondere bei der Journalistin Thalhammer auf Unverständnis: «Ich kann nicht verstehen, wieso die Person, die mich ausspioniert hat, wieder freigelassen wurde. Vielleicht sollten die Behörden nicht alles glauben, was eine Spionin im Einsatz für Russland sagt.»
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