USA nach Assads FallJoe Biden will Syriens Umsturz für einen starken Abgang nutzen
Der Regimewechsel stellt den US-Präsidenten kurz vor Ende seiner Amtszeit vor eine grosse Herausforderung. Er will zeigen, dass seine Strategie aufgeht.
- Der scheidende US-Präsident Biden steht vor der Herausforderung, Syriens Zukunft nach Assads Sturz zu gestalten.
- Rebellenführer Jolani wird als pragmatisch, aber radikal beschrieben.
- Die USA verstärken militärische Aktionen gegen den IS, um Lücken zu verhindern.
- Washingtons Ziel ist es, Syriens Chemiewaffenbestände unter Kontrolle zu halten.
Drei US-Präsidenten waren mit dem Bürgerkrieg in Syrien mehr oder weniger intensiv beschäftigt, Barack Obama, Donald Trump und Joe Biden. Mit dem Einfluss oder dann der Macht der Assad-Familie hatten seit den frühen Sechzigerjahren sogar zwölf US-Präsidenten zu tun, bis zurück zu John F. Kennedy in seinen letzten Monaten. Und nun erlebte auch die Regierung Biden einigermassen überrascht, wie Bashar al-Assad am Wochenende aus Damaskus flüchten musste.
Am Montag danach stand für Biden ein Gipfel der amerikanischen Stammesnationen auf dem Programm sowie am Abend ein Ball für die Mitglieder des Kongresses, sechs Wochen vor Amtsantritt seines Vorgängers und Nachfolgers. Trump gestaltet Teile von Amerikas Beziehungen bereits nach seinen Wünschen, am Samstag sass er bei der Wiedereröffnung von Notre-Dame in der ersten Reihe in Paris, doch jetzt sind noch einmal der Aussenpolitiker Biden und seine Diplomaten gefragt.
Was tun mit dem neuen Syrien ohne Assad?
In den Medien diesseits des Atlantiks machen wie überall die Bilder aus den geplünderten Assad-Palästen die Runde, die Berichte von der Flucht des Clans nach Moskau, dem Jubel der Befreiten und dem Kommando einer Rebellengruppe unter Leitung von Abu Mohammed al-Jolani. Der Mann erinnert ältere Amerikaner möglicherweise optisch ein wenig an den jungen Fidel Castro, und sei es nur wegen seines Rauschebarts und der olivgrünen Uniform.
Am Sonntag, dem Tag nach Trumps Auftritt mit Emmanuel Macron und Wolodimir Selenski in Paris, trat Biden im Weissen Haus vor Kameras und Mikrofone. «Endlich ist das Assad-Regime gestürzt», sagte er. «Dieses Regime hat Hunderttausende unschuldige Syrer brutal behandelt, gefoltert und getötet.» Dies sei «ein fundamentaler Akt der Gerechtigkeit», es gibt da nur ein paar recht grundsätzliche Unsicherheiten.
Zum einen stehen die Anführer der Eroberer, des Rebellenbündnisses Hayat Tahrir al-Sham (HTS), auf der US-Terrorliste. Die frühere Zusammenarbeit mit al-Qaida hatte die Gruppe zu amerikanischen Staatsfeinden gemacht, auf einmal soll sie ein möglicher Partner sein. Was den Terrorismus betreffe, so sei die Bilanz dieser Leute düster, gab Biden zu bedenken. Jetzt würden sie «die richtigen Dinge» sagen. «Aber wenn sie mehr Verantwortung übernehmen, werden wir nicht nur ihre Worte, sondern auch ihre Taten bewerten.»
Warum die US Air Force Ziele in Syrien angreift
Zum anderen ist da die Terrormiliz IS. «Wir sind uns darüber im Klaren, dass der IS versuchen wird, jedes Vakuum auszunutzen, um seine Fähigkeiten wiederherzustellen und sich einen sicheren Hafen zu schaffen», sagte Biden. «Wir werden das nicht zulassen.»
Washington reagiert fürs Erste mit Waffen und Worten. Mit Bombern vom Typ B-52 und Kampfflugzeugen F-15 und A-10 griff die US Air Force Stellungen des IS in Zentralsyrien an, laut der Luftwaffe wurden mit 140 Geschossen 75 Ziele attackiert. «Alle Organisationen in Syrien sollten wissen, dass wir sie zur Rechenschaft ziehen werden, wenn sie sich mit dem IS zusammenschliessen oder den IS in irgendeiner Weise unterstützen», sagte General Michael Erik Kurilla, der dem US Central Command vorsteht.
Zivile Opfer habe es bei den Luftangriffen nicht gegeben, heisst es, doch die Sorgen über die schwer kalkulierbare Lage sind damit nicht verschwunden. Allein um die 9000 IS-Kämpfer werden in Lagern im syrischen Nordosten festgehalten. Ausserdem will die Biden-Administration die Reste von Assads Arsenal an Chemiewaffen kontrollieren, auch dies ist ein heikles Thema.
Die 900 Soldaten der USA sollen erst einmal in Syrien bleiben
Obama hatte deren Einsatz ja zu jener roten Linie erklärt, die der Diktator auf keinen Fall überqueren dürfe. Als Assad die Kampfstoffe dennoch gegen seine Herausforderer ins Feld schickte, reagierte der damalige Mann im Oval Office nicht sehr entschieden. Immerhin wurden weite Teile des Vorrats offenbar auf internationalen Druck hin unschädlich gemacht. Man sei «ziemlich zuversichtlich», die Biowaffen unter Kontrolle zu haben, zitiert die «Washington Post» einen hochrangigen US-Beamten, es brauche da keinen Einsatz am Boden.
Noch sind in Syrien 900 US-Soldaten stationiert. Der General a. D. Frank McKenzie, einst Trumps Kommandant des US Central Command, würde auch stark empfehlen, sie dort zu belassen. «Wie wir wissen, hat der IS vor ein paar Monaten einen erfolgreichen Angriff auf Russland gestartet», sagte er dem Sender ABC. «Deshalb sind diese Truppen dort.»
Für Joe Biden ist dies am Ende seiner Präsidentschaft ein Fall, mit dem er, dem oft Schwäche vorgeworfen wird, Stärke beweisen will. Er entsendet Emissäre, um mit Assads Gegnern und Syriens Nachbarn die Situation zu erörtern. Im Nahen Osten haben die USA bisher erfolglos versucht, einen Waffenstillstand und die Befreiung der Geiseln in Gaza zu erwirken – im Süden des Libanon, bei den Kämpfen zwischen Israel und der Hizbollah, waren sie zuletzt erfolgreicher.
Die USA sind in Kontakt mit der Türkei, Israel informierte über Pufferzonen
Biden glaubt, dass seine Strategie den Iran in der Region und Russland im Krieg gegen die Ukraine so geschwächt hat, dass Assad nicht mehr zu halten war. Auch steht seine Regierung nach eigener Aussage in Kontakt mit der Türkei, nördlich von Aleppo waren US-gestützte kurdische Syrer mit der türkischen Armee zusammengestossen, es gab mehrere Tote. Die israelischen Streitkräfte wiederum hätten vorab darüber informiert, dass sie Pufferzonen auf den Golanhöhen einrichten würden.
Im besten Fall wäre Teheran künftig nicht mehr fähig, Waffen an die Hizbollah (und die Hamas) zu liefern, schreibt das «Wall Street Journal». Im schlechtesten Fall würden weite Teile Syriens den Islamisten in die Hände fallen. «Dies ist ein Moment erheblicher Risiken und Unsicherheiten», sagte Biden. «Aber ich glaube auch, dass dies die beste Gelegenheit seit Generationen für die Syrer ist, ihre eigene Zukunft frei von Opposition zu gestalten.»
Donald Trump hatte in seinem Netzwerk Truth Social am Samstag dies gepostet: «In jedem Fall ist Syrien ein Schlamassel, aber es ist nicht unser Freund, und die Vereinigten Staaten sollten damit nichts zu tun haben.» Bald wird er sich wohl oder übel damit befassen müssen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.