Abstimmung Begrenzungsinitiative SVP-Studie sorgt für Streit
Gemäss einem Gutachten im Auftrag der Partei hat die Zuwanderung in der Schweiz die Löhne gedrückt. Die Gegenseite bezeichnet die Studie als «Trash».
Der Zustrom von wenig qualifizierten und billigen Arbeitnehmern aus der ganzen Welt setze die Löhne der bereits in der Schweiz Arbeitenden unter Druck, heisst es in einer Studie, die am Freitag in Bern veröffentlicht wurde. Sie lägen durchschnittlich etwa 3,7 Prozent tiefer als ohne Zuwanderung. Der Lohndruck sei in den unteren Bereichen der Einkommensverteilung grösser als oben. Kapitalbesitzer, besonders jene mit Immobilien, hätten hingegen von der Zuwanderung profitiert. Ihre Renditen seien gestiegen. Das führe zu mehr Ungleichheit in der Schweizer Gesellschaft.
Die Studie (Link zum PDF)hat der Londoner Thinktank Europe Economics im Auftrag der «Stiftung für bürgerliche Politik» verfasst, welche der SVP nahesteht. Deren Initiative «Für eine massvolle Zuwanderung» will die Einwanderung in die Schweiz bremsen, wenn nötig durch die Kündigung des Freizügigkeitsabkommens mit der EU. (Hier gehts zum grossen Überblick.)
Ähnliche Auswirkungen der Zuwanderung auf die Löhne von Wenigverdienenden wurden in Grossbritannien festgestellt. Bisherige Studien für die Schweiz, die im Auftrag des Bundes erstellt wurden, hatten keine solche Auswirkungen gefunden. Das Resultat entspricht jedoch Daten einer an der Uni Bern erstellten Studie von 2010.
Das Londoner Institut, welches unter anderem für die EU-Kommission arbeitet, hat die bisherigen Studien zu Nutzen und Kosten der Bilateralen aus dem Jahr 2015 unter die Lupe genommen und mit einer eigenen Modellrechnung und den Daten bis zum Jahr 2018 ergänzt.
Schweiz ist Puffer für die EU
Insgesamt hat die Bevölkerung in der Schweiz seit 2002 um 14 Prozent zugenommen, deutlich mehr als in vergleichbaren Ländern in der EU. Der Grund dafür ist gemäss den Autoren, dass die Löhne in der Schweiz deutlich höher sind als in den meisten EU-Ländern.
Und auch der Sozialstaat ist besser ausgebaut als in den Herkunftsländern. Die Schweiz, Norwegen und Grossbritannien seien Beschäftigungspuffer für die EU geworden, in die in wirtschaftlich schwierigen Zeiten überzählige Arbeitskräfte abgeschoben würden, schreiben die Autoren. Nur rund ein Viertel der Zuwanderung lässt sich allerdings auf die Personenfreizügigkeit zurückführen, um die es bei der Abstimmung Ende September geht. Die Mehrheit der anderen Zuwanderer bringt weniger gute Qualifikationen mit als die bereits ansässigen Schweizer und Ausländer. Das habe Auswirkungen auf die bestehende Bevölkerung.
Aufgrund von Daten schreiben die Autoren, dass die Verfügbarkeit von billigen Arbeitskräften die Investitionen der Wirtschaft verlangsamt habe, was wiederum die Produktivität sowohl der Einheimischen wie auch der Zugewanderten bremse. Deshalb wachse das Bruttoinlandprodukt pro Kopf weniger stark.
Gemäss der Studie läge dieser Wert ohne Zuwanderung von 2002 bis 2017 um 4,4 Prozentpunkte höher. Auf die Personenfreizügigkeit allein entfallen davon allerdings nur 0,7 Prozentpunkte, dies weil die Zuwanderung nicht bloss von ihr abhängt. Dies bedeutet, dass die Schweiz selbst bei einem Ja zur Initiative nicht von negativen Auswirkungen der Zuwanderung verschont bliebe. Mit einer selektiven Zuwanderungspolitik läge das BIP pro Kopf allerdings um 1,5 Prozent höher als heute.
Trendwende bei der Einführung der Freizügigkeit
Die Autoren können ihre Modellrechnung mit Daten unterlegen: Bis 2007 ist das reale BIP pro Kopf deutlich stärker gewachsen als danach. Von 1976 bis 2007 betrug der Wert im Schnitt 1,3 Prozent pro Jahr, von 2007 bis 2017 nur noch 0,3 Prozent. Ab 2008 galt die volle Personenfreizügigkeit mit 15 westeuropäischen EU- und Efta-Ländern, insbesondere den unmittelbaren Nachbarn, aus denen die meisten Zuwanderer kommen.
Von den Gegnern der Initiative wird ins Feld geführt, die Schweiz brauche die bilateralen Verträge, um Güter in die EU zu exportieren. Die Studie ist da anderer Meinung. Direkt von den Handelsabkommen der Bilateralen abgedeckt würden nur 14 Prozent des gesamten Handels mit Gütern und Dienstleistungen.
Mit dem Austritt Grossbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt werde dieser Wert Ende Jahr auf 11 Prozent sinken. Diese Zahl ist deutlich tiefer als jene der Gegner der Initiative, weil sie sich auf das erste Paket der Bilateralen beschränkt, um die es bei der Abstimmung über die SVP-Initiative geht, und das Freihandelsabkommen von 1972 nicht hineinrechnet.
Negative Bilanz
Die positiven Effekte der Handelserleichterungen mit dem Abkommen über die technischen Handelshemmnisse beziffert die Studie auf 0,1 bis 0,2 Prozent des BIP. Dieser Betrag werde allerdings abnehmen, wiederum weil Grossbritannien die EU verlasse und das Wirtschaftswachstum in Asien grösser sei als in der EU.
Zu einem ähnlichen Resultat war 2017 eine Studie der Uni St. Gallen gekommen. Das Luftverkehrsabkommen erzeugt gemäss Studie ein zusätzliches Wachstum von 0,1 Prozent des BIP. Die übrigen vier Abkommen der Bilateralen haben laut Studie keine Auswirkungen auf das BIP pro Kopf.
Insgesamt haben die 2002 in der Schweiz Wohnhaften allein wegen der Bilateralen I ein halbes Prozent BIP pro Kopf eingebüsst. Die Studie steht damit im Widerspruch zu Untersuchungen von 2015, die teilweise im Auftrag des Bundes und mit Daten bis 2012 oder 2014 erstellt wurden und eine positive Wirkung der Bilateralen errechnet hatten.
«Nicht nachvollziehbar»
Die Gegner der Initiative kritisieren die Studie. In einer Reaktion bezeichnete Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds, die Studie als «Trash». Die Studie übersehe die «brutale Frankenaufwertung» nach der Finanzkrise, unter der die Wirtschaft bis heute leide. Diese sei für das geringere Wachstum des BIP pro Kopf verantwortlich.
Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse schreibt, die Aussage, dass die Bilateralen I zu einem tieferen Bruttoinlandprodukt (BIP) pro Kopf geführt haben, sei nicht nachvollziehbar. Wie der Gewerkschaftsbund findet Economiesuisse, der Grund für den Rückgang des Wachstums pro Kopf sei «die Finanzkrise 2009 und die schwierigen wirtschaftlichen Jahre seither».
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