Abstimmung zum Stromgesetz«Strahlung alle paar Sekunden» – umstrittener Flyer in Schweizer Briefkästen
Ein Komitee warnt vor dem Einsatz digitaler Stromzähler. Mit dem neuen Stromgesetz würden diese zur Pflicht. Alles falsch, heisst es beim Bund.
Viele Schweizerinnen und Schweizer haben dieser Tage in ihren Briefkästen einen Flyer vorgefunden, auf dem es heisst: «Ich lasse mich doch nicht durchleuchten und verstrahlen!» Absender ist die «Allianz gegen das neue Stromgesetz», die für ein Nein zum Stromgesetz am 9. Juni wirbt – mit Argumenten, die das Bundesamt für Energie (BFE) in Albert Röstis Departement als falsch bezeichnet.
Die Allianz setzt sich gemäss eigenen Angaben aus «Fachpersonen im Bereich Elektrizität» zusammen. Sie thematisiert einen Punkt, der im Abstimmungskampf bis jetzt kaum zu reden gegeben hat: die Angst vor Strahlung, verursacht von Smart Metern: Diese sind die digitale Version des herkömmlichen Stromzählers. Sie übermitteln den Stromverbrauch eines Haushalts automatisch dem Netzbetreiber.
Das Komitee behauptet: «Die Installation kann nicht mehr verweigert werden.» Kosten pro Haushalt: 250 Franken. Wegen der Smart Meter entstehe «alle paar Sekunden» Strahlung, die von jedem Stromkabel in die Luft abgegeben werde, mahnt das Komitee und gibt Tipps, wie man sich davor schützen könne.
Smart-Meter-Pflicht steht schon im Gesetz
Das Bundesamt für Energie entgegnet, die Datenübertragung finde maximal ein Mal pro Tag statt. «Die Strahlenbelastung von Smart Metern ist entsprechend sehr gering.» Der Energieversorger CKW zum Beispiel schreibt, die Sendefrequenz seiner Smart Meter sei vergleichbar mit der Radiofrequenz. Das BFE sagt zudem, Smart Meters würden für die Haushalte keine direkten Kosten verursachen, sondern über die Netztarife abgerechnet, die heute schon Teil der Stromrechnung seien.
Richtig ist, dass die Energieversorger gesetzlich verpflichtet sind, in den Haushalten Smart Meters zu installieren, und zwar bis 2028. Allerdings stehe diese Vorgabe bereits heute im Gesetz. Mit der Vorlage, die am 9. Juni zur Abstimmung kommt, habe sie nichts zu tun, so das Bundesamt für Energie.
Die Flyeraktion ist bereits Anfang Mai angekündigt worden – vom Verein Schutz vor Strahlung. Präsidiert wird dieser von Rebekka Meier. Meier ist die Schwester von Elias Vogt, dem Präsidenten des Vereins Freie Landschaft Schweiz, der einer der Köpfe der Nein-Kampagne zum Stromgesetz ist.
Rund 5 Prozent der Schweizer Bevölkerung bezeichnen sich als elektrosensibel. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der empfundenen Elektrosensibilität und Elektrosmog liess sich laut Bundesamt für Umwelt bisher nicht nachweisen. Unbestritten sei aber, dass die Symptome elektrosensibler Menschen real seien, also etwa Gedächtnisprobleme oder Kopfschmerzen. Ein Beratungsnetz, das der Bund initiiert hat, soll Betroffenen helfen.
Flyer würden von «mehreren Hundert Freiwilligen» verteilt
Eine Briefkastenaktion mit Flyern kann schnell viel Geld kosten. Kampagnen über 50’000 Franken sind offenlegungspflichtig. Johann Widmer, der als Kontakt der Allianz gegen das Stromgesetz fungiert, sagt, das Budget sei bis jetzt kleiner – um wie viel, lässt er offen. «Es helfen mehrere Hundert freiwillige Personen, die Flyer kostenlos zu verteilen und teilweise selber zu drucken.» Das senke die Kosten enorm. Widmer ist SVP-Gemeinderat in der Stadt Zürich – und er fiel schon öfter durch provokative Voten auf. Wie viele Haushalte die Gruppierung bis jetzt erreicht hat, sagt Widmer nicht. In Städten und grösseren Gemeinden gebe es aber zu wenig Helfer, weshalb sich dort nicht alle Briefkästen abdecken liessen.
Kampagnen für eidgenössische Abstimmungen und Wahlen beruhen auf Selbstdeklaration. Die Eidgenössische Finanzkontrolle kann allerdings prüfen, ob ein politischer Akteur die Offenlegungspflicht tatsächlich nicht erfüllt. Ob sie im vorliegenden Fall aktiv wird, ist unklar: Sie nehme zu Einzelfällen nicht Stellung, teilt sie auf Anfrage mit. Widmer seinerseits versichert: Treffe eine «grössere Spende» ein, die das Budget über die Grenze von 50’000 Franken treibe, werde die Kampagne bei der Finanzkontrolle fristgerecht gemeldet.
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