Abkommen mit der EUPlötzlich sendet Rösti widersprüchliche Signale beim Strom
Will der SVP-Energieminister ein Stromabkommen mit Brüssel als Teil eines Verhandlungspakets mit der EU – oder doch nicht? Die Parteichefs von FDP und GLP machen Druck, die Verhandlungen voranzutreiben.

Die sogenannten fremden Richter scheinen in der Schweiz gerade populär zu sein. Vier Klagen hat der Stromnetzbetreiber Swissgrid bei den EU-Richtern in Luxemburg bereits hängig, alle gegen den schleichenden Ausschluss der Schweiz aus dem Strombinnenmarkt der EU.
Brüssel treibt die Integration des Stromhandels weiter voran, und immer öfter muss die Schweiz zuschauen. Ein Stromabkommen, Teil der Paketlösung in den geplanten Verhandlungen mit der EU, könnte hier Abhilfe schaffen. Doch die Signale aus dem Bundesrat sind widersprüchlich.
Noch im Mai machte Energieminister Albert Rösti in einem Interview mit dieser Redaktion klar, ein Stromabkommen mit der EU sei «wichtig». «Als Energieminister will ich, wenn es ein Rahmenabkommen gibt, mit einem Stromabkommen dabei sein.»

Am letzten Wochenende antwortete Rösti im Interview mit der «NZZ am Sonntag» auf die Frage, ob die Schweiz ein Stromabkommen mit der EU brauche: «Natürlich sollten wir versuchen, ein Stromabkommen mit der EU zu erhalten.» Um gleich darauf klarzumachen, dass es auch ohne gehen würde.
Macht Rösti damit Parteipolitik – jetzt, da der Bundesrat beschlossen hat, ein Verhandlungsmandat auszuarbeiten? Seine Partei, die SVP, sieht die Souveränität der Schweiz bedroht. Und ein Stromabkommen würde die Schweiz weiter mit der EU verzahnen. Gleichzeitig will die Partei die Stromversorgung im Land sicherstellen. Eine unlösbare Aufgabe?
«Wir werden nicht ausgeschlossen.»
Und ist ein Stromabkommen überhaupt zwingend, oder ginge es auch ohne? Rösti jedenfalls skizzierte am vergangenen Wochenende einen alternativen Weg. Er verwies auf eine mündliche Zusage von Frankreich, wonach die Schweiz auf das Nachbarland zählen könne – egal, was auf regulatorischer Ebene passiere. Solche Zusagen lägen auch von Deutschland und Italien vor. Dass eine schriftliche Zusicherung bis jetzt fehlt, bezeichnete Rösti als ein «gewisses Restrisiko». Aber: Die umliegenden Länder sähen es als «alternativlos», dass die Schweiz zum europäischen Strommarkt dazugehöre, allein schon wegen der Stromflüsse. «Wir werden also nicht ausgeschlossen.»
Brüssel hätte die Schweiz gerne dabei
Tatsächlich will in Brüssel niemand aktiv die Schweiz ausschliessen, aber der Zugang wird immer aufwendiger mit jedem Integrationsschritt des Strommarktes. An der Tatsache, dass die Schweiz als Land mitten in Europa an über 41 Stellen mit dem europäischen Netz verbunden ist, wird sich nichts ändern. Aber bei neuen Handelsplattformen, über die sehr kurzfristig für die Stabilität der Netze gesorgt wird, kann die Schweiz nicht mitmachen. Zumindest, solange die Klagen in Luxemburg nicht entschieden sind, während bei anderen Plattformen die Teilnahme in der Schwebe ist.
Und die Erfolgschancen bei den Klagen sind gering. In einem Fall ist der EU-Gerichtshof nicht einmal eingetreten, der Rekurs von Swissgrid in letzter Instanz noch hängig. Die EU hätte die Schweiz sehr gerne dabei, aber nicht um jeden Preis: Beim EU-Strommarkt ist es wie bei einer Wohngemeinschaft, die zusammenfindet. Wer die Hausordnung nicht akzeptieren will, darf nicht einziehen, und separate Vereinbarungen mit einzelnen Bewohnern sind in der Regel bei den anderen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern nicht populär.
Während die Schweiz den Handel mit Volumen und Leitungskapazitäten quasi per Telefon noch händisch organisieren muss, läuft der Austausch innerhalb der EU immer öfter automatisiert über computerisierte Plattformen. Das spart Geld sowie Zeit – und mindert das Risiko von Blackouts.
Präsidenten machen Druck
Ein Stromabkommen sei nicht «alternativlos», sagen auch Experten auf beiden Seiten. Das sei die falsche Frage. Aber die Alternativen seien teurer und pannenanfälliger. Schon jetzt kostet es nach Schätzungen von beiden Seiten jährlich jeweils hundert Millionen Franken. Und in Zukunft könnte es mit jedem Integrationsschritt noch teurer werden, die Schweiz müsste aufwendig Kapazitäten für den Notfall aufbauen.
«Ein Stromabkommen schafft mehr Verbindlichkeit.»
«Die EU könnte schon sagen, wir schliessen euch aus, aber ich glaube nicht, dass das die Länder vollziehen würden», beruhigt in Bern Bundesrat Rösti. Doch seine Aussagen sind auch in Bern umstritten. Nationalrat Bastien Girod (Grüne) wirft dem SVP-Bundesrat vor, die Nachbarländer gegen die EU auszuspielen. «Das ist schlechte Aussenpolitik und nicht im Interesse der Schweiz.»
FDP-Chef Thierry Burkart sagt, die positiven Signale aus den Nachbarländern seien aus Sicht der Netzstabilität erfreulich. «Aber ein Stromabkommen schafft mehr Verbindlichkeit.» Die aussenpolitischen Bemühungen müssten deshalb «so rasch wie möglich vorangetrieben werden». Und GLP-Präsident Jürg Grossen betont, die Schweiz brauche unbedingt ein Stromabkommen. Es gebe unterschiedliche Strategien, um Verhandlungen erfolgreich zu führen. «Ich werde Bundesrat Rösti am Endresultat messen.»
Stromwirtschaft will Abkommen
Auch die Stromwirtschaft drängt auf eine Einigung mit der EU. Sorgen machen die nächsten Integrationsschritte, die in der EU geplant sind: Ab 2025 müssen die EU-Mitgliedstaaten 70 Prozent ihrer Stromkapazität für den Binnenmarkt freihalten.
Ohne Stromabkommen würden nicht nur die Kosten für die Netz- und Systemstabilität und die Versorgungssicherheit steigen, sondern auch die Risiken, wie der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) mahnt. Eine Mitgestaltung in der Weiterentwicklung des europäischen Verbundnetzes sei nicht mehr möglich, sagt Sprecherin Claudia Egli. «Letztlich ist man in diesem Fall in der Ausgestaltung der Regeln der Willkür der EU ausgesetzt.» Diese Nachteile seien erheblich.
Unklar ist freilich, wie der Inhalt eines Stromabkommens aussähe. Die damalige Bundesrätin Doris Leuthard sagte vor bald zehn Jahren, das Stromabkommen sei zu 95 Prozent fertig verhandelt. Offen waren bis zuletzt die sogenannten institutionellen Fragen wie die Streitschlichtung im Konfliktfall. Seither hat die EU aber mit dem dritten und vierten Energiepaket weitere Liberalisierungsschritte gemacht. Hinzugekommen sind das Klimapaket zur Energiewende und neue Regeln für die Preisgestaltung.
Viele Fragen sind also offen, etwa die genauen Konditionen einer vollständigen Strommarktöffnung, wie sie die EU verlangt. Spätestens im Frühjahr, wenn die Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz zur Paketlösung mit den institutionellen Fragen und neuen Marktzugangsabkommen wie beim Strom beginnen, wird sich der Bundesrat festlegen müssen.
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