Reserven der KrankenkassenStreit um die künftige Prämienhöhe
Der Bund will, dass die Krankenkassen die Prämien senken können, indem sie nicht benötigte Reserven auflösen. Nun ist unter den Kassen ein Streit darüber entbrannt.
Das Geschäft kommt technisch daher, aber es könnte Auswirkungen auf das Portemonnaie von uns allen haben. Der Bundesrat schlägt vor, dass die Krankenversicherer ihre Reserven deutlich abbauen können, indem sie die Prämien weniger anheben.
Heute müssen die Kassen anderthalbmal so viele Reserven anlegen, wie sie benötigen. Der Bundesrat schlägt vor, diesen Wert zu senken. Die Solvenzquote dürfte dann statt wie heute 150 Prozent nur noch 100 Prozent betragen. In den letzten Jahren sind die Reserven ständig gewachsen. Alle Versicherer zusammen hatten vor einem Jahr rund 10 Milliarden Franken Reserven. Das entspricht dem Doppelten dessen, was eigentlich nötig ist. Die Solvenzquote liegt bei 202 Prozent.
Mehr Spielraum bei den Prämien
Der Bund will dem BAG mehr Spielraum bei der Genehmigung der Prämien lassen, damit die Reserven abgebaut werden können. Das erhöhe den Anreiz für Prämiensenkungen zugunsten der Versicherten, schreibt der Bundesrat im Bericht zur Vernehmlassung. Trotzdem werde das BAG Gesuche um Abbau von Reserven prüfen und darauf achten, dass die Anforderungen an die Mindestreserven eingehalten werden.
«Mit diesen Plänen wird ein gefährlicher Jo-Jo-Effekt bei der Prämienentwicklung in Kauf genommen.»
Ob dies eine gute Idee ist, darüber streiten sich nun aber die Krankenkassen. Santésuisse läuft gegen den Vorschlag Sturm. Direktorin Verena Nold findet die Vorlage des Bundesrats «unverständlich und fahrlässig». Gerade jetzt in der Pandemie seien die Reserven wichtig. Sie befürchtet einen «Jo-Jo-Effekt», dass also auf Prämiensenkungen bald wieder Erhöhungen nötig würden. Solche Effekte hätten die Prämienzahler in der Vergangenheit immer wieder schmerzhaft erleben müssen.
Nold spielt auf das Jahr 2008 an. Damals zwang der Bundesrat die Krankenversicherer, die Prämien künstlich tief zu halten und dafür Reserven einzusetzen. Kurz darauf folgten Jahre mit hohen Prämienaufschlägen. 2012 wurde schliesslich die Solvenzquote eingeführt, um die Höhe der Reserven besser einzuschätzen.
Curafutura, der Krankenkassenverband der vier grossen Krankenkassen CSS, Helsana, KPT und Sanitas, unterstützt den Vorschlag des Bundes. Der Verband betont allerdings, der Abbau der Reserven dürfe nicht obligatorisch sein. Curafutura will sogar weiter gehen als der Bund. Statt Gesuche für den Abbau von Reserven stellen zu müssen, sollen die Kassen wieder Prämien anbieten dürfen, welche die Kosten nicht vollständig decken. So sollen sie die Reserven abbauen können. Dies würde eine Gesetzesänderung bedingen, denn seit 2016 müssen die Prämien in jeder Prämienregion kostendeckend sein.
«Statt mit einem Pflästerli in der Verordnung müsste der Fehler im Gesetz korrigiert werden.»
Genau da liege das Problem, sagt Felix Schneuwly, Krankenkassen-Experte beim Vergleichsdienst Comparis. Seit das Gesetz dies vorschreibe, seien die Reserven deutlich angestiegen. «Wenn die Kassen überall mindestens kostendeckend sein müssen, dann häufen sie immer mehr Reserven an.» Er findet es richtig, den Kassen mehr Flexibilität bei den Prämien zuzugestehen. Dies sei gut für den Preiswettbewerb und die Wahlfreiheit der Versicherten. «Statt mit einem Pflästerli in der Verordnung müsste der Fehler im Gesetz korrigiert werden.»
Der Bundesrat gibt Schneuwly indirekt sogar recht. Im Bericht zur Vernehmlassung schreibt er, wie der Abbau der Reserven seiner Meinung nach zu geschehen habe: Nicht durch direkte Ausgleichszahlungen an die Versicherten, sondern durch eine zu tiefe Berechnung der Kosten in der Zukunft. Die Versicherer müssten, so heisst es da, einfach «ihre Prämien für das Folgejahr knapp kalkulieren». Seien die tatsächlichen Kosten dann höher als erwartet, werde die Differenz durch die Reserven bezahlt und diese so abgebaut.
Genau dies sei bereits in den vergangenen zwei Jahren geschehen, sagt Schneuwly. «Die Kassen haben beim BAG bewusst zu optimistische Kostenerwartungen eingereicht, um tiefere Prämien genehmigen zu lassen.» Ehrlicher wäre es, ihnen wieder den Spielraum zu geben, die Kosten in einer Prämienregion zu unterschreiten, falls die Kasse als Ganzes genügend Reserven habe.
Ähnlich argumentieren auch die Kantone. Die Gesundheitsdirektorenkonferenz begrüsst die Idee des Bundesrats. Aber sie bezweifelt, dass die Massnahme genüge, um die Reserven tatsächlich abzubauen. Auch sie fordert eine Gesetzesrevision, allerdings nicht für mehr Wettbewerb, sondern für eine Regulierung, wie hoch die Reserven höchstens sein dürfen. Auch das würde die Prämien in den nächsten Jahren deutlich senken.
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