Missbräuche bei ZusatzversicherungenAufseher rügt Abrechnungen, Krankenkassen reagieren
Die Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht listet Praktiken auf, mit denen Spitäler Kosten über Zusatzversicherungen mehrfach oder unbegründet abrechnen. Erste Krankenkassen haben Verträge gekündigt.
Bei der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) ist der Geduldsfaden gerissen: In seltener Deutlichkeit verlangt sie von den Krankenversicherern, dass diese die Leistungsabrechnungen von Ärzten und Spitälern schärfer kontrollieren. Die Aufseher sehen sich zu diesem Donnerschlag genötigt, nachdem sie bei verschiedenen Versicherungen sogenannte Vor-Ort-Kontrollen durchgeführt haben.
Was sie dabei zu sehen bekamen, hat sie aufgeschreckt. In der Krankenzusatzversicherung würden «viele Verträge» mit den Spitälern «nicht für die nötige Kostentransparenz sorgen», schreibt die Finma in einer Medienmitteilung. «Diese Konstellation (…) bietet Spielraum für eine zu grosszügige Kostenüberwälzung auf die Krankenzusatzversicherer, die diese Kosten (…) dann an die Kundinnen und Kunden weitergeben.»
40 Ärztehonorare bei einem Patienten
Wie das Universitätsspital Zürich zusatzversicherten Patienten systematisch zu hohe Leistungen verrechnete, zeigt eine eben abgeschlossene Untersuchung durch eine Anwaltskanzlei auf. Demnach stellte die Klinik für Herzchirurgie den Zusatzversicherten die Tarifposition «interdisziplinäres Arztgespräch» in Rechnung, obwohl es sich nur um normale Arztvisiten handelte. Den Betroffenen dürften so in den letzten drei Jahren unbegründete Zusatzkosten von rund 2 Millionen Franken entstanden sein.
Das Beispiel ist eines unter vielen. Auch die Finma – die für die Überwachung der privaten Krankenversicherung zuständig ist – listet Praktiken auf, wie Spitäler die Krankenversicherer und letztlich die rund 1,7 Millionen Prämienzahler mit einer Zusatzversicherung ungebührlich zur Ader lassen:
- Doppelt verrechnete Leistungen: Solche, die schon in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) enthalten sind, werden in der Zusatzversicherung zumindest teilweise nochmals abgerechnet.
- Bei Zusatzversicherungen mit freier Arztwahl haben verschiedentlich rund 40 Ärztinnen und Ärzte für einen Patienten Honorare geltend gemacht – ohne Begründung.
- Bei Operationen für Hüftprothesen, die in der OKP als Fallpauschale mit rund 16’000 Franken gedeckt sind, werden je nach Spital weitere 1500 bis 25’000 Franken der Zusatzversicherung belastet.
- Spitäler, die nur noch Zweibettzimmer haben, verlangen von halbprivat Versicherten für den Service «Zweibettzimmer» einen Aufpreis gegenüber der OKP.
- Spitäler, welche die Mehrkosten für Hotellerieleistungen auf rund 200 Franken pro halbprivat Versicherten und Tag beziffern, machen gegenüber der Zusatzversicherung über 350 Franken geltend.
Ruf nach «möglichst rascher Bereinigung»
Aus all dem sieht die Finma «umfassenden Handlungsbedarf», die Situation rufe nach einer «möglichst raschen (...) Bereinigung». Die Versicherer müssten dafür sorgen, dass Ärzte und Spitäler durchschaubare und nachvollziehbare Abrechnungen erstellen. Auch dürfe die Krankenzusatzversicherung nur für gerechtfertigte Mehrleistungen aufkommen, also für solche, die über die in der obligatorischen Grundversicherung gedeckten Leistungen hinausgehen und preislich begründbar sind.
In welcher Grössenordnung sich die zu viel verrechneten Leistungen bewegen, vermag die Finma nicht zu beziffern. Sie geht aufgrund ihrer Analysen von einem «signifikanten Betrag» aus, «der den Prämienzahlern nicht belastet werden sollte». Bei einem jährlichen Prämienvolumen von 3,7 Milliarden Franken für Spitalzusatzversicherungen kann «signifikant» durchaus mit rund 400 Millionen gleichgesetzt werden.
Um den Ernst der Lage zu unterstreichen, setzen die Finanzwächter den Versicherern gleichsam ein Ultimatum: «Klar ist, dass die Finma nur noch neue Produkte genehmigen wird, bei denen die oben erwähnten Kriterien eingehalten sind.» Ausserdem kann die Behörde bei bestehenden Produkten zusätzlichen Druck durch eine restriktive Genehmigung von Prämienaufschlägen ausüben.
CSS kündigt Spitalverträge in grossem Stil
Zumindest beim Krankenversicherer CSS scheint die Botschaft schon angekommen zu sein. Er hat im Laufe dieses Jahres bereits über 100 Verträge mit Spitälern gekündigt. Von einem abrupten Kurswechsel mag die CSS aber nicht sprechen: «Die Kündigungen sind Teil einer mehrjährigen Strategie», sagt Firmensprecherin Christina Wettstein. Bereits vor drei Jahren habe man begonnen, transparente Verträge mit Spitälern zu vereinbaren.
Gleichwohl räumt Wettstein ein: «Der Austausch mit der Finma hat die CSS ermutigt, den eingeschlagenen Kurs noch konsequenter fortzuführen.» Ärzte und Spitäler seien nun vermehrt gefordert. Sie müssten künftig, so die Sprecherin, «genauer und transparenter ausweisen, was zur Grundversicherung und was zur Zusatzversicherung gehört».
Nach Ansicht von Felix Schneuwly, Gesundheitsexperte beim Onlinevergleichsdienst Comparis, sind eben auch die Krankenversicherer mitverantwortlich dafür, dass Leistungen ebenso regelmässig wie unbegründet auf die Zusatzversicherer abgewälzt werden. «Jahrelang hat dort eine Kultur des Durchwinkens vorgeherrscht nach dem Motto: Was der Kunde will, wird bezahlt», betont Schneuwly. «Das lässt sich nicht von heute auf morgen ausmerzen.»
Gesicherte Deckung auch bei vertragslosem Zustand
Gefragt, ob auch andere Versicherer in grossem Stil Verträge gekündigt hätten, heisst es beim Spitalverband H+, «wir haben keine Signale erhalten, dass andere grosse Zusatzversicherer die gleiche Strategie fahren wie die CSS.» Im Übrigen seien Vertragskündigungen ein «normaler Prozess», so Verbandssprecherin Dorit Djelid, «da die Verträge regelmässig aktualisiert werden müssen». Sie räumt aber ein: «Die Zusatzversicherer werden den Druck der Behörden sicher ausnützen, um die Preise senken zu können.»
Bleibt die Frage, was es für die Versicherten heisst, wenn die CSS Verträge mit Spitälern kündigt und dadurch vorübergehend ein vertragsloser Zustand entstehen kann. Die Finma hat darauf eine beruhigende Antwort: «Für die Versicherten ist (…) wichtig zu wissen, dass ihre Versicherungsdeckung unabhängig von einem Vertrag zwischen der Krankenzusatzversicherung und den Leistungserbringern besteht», heisst es in der Mitteilung. Den Versicherten stünden «in jedem Fall» die Leistungen zu, die ihnen gemäss den geltenden Vertragsbestimmungen ihrer Zusatzversicherung versprochen worden seien.
Dennoch kann ein vertragsloser Zustand zu Unannehmlichkeiten und administrativem Mehraufwand führen, wie Dorit Djelid ergänzt. In diesem Fall müsse das Spital die Rechnung den Patientinnen und Patienten zustellen, und diese müssten dann das Geld bei ihrer Zusatzversicherung einfordern.
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