Regionale Küche in hohen LagenIm Alpengarten von Sternekoch James Baron wachsen exotische Kräuter
Wo der Pfeffer wächst: Der Gastronom von der Krone La Punt verrät, was in seinem Alpengarten blüht – und was er damit macht.
Die Umgebung ist rau, der Inn fliesst nur ein paar Meter neben dem Restaurant vorbei, er schimmert graublau und strahlt eine Kälte aus, die doch sehr an «Game of Thrones» erinnert.
Zwei Anmerkungen dazu: Es ist Sommer in La Punt. Und in James Barons Garten ist alles frostresistent. Na ja, fast alles, der eine Lakritzestrauch ist fast erfroren, die Myoga-Pflanze – japanischer Ingwer – hat gar nicht überlebt.
James Baron experimentiert gern, auch in seinem Garten. Er war unter anderem einst Sous Chef bei Andreas Caminada, genau wie im 2-«Michelin»-Sterne-Restaurant des Mandarin Oriental in Hongkong. Nun hat er sich mithilfe des Alpine-Küche-Spezialisten Dominik Flammer einen Garten angelegt. Einen Alpengarten. Seit zwei Jahren wirtet er mit seiner Frau Natasha in der Krone in La Punt Chamues-ch im Oberengadin. Seine letzte Station, Hongkong, war Stress. Er hat auch hier viel zu tun, aber im Engadin ist die Lebensqualität eine andere. «Alle reden von Mental Health, psychischer Gesundheit. Man kann hier so viel für sie tun, beim Jäten zum Beispiel.»
Der Garten erstreckt sich um das ganze Haus. Die Krone, auch «Säumerei am Inn» genannt, ist seit dem 16. Jahrhundert ein Gasthaus. Man kann sich das gut vorstellen, wie Säumer hier Zuflucht gesucht haben für sich und ihre Pferde. Oft windet es und stürmt, auch im Sommer trägt man besser die warme Jacke mit sich herum.
Was wächst auf 1687 Metern über dem Meer? Gedeiht überhaupt etwas? Und wie?
Leicht, scheint es. Es ist, als ob man durch einen Schaugarten spazieren würde. Und Sternekoch James Baron beschreibt seine Kräuter, als ob sie gute Kumpels wären. Es ist schön, ihm zuzuhören, während er durch den Garten läuft und auf Zitronenmelisse hinweist, Schokolademinze für Desserts (schmeckt super mit Pfirsichen) oder Süssdolden. Letztere haben einen leichten Anisgeschmack, schmecken aber nicht so intensiv und wie Dill. «Ein bisschen süsser und weniger aggressiv.»
In James Barons Garten wächst Szechuanpfeffer
Und dann ist da der Szechuanpfeffer mit der zitronigen Note. Der Pfeffer trägt auch Namen wie «chinesischer Pfeffer», auf Englisch heisst er Chinese prickly ash («Stachelesche»). James Baron liebt Szechuanpfeffer. Natürlich erinnert er ihn an die Zeit in Hongkong, er wollte ihn unbedingt in seinem Garten haben; und nun hat er ihn noch lieber gewonnen, weil er vor dem Haus wächst. In Zeiten, in denen Tessiner Palmen verboten werden, mutet das vielleicht exotisch an, ist aber gar nicht so abwegig: «Teile der Provinz Szechuan in China liegen etwa gleich hoch wie das Engadin», sagt Baron. Warum also nicht anpflanzen? Fünf Sträucher wurden es schliesslich, in Töpfen, vor dem Haus, im Gewächshaus.
Der vergangene Winter war streng, es lag viel Schnee. Im Frühling glaubte James Baron fast nicht mehr daran, dass der Pfeffer wachse. Und dann plötzlich schoss alles hervor. Auch die Pfeffersträucher. «Hier oben hat die Natur so eine Kraft.»
Szechuan-Pfeffer eignet sich für alle Arten von Gegrilltem. Die Krone hat einen eigenen Platz für Grillfeste, er heisst «Fö e Flamma dal Barun».
Säure, wie sie der Pfeffer dezent liefert, ist ein grosses Thema im Alpengarten, in dem keine Zitronen blühn. Man muss sie anderswo suchen – und aus den Pflanzen herausholen. Das geht via Sanddorn (zwei stolze Sträucher stehen am Gartenrand) oder Berberitze, die namentlich auf ihre Qualitäten hinweist: «Sauerdorn» heisst sie auch, oder «Essigbeere». Oder die Zwergmehlbeere, aus der man Gonfi machen kann.
«Es tönt banal», sagt der Brite, der an der Südküste von England aufgewachsen ist, «aber wir möchten so vieles regional kochen wie möglich. Der Garten bietet uns riesige Chancen.» Es klingt auch ein wenig widersprüchlich: Als weit gereister Koch will Baron nicht auf die exotische Küche verzichten («Ich liebe Buchweizen, aber ich will mich nicht ausschliesslich davon ernähren!») und hat dafür einen alpinen Garten angelegt.
Regional kochen dank alpinem Garten
In einem Kistchen wächst Ysop. James Baron ist Fan von Ysop. «Das ist gut für den Blutdruck», das hat er in Hongkong gelernt. Es wird oft in der chinesischen Medizin eingesetzt. In der Küche, findet er, sei das Kraut interessant, ja, eigentlich mehr als das: Es verleihe den Gerichten, vor allem den Salaten (es landet in allen Salaten) eine andere Dimension.
Wow.
Es kommt noch besser: «Das ist ein chinesischer Gemüsebaum», sagt er, zerreibt ein paar Blättchen zwischen seinen Fingern – und schon macht sich ein Duft nach Bouillon breit. Oder gerösteten Zwiebeln. In der Sprache der Köche: Umami.
Im Kistchen sind Liebstöckel, Schnittlauch, Bohnenkraut und Kümmel-Thymian zu sehen. Blutampfer für Salate. Ein paar Meter weiter steht ein Quittenbaum.
Die Mischung zwischen Traditionen und Innovation – schon wieder klingt es banal – ist es, was die Küche von James Baron ausmacht. Zum Beispiel die Birnenravioli, die Stimme des Kochs bekommt etwas Schwärmerisches, wenn immer die Rede auf sie kommt. Das Rezept stamme aus der Nähe von Flims und «diese Mischung! Pasta mit Süsse, Säure und diesem Würzigen der frittierten Salbei. Bergkäse aus Pontresina, ja.»
James Baron achtet bei Kräuteranbau auf Bodenqualität
Das «regional» in Barons Kochstil bekommt nochmals eine andere Dimension, als er erstens von regenerativer Landwirtschaft redet, wie sie in seinem Heimatland England öfter zu finden sei als hier. Sich vor allem auf Bodenqualität konzentrieren, das fasziniert ihn. Das tut er – zweitens – auch, indem er mit dem Hotel Hauser in St. Moritz zusammenarbeitet: Drei Gärten unterhält die Gastro-Partnerschaft, einer im Domleschg, einer im Veltlin, einer in Samedan, was bedeutet: Das Gemüse und der Salat wachsen unter anderem auf 1721 Metern über dem Meer.
Grünzeug aus dem eigenen Garten, das bedeutet ihm viel. Einmal habe er in einem Restaurant in Österreich gearbeitet. «Im Sommer gabs dort Rosmarin aus Afrika! Gehts noch?»
Dann lieber Szechuanpfeffer aus La Punt!
(Lesen Sie hier, welche Exoten es in die Stadt geschafft haben)
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