«Altbacken»: Fideriser TorteDie zarte Russin
Erst macht sie ein Geheimnis aus ihrem Innern, dann lässt sie Herzen schmelzen: Die Fideriser Torte hat eine wilde Vergangenheit und kommt vielleicht aus Russland. Schmeckt sie etwa deshalb so … elegant.
Vielleicht nicht tief verschneit ist Fideris dieser Tage, aber doch überzuckert. Und auf den Strassen liegt Schnee, schon in den Kurven, die von Landquart her zum Dorf am Berg führen. Kneift man die Augen ein wenig zusammen, glitzert es, und es ist kalt und auch ein bisschen geheimnisvoll, grad so wie in einem russischen Märchen.
Dieser Vergleich ist natürlich nicht Zufall: In der Bäckerei, die sich im unteren Teil des Dorfs befindet, bäckt Peter Gujan Torten. Jetzt in der Weihnachtszeit in grosser Anzahl, sie stapeln sich im Verkaufsladen. Und die Fideriser Torte ist so was wie eine russische Prinzessin.
Ein wenig Geheimniskrämerei betreibt die Torte, wenn es um ihr Inneres geht. Dort ist Konfitüre. Die sie aber nicht – wie ihre Verwandten: die St. Galler Klostertorte und die Linzertorte – offenherzig zeigt, sondern gut versteckt. Wer nicht genau hinschaut, meint, einer Bündner Nusstorte auf den Leim gekrochen zu sein.
Ihre Ursprünge hat sie im Zarenreich, und das kam – der Legende nach – so: Ende des 19. Jahrhunderts kehrte der Zuckerbäcker Ulrich Boner aus Russland in seine Heimat, das Prättigau, zurück. Und in der Tasche hatte der Konditor unter anderem das Rezept für einen Kuchen, den er fortan im Bad Fideris buk. Auch für eine heimwehkranke Russin: In jenem Heilbad gingen Gäste aus aller Welt ein und aus, versuchten sich zu kurieren von was auch immer und liessen es sich gutgehen. 1905, so erzählt man sich, gelangte das Rezept zur Bäckerei im Dorf, und seit da backen die Gujans die russische Delikatesse.
Heute kann man einen Rundweg zum ehemaligen Bad ablaufen – und am Ende vielleicht einen Abstecher in den Bäckereiladen machen. Wo jetzt Cilli Gujan auf eine Ecke im Laden zeigt, in der sich flache Kartonschachteln türmen. Es sind bestellte Torten. Die muss sie noch verschicken, Bruder Peter bäckt derweil in der Backstube im Akkord. Die Torte ist ein beliebtes Vorweihnachtsgeschenk – russische Gäste sieht man in Fideris heutzutage nicht mehr, aber die Unterländer bestellen vor allem jetzt, vor Weihnachten, sehr fleissig. Verständlich: Die Torte mit Haselnussboden und Himbeerkonfi-Füllung macht süchtig, so viel können wir bereits sagen (wir hatten schon im Auto, auf der Rückfahrt, ein Stück verputzt, allerdings erst, als wir das schneefreie Flachland erreicht hatten).
Sie ähnelt im Aussehen und auch im Geschmack ihren St.Galler und Linzer Verwandten. Ist aber überhaupt nicht krümelig. Sondern feuchter und auch irgendwie feiner und eleganter. Das mag mit der Zartheit des Mürbeteiges aus Mehl, Zucker, Butter, Pflanzenfett, Haselnüssen und Eiern zusammenhängen, mit den süssen Himbeeren oder der Sorgfalt, mit der Peter bäckt.
Natürlich gibt es viele Rezepte, aber nur das von Peter Gujan ist das Original. Sein Urgrossvater Hans war es, der die Fideriser Torte ins Sortiment aufnahm, sein Grossvater Georg passte dann das Rezept in den 20er-Jahren leicht an. Danach richtet er sich noch heute – Peter ist der Einzige, der die Zutaten und die Mengen kennt. Und das Geheimnis der russischen Prinzessin.
In der Serie «Altbacken» stellen wir Bäckereien vor, die vom Aussterben bedrohte Backwaren herstellen oder historisch versiert backen. Heute mit der Fideriser Torte. Wir freuen uns über Tipps.
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