Kritik an Sarco-TeamFrau verkauft vor Sterbehilfetermin fast ganzes Hab und Gut, dann kommt es zum Zerwürfnis
Sie sei ausgebeutet und im Stich gelassen worden. Die erste Frau, die in der umstrittenen Suizidkapsel hätte sterben sollen, hat schwere Vorwürfe gegen die Organisatoren erhoben. Diese wehren sich.

Am 17. Juli hätte Jessica Campbell*, eine 55-jährige Amerikanerin, die erste Nutzerin der umstrittenen Sterbekapsel Sarco von Erfinder Philip Nitschke sein sollen. Doch die Premiere wurde verschoben – und mit einer anderen Person geplant. Nun erhebt Campbell in einem Schreiben schwere Vorwürfe gegen Nitschke und seine Organisation Exit International, wie die NZZ berichtet. Campbell erhoffte sich einen würdevollen Tod. Stattdessen fühle sie sich ausgenutzt und betrogen.
Campbell, die aus Alabama stammt, leidet an einem Nierenleiden und Polyneuropathie, ist an den Rollstuhl gebunden und übergewichtig. Nachdem sie sich mit Schmerzmitteln umzubringen versuchte, stiess sie im Sommer 2023 auf das Angebot von Exit International, das nach Kandidaten für die Sarco-Suizidkapsel suchte. Campbell, die sich gut ausdrücken konnte, sei perfekt als Botschafterin und Testimonial geeignet gewesen. Begeistert von der Aussicht auf einen schnellen und schmerzlosen Tod mit Blick in den Himmel, habe sie fast ihren gesamten Besitz verkauft und sei mit 40’000 Dollar nach Europa gereist.
In den Niederlanden wurde sie von Exit-International-Mitarbeitern empfangen und in die Schweiz begleitet. Ein Betreuer, der schnell zu einem engen Freund wurde, sei aber plötzlich verschwunden, was Campbell verunsicherte. Fiona Stewart, Nitschkes Partnerin, habe darauf erklärt, der Betreuer sei überlastet gewesen. Doch laut dem Bericht habe sich der Betreuer mit dem Führungsteam von «The Last Resort», dem Schweizer Exit-International-Ableger, überworfen.

Campbells Erfahrungen mit den Sarco-Leuten liessen sich in zwei Kategorien einteilen: finanzielle Ausbeutung und Stress wegen des Medienrummels. Stewart habe ihr ein Hotel gebucht, das ihr viel zu teuer gewesen sei, und zudem ihre eigenen Ausgaben wie Lebensmittel, Restaurantrechnungen, Tickets und sogar ein Hundespielzeug über Campbells Kreditkarte abgerechnet. Höhepunkt der Ausbeutung sei eine Reise nach Schottland gewesen, auf der Stewart sie begleitete, die Kosten dafür habe jedoch auch Campbell getragen.
Stewart habe dies mit den Worten gerechtfertigt: «Du wirst sowieso bald sterben, also brauchst du dein Geld nicht mehr.» Diese Aussage bestreitet Florian Willet, der zusammen mit Stewart «The Last Resort» führt. «Sterbensgewillten Personen unsererseits unter die Nase zu reiben, dass sie ohnehin bald gestorben sein werden, wäre eine Grobheit und Unappetitlichkeit, die uns befremdlicher nicht sein könnte», zitiert die «NZZ» Willet.

Neben den finanziellen Belastungen wurde Campbell massivem Medienstress ausgesetzt. Journalisten hätten sie ständig umschwirrt, um ihr Ableben zu dokumentieren. Ihr letzter Wunsch nach einem privaten Abschied wurde zum Medienspektakel. Auch diese Darstellung bestreitet Willet.
Die Sarco-Premiere scheiterte letztlich an Campbells wachsendem Misstrauen gegenüber Nitschke und Stewart. Ausserdem hätten Berichte über mögliche strafrechtliche Konsequenzen eines Sarco-Einsatzes ihre Zweifel verstärkt. Campbell habe sich belogen gefühlt und beschlossen, die Zusammenarbeit abzubrechen. «Hätte ich gewusst, dass die zutiefst herzlosen Menschen, die mein Schicksal in der Hand hielten, hauptsächlich getrieben sind von ihrer eigenen Medienpräsenz und ihrem Marketing, hätte ich mich nie dieser Tortur ausgesetzt.»
Nach dem Abbruch liess Exit International Campbell mittellos in Zermatt zurück. In die USA zurückkehren wollte sie aus Angst vor Obdachlosigkeit und Sorge vor schlechter medizinischer Versorgung nicht. «Ich habe alles geopfert, alle Ressourcen aufgebraucht und alle Verbindungen abgebrochen, in dem Glauben, Sarco werde mir ein friedliches Ende bieten», schreibt Campbell.
Organisation bestreitet sämtliche Vorwürfe
Nitschke erklärte in einer E-Mail, Campbell habe unter kognitiven Entgleisungen gelitten, weshalb eine Suizidhilfe nicht infrage gekommen sei. Auch dass Campbell sämtliche Kosten für die Betreuer übernommen habe, sei nicht wahr.
Am Freitag starb Campbell bei einer anderen Schweizer Sterbehilfeorganisation, nachdem ein Psychiater ihr einen klaren Verstand bescheinigt hatte.
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