Ständeratswahl in GenfDer Populist triumphiert, die Grüne beginnt ein neues Leben
Genf schickt mit Mauro Poggia (MCG) und Carlo Sommaruga (SP) zwei 64-jährige Männer in den Ständerat – und wählt die 35-jährige Lisa Mazzone (Grüne) ab. Die SVP erzielte einen Achtungserfolg, aber blieb chancenlos.
FDP und Mitte versuchten während 16 Jahren erfolglos, was Mauro Poggia vom Mouvement Citoyens Genevois (MCG) in wenigen Wochen Wahlkampf schaffte. Poggia sprengte die Vertretung von SP und Grünen im Ständerat. Er distanzierte die beiden Bisherigen Carlo Sommaruga (SP) und Lisa Mazzone (Grüne) im zweiten Wahlgang um rund 10’000 Stimmen. Dabei hatte sein Vorsprung im ersten Wahlgang nur einige Hundert Stimmen betragen.
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Céline Amaudruz (SVP), die in einer Allianz mit Poggia angetreten war, blieb ohne jegliche Wahlchance. Sie verbuchte aber deutlich mehr Stimmen, als es aufgrund der bisher schwachen Position der SVP im Kanton Genf erwartet worden war.
Als kurz vor 13 Uhr erste Resultate bekannt wurden, war dies besonders für Lisa Mazzone ein bitterer Moment. Lag sie im ersten Wahlgang noch vor Sommaruga, fiel sie im zweiten um 1100 Stimmen hinter ihn zurück. Erst 35-jährig verliert sie damit ihr Ständeratsmandat, während Genf in der kleinen Kammer künftig von den beiden 64-jährigen Poggia und Sommaruga vertreten sein wird.
Mazzone, die auch Vizepräsidentin der Grünen Schweiz ist, hätte in einem Jahr das Ständeratspräsidium übernehmen sollen. Davon werde auch Genf profitieren, betonte sie im Wahlkampf. Vergeblich.
«Das war der schmutzigste Wahlkampf in meiner ganzen politischen Karriere.»
«Eine Seite wird umgeblättert. Ein neues Leben beginnt. Ich bleibe meinen Werten treu und werde neue Wege suchen, um mich weiter für Themen wie das Klima und die Gleichstellung zu engagieren», sagte Lisa Mazzone nach ihrer Wahlniederlage.
Was denn die «grössten Momente» ihres politischen Lebens gewesen seien, wurde sie bei einem Auftritt im Lokalfernsehen Léman Bleu gefragt. Sie sei 35 Jahre jung und nicht daran, ihr Testament zu schreiben, antwortete sie trocken.
«Ich habe dieses Resultat nicht kommen sehen», sagte SP-Ständerat Sommaruga. «Lisa und ich haben in Bern Hand in Hand gearbeitet, sind im Wahlkampf in Genf ständig unterwegs gewesen und haben dabei unsere rechten Herausforderer nie gekreuzt.»
Er frage sich, wie gerade Poggia so viele Wähler mobilisiert habe. Abgesehen davon sei es ein schmutziger Wahlkampf gewesen, «der schmutzigste in meiner ganzen politischen Karriere», so der Sozialdemokrat. Was er genau als schmutzig empfand, wollte er nicht ausführen.
Sommaruga selbst war in den letzten Tagen in Debatten wiederholt auf seine Beziehung zur Hamas angesprochen worden. Er wurde aufgefordert, die Hamas als Terrororganisation zu bezeichnen, verweigerte aber jegliche diesbezügliche Aussage.
Während Lisa Mazzone bereits in die Zukunft blickte und Carlo Sommaruga den Vorwurf dementierte, die SP-Wähler hätten seine «Partnerin» von den Grünen im Stich gelassen, genoss Mauro Poggia seinen Wahlsieg. Doch bevor es so weit war, musste sich Poggia zuerst einmal an eine für ihn und sein Mouvement Citoyens Genevois spezielle Situation gewöhnen.
Berset als Wahlkampfhelfer für Poggia
«Es ist so still wie in einer Kirche», sagte er kurz vor der Verkündigung des Wahlresultats im ersten Stock der Brasserie de l’Hôtel de Ville, wo die Partei ihren Stamm eingerichtet hatte. Die Totenstille musste Poggia als fast unheimlich empfinden, ist das MCG doch bekannt (und berüchtigt) für seine lauten, rauschenden Feste.
Doch von seinen Anhängern wagte niemand ein Wort zu sagen. Stattdessen starrten alle in einen kleinen Computerbildschirm, den jemand auf einen Tisch gestellt hatte. Umgeben waren sie von Vorboten des für später geplanten Festes. Die Fondue-Caquelons standen bereits auf den Tischen. MCG-Fahnen dekorierten die Fenster. Die Frage war nur noch, in welcher Atmosphäre die Partei gemeinsam essen würde.
Die Antwort kam um 12.45 Uhr, als Poggias Spitzenresultat aufschien und klar war, dass er die Konkurrenz um 10’000 Stimmen deklassiert hatte. Während im Saal Jubel ausbrach, blieb Poggia gefasst. Sein erstes Interview gab er auf Italienisch. Die Wahl sei «eine grosse Genugtuung», sei doch das MCG «noch vor ein paar Monaten totgesagt worden». Stattdessen habe man es nun einer «gewissen Elite» gezeigt. Er habe bei seinem Wahlkampf in Genfs Strassen erfahren, wie schlecht es den Leuten wirtschaftlich gehe. Für diese Menschen gehe er nach Bern, um dort etwas zu verändern.
Was Mauro Poggia in diesem Moment nicht sagte: Einer seiner besten Wahlhelfer – wenn auch indirekt – war Gesundheitsminister Alain Berset. Als Berset kurz vor den nationalen Wahlen die Erhöhung der Krankenkassenprämien bekannt gab, dürfte Poggia im Stillen gejubelt haben. Klar war, dass Genf der Prämienschock massiv treffen würde. Die Genferinnen und Genfer zahlen heute schon schweizweit am meisten für ihre Krankenkassen.
Die Prämien wurden denn auch ein grosses Wahlkampfthema. Poggia, bis vor kurzem noch Genfer Gesundheitsdirektor und einst Patientenanwalt, trat als verlässlicher Experte auf. Niemand konnte ihm vorwerfen, in den letzten Jahren nicht für tiefere Prämien gekämpft zu haben.
Er stellte eine alte Idee wieder neu zur Debatte. Poggia will, dass der Bund den Kantonen erlaubt, eigene Einheitskassen zu bilden. Auf diesem Weg will er auch Klarheit darüber schaffen, wie viel Spitäler für Eingriffe und Behandlungen verrechnen. Und er sagt jenen Politikern den Kampf an, die laut ihm «am Morgen für eine Krankenkasse oder sonstigen Interessenverband arbeiten und am Nachmittag im Parlament politisieren».
Mitte statt rechtspopulistisch – jedenfalls auf dem Papier
Darüber hinaus ist es Poggia in den letzten Monaten gelungen, seine Partei in Genf neu zu positionieren – zumindest auf dem Papier. Vielen Bürgern gilt MCG zwar noch immer als rechtspopulistische Protestpartei, aber sie sitzt im Parlament seit dieser Legislatur in der Mitte, links der FDP und rechts der SP. Damit erhöhte Poggia seine eigenen Wahlchancen, weil er sich als gemässigter Kandidat präsentieren konnte. Auch am Sonntag betonte Poggia nochmals, dass er sich selbst in der Mitte verorte – und versprach gleichzeitig, im Ständerat seinen Werten treu zu bleiben: Wenn man Einheimische auf dem Arbeitsmarkt bevorzuge und Grenzgänger bei der Arbeitssuche zurückbinde, sei dies noch nicht diskriminierend, so Poggia.
Als «xenophob, ja rassistisch» bezeichnete Poggia hingegen die SVP-Wahlkampagne, die auch in Genf für Diskussionen sorgte. Dass er mit Céline Amaudruz ein rechtsbürgerliches Duo bildete, bedauerte er trotzdem nicht. «Céline Amaudruz hat diese Kampagne selbst kritisiert», sagte Poggia am Sonntag. Zu den Ständeratswahlen war das MCG in einer bürgerlichen Wahlallianz mit der Mitte-Partei, der FDP und SVP angetreten.
Amaudruz selbst bezeichnete ihre Wahlniederlage als «Niederlage des wahren Feminismus, der es wage, Frauen nicht in linke Forderungen einzusperren». Wie Sommaruga klagte auch Amaudruz, gegen sie sei «eine Schmutzkampagne» geführt worden.
Die Frage für Poggia wird nun sein, in welche Fraktion er eintritt. Er selbst sieht sich nicht in der SVP, sondern in der Mitte und sagt, bereits entsprechende Gespräche mit Mitte-Präsident Gerhard Pfister geführt zu haben. Bis Ende Monat will er diese Frage geklärt haben. Ob die Mitte ihn aufnehmen wird, ist mehr als fraglich. Auf Twitter liess Mitte-Präsident Gerhard Pfister wissen, man plane ohne Poggia.
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