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SRF-Musikdoku «I’ll Remember You»
Nicht alle haben diese Dreharbeiten überlebt

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«Alt werden ist ein Scheissdreck», schimpft Küre Güdel, als er wieder einmal von einem heftigen Schub Altersmelancholie durchgeschüttelt wird. Er sei jetzt dann bald 100 Jahre alt und habe keine Lust mehr. Vermutlich werde er ohnehin morgen sterben. Denn im Leben habe er sich schliesslich nie geschont: «Ds Chrampfe, d Musig und der Polo Hofer, der grosse Schluckspecht» hätten ihm zugesetzt, sagt er, der ebendiesen Polo Hofer in den Seventies als Mitglied der Rumpelstilz jahrelang am Schlagzeug begleitet hat.

Und jetzt also die Anfrage für dieses neue Projekt, das ihn wieder auf die Bühne und ins Rampenlicht bugsieren könnte, aber erst einmal ins Zweifeln und ins Hadern bringt. Er wisse vermutlich gar nicht mehr, wie man Schlagzeug spiele, er sehe auch nicht mehr gut, klagt er. Küre Güdel ist auf der Kippe. Mehrmals. Und er ist nicht der Einzige.

«Nachher bin ich tot»: Küre Güdel, der ehemalige Polo-Hofer-Schlagzeuger, ist einer der Helden dieses Films.

Das «neue Projekt», von dem Polos Ex-Drummer spricht, ist ebenfalls aus der Verzweiflung geboren: Die beiden Basler Musiker Fabian Chiquet und Victor Moser waren mit ihrer Band The Bianca Story kurz vor dem internationalen Durchmarsch, dann passierte, was vielen Schweizer Bands widerfährt: Es kommen Kinder, einer zieht ins Ausland, die Band wird aufgelöst – und es stellt sich die Frage, ob es das nun endgültig gewesen sei mit den einst so hochtrabenden Popstar-Ambitionen.

Und was tut man, wenn man nicht mehr weiter weiss? Man fragt bei den alten Weisen um Rat. Also haben die beiden Musiker die pensionierten Pioniere des Schweizer Rock zusammengetrommelt, um der Frage nachzugehen, wie man sich in diesem Metier vernünftig mit dem Altern einrichtet. Sechs Jahre haben sie an diesem Projekt gearbeitet, inklusive Corona-Pause. Aus den Gesprächen sollten auch ein paar gemeinsame Songs entstehen, eine Fernsehserie, ein Film und ein Konzert im Basler Atlantis.

Gar so einfach im Handling sind die Alten dann doch nicht mehr.

Was auf Papier nach einem geschmeidigen Plan aussieht, wird in der Umsetzung zum nicht ganz unkomplizierten Abenteuer. Denn gar so einfach im Handling sind die Alten dann doch nicht mehr. Vor allem wenns ums Musikmachen geht: Küre Güdel beklagt bald die «intellektuellen Harmonien» der Jungspunde, Schöre Müller von den Bärner-Rock-Erfindern Span weiss anfangs nicht, was er von «diesem elektronischen Zeugs» und von den Methoden der Jungen halten soll. 

Dann ist da der Zürcher Schlagzeuger Düde Dürst, der in den Sechzigern als der schönste Drummer der Schweiz gehandelt wurde und mit den Sauterelles und der hippiesken Band Krokodil das Schweizer Füdlibürgertum in Aufwallung brachte: Hinter dem Schlagzeug groovt er wie ehedem, steigt aber gleich mehrmals wieder aus dem Projekt aus. Er wolle den Leuten nicht den Eindruck vermitteln, dass er alt und abgelöscht sei und nur noch daran denke, bald zu sterben.

Ein bisschen wankelmütig: Der Schlagzeuger Düde Dürst mit Fabian Chiquet (rechts), einem der Jungmusiker in der Sinnkrise.

Auch Toni Vescoli mag sich nicht so recht festlegen. Er lässt sich zwar interviewen, hat aber für weitergehende Aktionen keine Zeit – ausserdem zwickt der Rücken. Schifer Schafer, der einstige Rumpelstilz- und Stiller-Has-Gitarrist, igelt sich lieber in seinem Zuhause ein, er komme sich vor wie ein «Zirkusaffe». Tinu Heiniger schreckt die Idee eines gemeinsamen Songs ab, er arbeite lieber allein, huscht dann aber doch immer wieder mit seiner Klarinette durchs Bild. Und gar ein bisschen düster wird das Zusammentreffen mit dem Prog-Rocker und Psychedelik-Jazzer Wilhelm Seefeldt, der den beiden Initianten bald vorwirft, hier bloss Macht ausüben und Geld verdienen zu wollen. «Ihr rockt einfach nicht», ist sein barsches Fazit. Er ist nicht der Einzige der Porträtierten, der das Ende der Dreharbeiten nicht erleben wird.

Ängste und Zweifel

Ja, es droht mehrmals kolossal zu scheitern, dieses hübsche Generationenprojekt. Die Alten sind ein bisschen eigensinnig geworden, hängen teilweise noch sehr den Musikideen von vor 60 Jahren nach, sie kämpfen mit Gebresten und mit Zweifeln, ob es sich lohnt, sich für diesen Film und dieses Konzert noch einmal aufzuraffen. Und doch entwickelt sich die daraus entstandene Doku-Serie zum wohl bewegendsten Filmdokument, das je über die hiesige Musikszene gedreht worden ist.

Denn die vielen Protagonisten und Protagonistinnen werden hier nicht als störrische Tatter-Freaks vorgeführt. Chiquet und Moser hören ihren Helden zu, nehmen ihre Ängste ernst und machen jenen Mut, die den Traum, nochmals auf eine Bühne zu steigen, längst begraben hatten. 

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Und so wachsen einem diese Kämpen der Schweizer Musikgeschichte dermassen ans Herz, dass man innerlich zusammenzuckt, als Hans Willin, einer der Mundharmonika-Veteranen aus den Vierzigerjahren, vor einem Onlinekonzert schier von der Bühne kippt. Man leidet richtiggehend mit, wenn der rührende Küre Güdel vor dem finalen Konzert vor lauter Lampenfieber einen Herzinfarkt herbeiprognostiziert. Und man horcht gebannt den Geschichten, die diese Veteranen zu erzählen haben.

Und wenn es ein Resümee gibt in dieser Doku-Serie, dann die Erkenntnis, dass es nie ganz einfach war, das Musikantenleben in diesem Land.

Geschichten von Karrieren, die selten unbeschwert waren, die vom Aussenseitertum in einer Schweiz handeln, in der das Musikmachen nie als ein ernsthafter Beruf galt, sondern bestenfalls als ein glattes, meist aber als ein Leumund-schädigendes Hobby. Und wenn es ein Resümee gibt in dieser Doku-Serie, dann die Erkenntnis, dass es nie ganz einfach war, das Musikantenleben in diesem Land. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Doch wie kommt man denn nun am besten in die Jahre, in einer Branche, die ihren Antrieb seit jeher aus dem Wandel und den Verheissungen der Jugend gezogen hat? Diese Antwort bleibt der Film fast notgedrungen schuldig. Dafür sind die Karrieren der Heldinnen und Helden zu asymmetrisch verlaufen. Und auch die Gründe, warum sich gewisse Lebensläufe von der Musik wegbewegt haben, sind keinesfalls einheitlich.

Die Jodlerin Christine Lauterburg erzählt, wie sie ihr Kind zuweilen in einem Beutel auf den Rücken band und gewisse Konzerte mit ihrem schlafenden Meitschi im Nacken bestritt. 

Da ist zum Beispiel die herzerwärmende Gitarristin Valerie Claus, die den Honolulu Girls angehörte, der ersten Girl-Band der Schweiz. Als ihre Mitmusikerinnen heirateten, brach die Band auseinander. Sie zog noch sechzehn Jahre lang als Profimusikerin durch das Nachkriegsdeutschland, spielte teils in «Damen-Orchesterli» vor betrunkenen amerikanischen Soldaten. Da sei ihr die Lust ein bisschen vergangen, sagt sie einmal fast entschuldigend. Jetzt seien die Finger etwas steif, aber für ein letztes Konzert sollte es noch reichen.

Steife Finger: Valerie Claus war Mitglied der ersten Girl-Band der Schweiz.

Auch die Laufbahn von Bruno Spoerri, dem Saxofonisten und Synthesizer-Pionier, der kürzlich von Jay-Z urheberrechtlich beklaut und gerichtlich rehabilitiert wurde, verlief nicht immer geschmeidig. Die Familie ging wegen der Musik in die Brüche, die Idee, sich aufs Produzieren von Schweizer Musikschaffenden zu konzentrieren, mündete fast im Bankrott, und irgendwann schrieb er halt deutsche Schlager, um einigermassen über die Runden zu kommen. 

Wenn ein Jazzer zum Schlager konvertiert: Bruno Spoerris Karriere verlief nicht ganz rumpelfrei.

Wenn es nicht die Drogen waren oder der langsam abnehmende Erfolg, so waren es das Familienleben und der Nachwuchs, welche die meisten Musikkarrieren der ersten Schweizer Musikgeneration ins Stocken brachten. Während einige ihr Schaffen für die Kinderbetreuung unterbrachen oder aufs Wochenende verlegten, fanden andere spektakuläre Alternativlösungen: So erzählt die Freigeist-Jodlerin Christine Lauterburg, wie sie ihr Kind zuweilen in einem Beutel auf den Rücken band und gewisse Konzerte mit ihrem schlafenden Meitschi im Nacken bestritt. 

Musik als Schlamassel

Doch so unterschiedlich all diese markanten Charaktere sind, gibt es doch etwas, was allen gemein ist: Die Musik hat sie nie losgelassen, selbst wenn da längst keine aufgeregten Tourmanager mehr anrufen. So treffen wir den umarmungswürdigen Rumpelstilz-Bassisten Sam Jungen allein in seinem Haus in Deisswil beim Bassspielen an – «einfach für mich allein», wie er sagt. Ohne die Musik würde er das Leben nicht aushalten, fügt er an, «aber wer will denn schon einen 70-jährigen Bassisten in seiner Band haben.» Auf Kinder hat Sam Jungen bewusst verzichtet: «Ich wollte niemanden in dieses  Schlamassel reinziehen», sagt er und guckt nachdenklich aus dem Fenster.

Das ganze Personal auf einer Bühne: Das finale Konzert der Veteranenband fand im Basler Atlantis statt.

Als es zum finalen Konzert kommt, sind alle anfänglichen Problemchen und Bedenken verflogen. Der wankelmütige Düde Dürst strahlt hinter den Crash-Becken wie ein übermütiges Kleinkind, Barry Window, der in den 60s als Schweizer Tom Jones gefeiert wurde, schmettert seinen kräftigen Schmachtbariton durchs Lokal, und sagt danach: «Es ist nie fertig, erst wenn man gestorben ist.» Vergessen sind die anfänglichen Scharmützel zwischen Bärner-Rock-Helden und Zürcher Psychedelikern, Hans Willin fällt nicht von der Bühne – und Küre Güdel, der sich im Film fulminant zum musikalischen Alleskönner entwickelt, schreit sich auf einmal am Frontmikrofon die Seele aus dem Leib, wie ein brünstiger Soul-Barde. 

Etwas anderes, was die Heldinnen und Helden des Films verbindet, ist ein gewisses Staunen über die Verheerungen, die das Alter anrichtet. Und die Freude darüber, diesem Alter mindestens einen berauschenden Abend lang ein Schnippchen geschlagen zu haben. 

Die Dok-Serie «I’ll Remember You» ist auf Play Suisse zu sehen. Die Filmfassung wird am Sonntag, 19.11., in der «Sternstunde Musik» auf SRF gezeigt. Das Album ist auf allen Kanälen erhältlich.