Gastbeitrag zum GesundheitswesenEine schmerzlose Massnahme gegen den Fachkräftemangel
In den Spitälern fehlt das Personal. Es braucht vieles, um die Situation zu verbessern – aber vor allem sollten Ärztinnen und Ärzte weniger Zeit am Computer verbringen.

Die Bevölkerung in der Schweiz wächst, und damit der Anteil älterer und kranker Menschen. Dementsprechend steigt die Nachfrage nach Leistungen im Gesundheitssystem. Zu deren Bewältigung fehlen die notwendigen Arbeitskräfte. Schweizweit sind derzeit etwa 15’000 Stellen in der Pflege und 5000 Arzt-Stellen nicht besetzt.
Um diese Lücke zwischen dem nachgefragten «Arbeitsvolumen» und den zur Verfügung stehenden Fachkräften zu verkleinern, gibt es verschiedene Möglichkeiten.
Naheliegend wäre die Erhöhung des Personalbestands und des Anteils der Vollzeitarbeitenden. Gefordert wird die Erhöhung der Zahl der Ausbildungsplätze für Medizin- und Pflegeberufe. Zu einer Entlastung führt diese Massnahme aber erst in fünf bis zehn Jahren. Kürzerfristig wirksam wären innovative Massnahmen, um die «Abwanderung» aus den Gesundheitsberufen zu reduzieren und die Vollzeittätigkeit attraktiver zu machen.
Eine andere Stossrichtung wäre die Entlastung der Ärzte und Pflegenden von administrativen Arbeiten. Assistenzärzte verbringen mehr als die Hälfte der Arbeitszeit vor dem Computer. Jede noch so selbstverständliche Handlung muss codiert und im Computer gespeichert werden, Daten für die Qualitätserfassung müssen erfasst werden, und Anträge für Kostengutsprachen verlangen ebenfalls viele Stunden. Bedenkt man, dass diese Anträge dann wiederum von etwa 500 Vertrauensärzten beurteilt werden, erkennt man das Sparpotenzial.
Hilft die künstliche Intelligenz?
Grosse Erwartungen zur Reduktion der Administration wurden in die Digitalisierung gesetzt. Bisher hat diese aber zu einem administrativen Mehraufwand geführt. Nun werden noch grössere Erwartungen in die künstliche Intelligenz gesetzt. Sie soll unter anderem das Interpretieren von Röntgenbildern und das (fast) automatische Erstellen von Berichten übernehmen sowie Unterstützung bei der Diagnose und Therapieentscheidungen leisten.
Was für die Ärzte gilt, gilt leider auch für den Pflegesektor. Auch dort wächst die Bürokratie überproportional.
Ärztliche Tätigkeiten wie die Betreuung von Patienten mit einer Diabetes oder einer chronischen Bronchitis könnten von «advanced practitioner nurses» (APN) übernommen werden. Dazu gibt es Pilotprojekte, aber die von den APN erbrachten Leistungen können mit den Krankenkassen nicht abgerechnet werden, und damit wird es wohl bei Pilotprojekten bleiben.
Ein anderes Beispiel ist die Therapie von Psychiatriepatienten durch Psychologen. Der heftige Widerstand der Gesellschaft der Psychiater gegen die Möglichkeit, dass Psychologinnen mit den Krankenkassen abrechnen, deutet darauf hin, dass trotz massiven Nachwuchsmangels an Psychiatern die Eigeninteressen an der Monopolstellung überwiegen.
Eine weitere Option wäre schliesslich, die 30 Prozent «unnötigen medizinischen Leistungen» massiv zu senken. Notwendig wäre aber ein Konsens unter den Experten, welche Leistungen unnötig sind.
Der Fachkräftemangel in der Medizin wird nicht mit ein oder zwei Massnahmen behoben werden können. Ein erster Schritt wäre ein Abbau der Bürokratie. Solange aber Partikularinteressen Reformen blockieren, wird man noch lange über den Fachkräftemangel jammern.
Johann Steurer ist emeritierter Professor für Innere Medizin der Universität Zürich.
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