Spielverderber am LauberhornEin österreichischer Sieger, den es nicht hätte geben dürfen
Vincent Kriechmayr triumphiert am Lauberhorn. Dabei war er nur dank einer Sondergenehmigung am Start. «Das ist heikel», sagt Experte Bruno Kernen.
Vielleicht jubelt er bewusst nicht ausgelassen. Wahrscheinlich ist ihm sofort klar, dass alles viel zu kompliziert ist. Vincent Kriechmayr ist durchs Ziel gefahren mit der Nummer 7 und hat die Bestzeit aufgestellt, 34 Hundertstel liegt er vor Beat Feuz, dem Lauberhorn-Rekordsieger mit drei Erfolgen seit der Gründung des Weltcups 1967.
Ausgerechnet Kriechmayr, dieser Österreicher, der an und für sich gar nicht hätte fahren dürfen. Ja genau, er gewinnt den Klassiker von Wengen, keiner mehr kommt an seine Zeit heran. Auch Marco Odermatt nicht, der zwar abermals glänzend fährt und Vierter wird, nur zwei Hundertstel hinter dem Italiener Dominik Paris.
Kriechmayr ist erst am späten Mittwochabend nach Wengen gereist. Zuvor liessen ihn die österreichischen Behörden trotz negativem Coronatest nicht ausreisen. Daher verpasste der Doppel-Weltmeister die beiden Trainings – gemäss Reglement des Weltskiverbands FIS hätte er daher nicht am Rennen teilnehmen können.
Wie im Kindergarten
Aber die FIS genehmigte dem 30-Jährigen tatsächlich eine Sondergenehmigung, was in der Szene nach wie vor vielen missfällt. Die Schweizer und Franzosen wollten gegen die Entscheidung vorgehen, die Proteste aber wurden abgeschmettert. Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann spricht von einem skandalösen Urteil, Alpinchef Walter Reusser meint, er fühle sich wie im Kindergarten.
Und nun ist also genau jenes Szenario eingetreten, welches die Angelegenheit noch heikler macht: Es ist Kriechmayr, der dem Einheimischen Feuz den Sieg wegschnappt.
Die Diskussionen über die Sondergenehmigung dürften so schnell kaum verstummen. Kriechmayr sagt: «Nach den Kontroversen bin ich froh, ist es so gut gekommen. Ich kann verstehen, dass es nicht allen gefällt. Aber mir sind vor allem die Meinungen der Kollegen im Weltcup wichtig. Und die sagen mir, es sei richtig, dass ich starten durfte. Ich bin der FIS sicher sehr dankbar. In diesen Zeiten braucht es aussergewöhnliche Entscheidungen.»
Odermatt überzeugt erneut
Anzufügen gilt es, dass Kriechmayr erstaunlich abgeklärt auf die Posse um seine Person reagiert – und seinen zweiten Erfolg in Wengen nach 2019 trotz suboptimaler Vorbereitung mit einer starken Fahrt realisiert. Wobei sich gerade Feuz ziemlich ärgern wird. In der zweiten Streckenhälfte begeht er mehrere Fehler. Er sagt: «Es war leider nicht alles perfekt. Aber heute ist sowieso keiner perfekt gefahren. Es war eine Frage der Kraft: Wir sind jetzt fünf Tage hier, es geht an die Substanz.»
Gesamtweltcup-Leader Marco Odermatt ist derweil nach Platz 4 sehr zufrieden. «Ich habe zwar am Donnerstag gewonnen und bin am Freitag Zweiter geworden. Aber eigentlich habe ich heute meine Erwartungen am meisten übertroffen. Es wurde von ganz oben gestartet, das Resultat ist viel wert.»
Mit Stefan Rogentin als Achter und Niels Hintermann (Rang 13) klassieren sich zwei weitere Schweizer in den Top 15. Mitfavorit Aleksander Kilde, der Sieger vom Freitag, muss sich mit Platz 7 begnügen. Carlo Janka, in seinem Abschiedsrennen mit goldenem Helm unterwegs, scheidet fast aus und fährt danach aufrecht ins Ziel. Zum Abschluss seiner Karriere sagt er: «Ich habe alles probiert, sogar einen ganz alten Ski ausgepackt. Leider ging es nicht gut. Aber es war nochmals ein herrlicher Tag.»
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Auf Wiedersehen
Im Zielraum läuft die Siegerehrung. Das ist für uns der Zeitpunkt, uns zu verabschieden.
Wir bedanken uns für Ihr Interesse, liebe Leserinnen und Leser. Auf Wiedersehen.
Das Ende naht
Wir neigen uns dem Ende unseres Live-Tickers zu.
Für Kernen rufen bereits die nächsten Verpflichtungen. Er lässt sich mit dem Helikopter an den Start fliegen, wo er nach dem Rennen eine Gruppe von Geschäftskunden die Piste hinunterführen wird.
Wir sagen Dankeschön und verabschieden uns vom Lauberhorn-Sieger von 2003.
Startnummer 47 - Justin Murisier
Der zweitletzte Fahrer macht sich auf die Lauberhorn-Abfahrt. Nach seinem 30. Rang vom Vortag verpasst Riesenslalom-Spezialist Murisier aber die Punkteränge knapp – er wird 31.
Die Rivalität zwischen der Schweiz und Österreich
Die Rivalität zwischen den beiden grossen Skinationen ist legendär. Wie äussert sie sich für die Direktbeteiligten? Kernen sagt: «Das ist vor allem ein Thema für die Medien.» Er erinnert sich, wie die Österreicher im selben Jahrgang wie er (1972) gleich mehrere Topfahrer hatten: Fritz Strobl, Christian Mayer, Hermann Maier. «Wir kannten uns schon von den Junioren-Weltmeisterschaften her. Wir verstanden uns gut, es gab keine Rivalität.» Dazu kam die sportliche Komponente: «Wir Schweizer waren in den Neunzigern einfach nicht mehr gut genug, um mit den Österreichern mithalten zu können.»
In der Schweiz sei der Nachwuchs während der Hochphase mit Zurbriggen und Co. in den Achtziger-Jahren komplett vernachlässigt worden. «Ich hatte Glück, weil ich gefördert wurde. Aber viele hatten das nicht und fielen deshalb durch die Maschen.»
Startnummer 41 - James Crawford
Eine sehr respektable Leistung des Kanadiers! Er fährt mit dieser hohen Startnummer tatsächlich auf Rang 14.
Brüggli-S oder Kernen-S?
Es ist eine Glaubensfrage: Nach Kernens Karrierenende wurde die enge Schlüsselstelle, die schon so vielen Fahrern zum Verhängnis wurde – unter anderem auch ihm – von Brüggli-S in Kernen-S umbenannt. Bis heute spaltet dies die Geister. Was sagt der Oberländer dazu? «Für mich ist es das Kernen-S. Darauf bin ich stolz. Ich weiss, dass sich manche Leute daran stören. Aber wer sich ab so etwas stört, hat vielleicht auch sonst gewisse Probleme im Leben.»
Vorsicht Wildpinkler
Für diejenigen, die gestern bereits dabei waren: Bruno Kernen hat damals eine Gruppe Wildpinkler in Sheriff-Manier zurechtgewiesen.
Am Samstag hat es noch weit mehr Zuschauer im Zielgebiet. Und weil die Schlangen vor den Toi-Tois lange sind, gibt es natürlich wieder Wildpinkler hinter den Kommentatoren-Häuschen.
Kernen bekommts nicht mit – leider.
Startnummer 38 - Simon Jocher
Der Deutsche fährt auf Platz 23, unmittelbar vor Gilles Roulin.
Kernens Fazit
Die Würfel sind gefallen – Vincent Kriechmayr gewinnt die Lauberhornabfahrt vor Beat Feuz und Dominik Paris.
Das Fazit unseres Experten: «Kriechmayr ist ein Spielverderber für uns Schweizer. Das Ganze ist heikel. Aber ich schätze sein Fingerspitzengefühl, dass er nach dieser Vorgeschichte darauf verzichtet hat, hier gross zu jubeln. Kriechmayr ist ein hervorragender Skifahrer, man hat das auch an der WM in Cortina gesehen, wo er den Sieg in der Abfahrt und im Super-G gewiss nicht gestohlen hat.»
Kernen bedauert, hat es nicht mit einem Schweizer Sieg geklappt. Wobei diesbezüglich auch Eigeninteresse mitspielt. «Ich hätte gerne eine zweite Wette gewonnen.»
Startnummer 32 - Gilles Roulin
Der Zürcher verliert knapp 3 Sekunden und landet auf Platz 23.
Zurück zur Wette
Kernen hat die Wette zwar nicht verloren, aber er beantwortet zumindest eine halbwegs indiskrete Frage.
Was ist das peinlichste, das Sie in Ihrer Karriere erlebt haben?
Kernen: «Wir waren im Trainingslager in Chile. Auf einmal ertönten aus dem Nebenzimmer Geräusche, die man sonst nur in Filmen hört, die spätabends laufen. Das Bett ratterte, wir hörten Schreie, es war amüsant.»
Startnummer 30 - Bostjan Kline
Eine ansprechende Fahrt des Slowenen – Rang 19.
Startnummer 29 - Jared Goldberg
Ein weiterer Amerikaner, der nicht mithalten kann – Platz 28.
Startnummer 28 - Steven Nyman
Der Amerikaner ist chancenlos, er verliert fast 5 Sekunden – Rang 28
Startnummer 27 - Daniel Danklmaier
Einer der wenigen, die mit einer hohen Startnummer noch mithalten kann. Er fährt auf Rang 15.
Wie feiert man einen Sieg in Wengen?
Kriechmayr kann den Champagner kalt stellen. Wie hat Kernen seinen Triumph 2003 in Wengen gefeiert? «Mein Ausrüster hat damals einen kleinen Empfang für mich organisiert. Aber da ich am nächsten Tag im Slalom fuhren musste, war es eine kurze Sache. Ich liess es nicht krachen.»
Startnummer 26 - Mattia Casse
Platz 23 für den Italiener
Startnummer 25 - Josef Ferstl
Auch für den Deutschen gibt es nichts Grosses – Platz 24
Startnummer 24 - Matteo Marsaglia
Der Italiener fährt auf Platz 22
Kernen und die Tannen-Zweigli
Bevor Swisscom die blaue Lebensmittelfarbe zur Streckenorientierung eingeführt hat, gab es die Tannenzweigli. Sie dienten den Fahrern als Orientierungshilfe, als Kontrast. «Weil das ständige Spiel zwischen Licht und Schatten für Fahrer eine riesige Herausforderung ist», sagt Kernen.
Die Trainer benützen die Linien oder früher die Zweigli als Orientierungshilfe für die Fahrer, um diesen die Ideallinie zu erklären. Nur trieb es ein Schweizer Trainer einmal auf die Spitze. Kernen erzählt: «In Wengen haben wir einmal einen Funkspruch bekommen, dass wir bei der Anfahrt des Kernen-S beim letzten Tannzweigli fünf Tannästli zurückzählen und dort den Schwung ansetzen sollen. Heute erreichen die Fahrer dort rund 100 km/h. Es ist mir noch immer ein Rätsel, wie man das bei diesem Tempo hätte tun sollen.»
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