Computer lernt rennfahrenSophy – die künstliche Intelligenz, die jeden Gamer abhängt
Bislang fuhren Menschen am schnellsten. Nun werden sie von einer Software überholt. Ihr Erfinder gibt dieser Tage in der Schweiz Einblicke in die Kunst des digitalen Autorennens.
Dicht hintereinander rasen die beiden Rennwagen über die Strecke. Immer wieder versucht der blaue den weissen zu überholen. Doch dieser blockt. Auf dem schwierigen Rundkurs am Lago Maggiore gibt es kein Durchkommen. Bis kurz vor Ende: Der hintere schert aus. Die beiden Wagen liegen fast gleichauf…
Die Rennautos fahren nicht in echt, sondern im Spiel «Gran Turismo» auf der Playstation. Den Rundkurs am Lago Maggiore gibts es in Realität nicht. Mehr noch: Die Hälfte der Spieler ist auch nicht echt: Bei diesem Autorennen anlässlich eines Presseevents tritt künstliche Intelligenz gegen die weltbesten Gamer an. Dabei liefern sich Mensch und Maschine ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
Autorennen sind anspruchsvoll
Gran Turismo Sophy – so heisst die künstliche Intelligenz (KI), die virtuelle Fahrzeuge steuern kann. Entwickelt wurde sie von einem Team bei Sony, teilweise in der Schweiz. Mitgearbeitet hat auch Roberto Capobianco. Nebst seiner Arbeit fürs japanische Unternehmen doziert er an der Universität La Sapienza in Rom. Am Donnerstag gibt er an der Konferenz für Datenwissenschaften SDS in Luzern einen Einblick in seine Arbeit am Autorennen.
«Wir waren sehr nervös», erzählt Capobianco vom Rennen, das im vergangenen Oktober stattgefunden hat. Nach dem zweiten Anlauf konnte das Entwicklerteam schliesslich jubeln: Sophy überquerte die Ziellinie als Erstes. Und auch in der Teamwertung hängte die Maschine die Menschen ab.
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Autorennen zu fahren, ist sehr anspruchsvoll: In Sekundenbruchteilen müssen Entscheidungen getroffen werden. Und ständig stellen sich neue, oftmals nicht voraussehbare Herausforderungen. Das Auto muss bis an den Anschlag gefordert werden. Dabei kann bereits ein kleiner Fehler zum Aus führen.
Gran Turismo Sophy habe die Rennsimulation wie ein Mensch gelernt, erklärt Roberto Capobianco: «Sie hat ausprobiert, geübt und geübt.» Hunderttausende Male ist sie gefahren. Zu Beginn verunfallte sie oft. Sie kam von der Strecke ab. Sie wählte die falsche Linie. Immer, wenn sie einen Fehler gemacht hatte, kriegte sie einen Strafpunkt, und wenn das Rennen gut gelaufen war, bekam sie einen Bonus. Nach und nach hat sie ihr Fahrkönnen verbessert.
«Bald schon wird Sophy die Menschen ganz abgehängt haben.»
Mittlerweile reizt Sophy die Fahrbahn bis zum letzten Millimeter aus. Sie weiss, wo die Ideallinie liegt. Und sie fährt auch taktisch klug: Wenn es Sinn macht, bleibt sie im Windschatten. Oder sie versperrt den Weg, damit ein Gegner nicht überholen kann.
Wie genau Sophy das alles gelernt hat, beschreiben die Sony-Mitarbeiter in einem Fachartikel im renommierten Magazin «Nature». «Im Moment ist es ein Kopf-an-Kopf-Rennen», sagt Roberto Capobianco. «Doch bald schon wird Sophy die Menschen ganz abgehängt haben.»
Vom Schach bis zum Autorennen
Das Autorennen ist eine weitere Episode im langen spielerischen Wettstreit zwischen Mensch und Maschine. Publikumswirksam begonnen hat dieser vor 25 Jahren: Damals trat der Schachweltmeister Garri Kasparow gegen IBMs Schachcomputer Deep Blue an. Im zweiten Versuch verlor er – eine Niederlage, die ihm zusetzen sollte.
Es folgten zahlreiche andere Wettkämpfe zwischen Mensch und Maschine, etwa im schachähnlichen japanischen Shōgi. Im Jahr 2016 gewann ein von Google entwickelter Algorithmus in «Go» – einem komplexen Spiel, bei dem nebst analytischem Denken auch Intuition gefragt ist. Derzeit liefern sich die Technologiegiganten einen Wettstreit in weniger reglementierten Spielwelten: etwa bei Kämpfen im Egoshooter Quake oder im geschilderten Autorennen.
Zwischen dem Schachturnier und dem Autorennen liegt ein Vierteljahrhundert rasante Entwicklung. In einer frühen Phase gaben die Entwickler vor, in welcher Situation ein Computer wie zu reagieren hat. Spätere Systeme trafen diese Entscheidungen anhand eines grossen Datensatzes aus früheren Partien.
Im Jahr 2017 demonstrierte die Google-Tochter Deep Mind mit «Alpha Zero» einen ersten Algorithmus, der selbstständig Strategiespiele wie Schach, Shogi und Go lernt. Ohne solche Techniken des maschinellen Lernens geht es bei hochkomplexen und weniger reglementierten Spielen nicht. In dieser Trainingsphase ist dabei sehr viel Rechenleistung nötig. Runde um Runde lernt das System dazu. Irgendwann ist das System besser als die versiertesten Menschen.
Übernehmen künstliche Intelligenzen die Macht?
Die raschen Fortschritte, die im Bereich künstliche Intelligenz gemacht werden, sind verblüffend. Doch sie machen auch Angst: Übernimmt die künstliche Intelligenz dereinst gar die Macht?
«Daran glaube ich nicht», sagt Roberto Cabobianco. «Im Gegenteil: Künstliche Intelligenz kann unser Leben sicherer, besser und bequemer machen.» Ein ganz einfaches Beispiel: Fotos werden durchsuchbar gemacht, indem die Software die darauf abgebildeten Objekte automatisch erkennt und indexiert. Zum Einsatz kommen ähnliche Techniken auch in der Medizin: So suchen etwa Programme in den Bildern, die ein Computertomograf gemacht hat, nach Krebszellen. Oder im Verkehr: Mittlerweile sind bereits erste Autos unterwegs, die weitgehend autonom fahren könnten, wenn sie das dürften.
«Künstliche Intelligenz kann unser Leben sicherer, besser und bequemer machen.»
Führen die neuen Technologien aber dazu, dass Arbeiten überflüssig werden, die vorher ein Mensch erledigt hat? Das treffe zu, sagt Roberto Cabobianco – vorerst in Bereichen, in denen keine menschliche Intuition und keine komplizierte Kommunikation nötig ist. «Dafür werden andere Jobs entstehen», gibt sich der Forscher zuversichtlich.
Wenn der Computer Böses lernt
Doch der künstlichen Intelligenz müssen beim Lernen Leitplanken gesetzt werden. Diese Lektion hat zum Beispiel bereits Microsoft gelernt: Der Chatbot Tay, der im März 2016 mit viel Tamtam lanciert wurde, sonderte bereits kurz nach der Lancierung anzügliche und beleidigende Tweets ab. Denn so hat er es in einigen Chats mit richtigen Nutzern gelernt. Der Bot wurde für Microsoft zum Debakel. Das Unternehmen sah sich bereits nach weniger als einem Tag gezwungen, ihm den Stecker zu ziehen.
Auch das Autorennen zeigt exemplarisch, was schieflaufen kann, wenn man Algorithmen beim Lernen freie Bahn lässt: So hat Sophy auf ihren Ausbildungsfahrten herausgefunden, dass sie Konkurrenten abdrängen oder ausbremsen kann – allesamt Manöver, die im Spiel zwar nicht verboten, in der Realität aber zumindest nicht erwünscht sind.
«Damit Sophy fair zu fahren lernt, haben wir ein aufwendiges Strafpunktesystem entwickelt», erzählt Roberto Capobianco. Und er lässt durchblicken: Einer künstlichen Intelligenz gesunden Menschenverstand zu vermitteln – das bleibt eine grosse Herausforderung.
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