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Social-Media-Trend #RomanEmpire
Glamour, Gladiatoren und Geschlechter­kampf

Populärmythos vom Römischen Reich: Schauspielerin Lucy Lawless als intrigante Lucretia in der TV-Serie «Spartacus».
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Ein globaler Tiktok-Trend hat jüngst die abenteuerliche Enthüllung gemacht: Männer unternehmen gedankliche Zeitreisen ins alte Rom. Manche tun es einmal pro Woche, andere mehrmals am Tag. Und einige denken öfter an die Sandalenepoche als andere Männer an Sex.

«Wie oft denkst du an das Römische Reich?»: Die Frage hat es von den sozialen Medien über TV-Talkshows bis in die Feuilletons gebracht. Und die entsprechende Debatte, mal komisch, mal komisch-ernst, verrät mindestens so viel über uns Heutige und den modernen Genderknatsch wie über das alte Rom.

Die Männer erklären ihre Rom-Obsession mit der Begeisterung für Heldenfilme wie «Gladiator» oder «300» (wobei, aufgepasst!, letzterer Streifen von Spartanern, nicht von Römern handelt). Sie staunen über die Baukunst der Römer («Sie kannten bereits den Beton!») und sind fasziniert vom politischen Gefüge der alten Republik («Welch ein System von Checks and Balances!»).

«Es ist reizvoll, sich manchmal zum Narren zu machen.»

Horaz, zitiert von Elon Musk

Auch der reichste Mann der Welt scheint im Herzen ein alter Römer zu sein. Jedenfalls hat sich Elon Musk kürzlich in Gladiatorenkluft geschmissen und in diesem Outfit einen Ringkampf gegen Facebook-Chef Mark Zuckerberg angekündigt, natürlich in Rom. Auf seiner Plattform X (vormals Twitter) zitierte Musk den Dichter Horaz: «Dulce est desipere in loco»: «Es ist reizvoll, sich manchmal zum Narren zu machen.»

Verrückt. Und die Frauen? Während die Männer sich als Bewunderer der antiken Supermacht outen, lachen sich die Frauen offenbar schlapp. So zumindest wollen es uns auf Tiktok millionenfach geklickte Videoclips glauben lassen.

Stimmt die Aussage des Tiktok-Trends überhaupt?

Trends in den sozialen Medien – oft durch Algorithmen, Bots oder gesponserte Inhalte manipuliert – sind mit Vorsicht zu geniessen. Dies sagten sich auch die Mitarbeitenden des deutschen Meinungsforschungs­instituts Civey und führten eine für Deutschland repräsentative Befragung durch, bei beiden Geschlechtern. Ergebnis: Ja, viele Männer denken regelmässig ans Römische Reich, rund 50 Prozent. Aber: 43 Prozent der Frauen tun dies ebenso.

Die Faszination für Geschichte, insbesondere die Bewunderung für die römische Antike, ist also in weit geringerem Masse ein geschlechterspezifisches Phänomen, als uns die sozialen Medien glauben machen wollen. Der von Tiktok losgetretene Rom-Trend ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die sozialen Medien überholte oder gar falsche Rollenklischees befördern.

AHY8M0 GLADIATOR 2000 Universal film with Russell Crowe

Weshalb faszinieren die alten Römer dermassen?

Der amerikanische Historiker Mike Duncan, der durch seinen Podcast «The History of Rome» Prominentenstatus erlangte, gibt unverblümt zu, unter seinen treuesten Hörern seien durchaus Männer mit einer «sehr traditionellen» Sichtweise sowie einer «starken Abneigung gegenüber der Woke-Kultur». Eine Klientel, die glaube, im alten Rom hätten Männer noch Männer sein können. Eine Klientel, die sich diese Epoche als ein maskulines Fantasyland ausmale, so Duncan gegenüber dem US-Magazin «Rolling Stone».

Selbstverständlich sei diese Sichtweise verzerrt – und diese Macker-Rom-Fans eine Minderheit. Der grossen Mehrheit der Rom-Bewunderer gehe es um ganz andere Dinge, weiss Duncan. «Unser Rechtssystem ist römisch, das Christentum ist in der römischen Antike entstanden, keine andere Epoche hat dieselbe Bedeutung für die westliche Kultur.» Im Übrigen seien in seiner Podcast-Community ähnlich viele Hörerinnen wie Hörer.

Sinnigerweise handelt es sich bei der gegenwärtig wohl bekanntesten Kapazität für die Geschichte des Römischen Reichs um eine Frau. Auf den Tiktok-Trend angesprochen, sagte die englische Althistorikerin Mary Beard gegenüber dem Nachrichtenmagazin «Time», es sei ihr egal, aus welchen Gründen Männer oder Frauen ans Römische Reich dächten: «Alles, was die Menschen dazu bringt, sich für Geschichte zu interessieren, ist in Ordnung.»

WINDSOR, ENGLAND - SEPTEMBER 30: Mary Beard, writer and historian, poses for a portrait at the Cliveden Literary Festival at Cliveden House on September 30, 2023 in Windsor, England. (Photo by David Levenson/Getty Images)

Der Populärmythos vom Römischen Reich, sagt Beard, sei tatsächlich eine Art «Safe Space für Macho-Fantasien», aber gerade in der römischen Kultur selbst sei immer wieder darüber nachgedacht worden, was Männer und Frauen ausmache. Der römische Kaiser Elagabalus (204 bis 222) beispielsweise werde in historischen Quellen oft als Herrscher dargestellt, der mit «Crossdressing» experimentierte. «Unsere Fragen zur Geschlechterfluktuation sind keineswegs neu», so Beard.

An welche römischen Errungenschaften denken Frauen?

Wahrscheinlich ist es so: Das Römische Reich war derart riesig und langlebig, dass man sich aussuchen kann, über welchen Aspekt davon man tagträumen möchte – wieso also nicht über Sandwiches? 

Belegte Brote haben es jedenfalls der englischen Autorin und Altphilologin Daisy Dunn und ihren Freundinnen angetan, seit sie wissen, dass es Sandwiches schon bei den Römern gab, wie sie in einem Gastbeitrag für das englische Magazin «Spectator» schreibt: «Und habt ihr die Bilder von Pizza in Pompeji gesehen?»

Das Römische Reich sei für die meisten Frauen alles andere als ein Paradies gewesen, so Dunn, aber das Essen sei gut, die Poesie aufregend und die öffentliche Architektur eine Quelle des Stolzes gewesen, was man heute ja nicht oft sagen könne.

Was war die Rolle der Frau im alten Rom?

Wie von Dunn angetönt, stand die Frauenemanzipation nicht auf der Prioritätenliste der römischen Politik. Frauen galten zwar als Bürgerinnen Roms, durften allerdings weder wählen noch politische Ämter bekleiden oder Militärdienst leisten. Im Unterschied zum alten Griechenland wurden Frauen aber nicht aus dem Alltag ausgeschlossen. Es gab sehr wohl mächtige Frauen in Rom, etwa Agrippina, die Mutter Neros. Sie übten ihre Macht aber informell aus, indirekt, oft über ihre Männer oder Söhne.

Die Rolle der grossen Mehrheit von Roms Frauen kann man mit dem Schicksal von Schweizer Frauen in den 1950er-Jahren vergleichen: den Mann unterstützen, Kinder bekommen und den Haushalt schmeissen. Die meisten, auch aristokratische Frauen, wurden als Teenager verheiratet. Über ihre Leben ist kaum etwas überliefert. Die hauptsächliche Quelle, in der Frauen erwähnt werden, sind Inschriften auf ihren Gräbern.

Kämpften Frauen als Gladiatorinnen in der Arena?

Das geschwungene Instrument in der linken Hand der Frau wurde zunächst für einen Gegenstand zur Körperpflege gehalten. Vermutlich handelt es sich aber um eine Klingenwaffe.

Gemäss den Tiktok-Bekenntnissen sind Gedankenreisen in die Welt der Gladiatoren bei den Männern ganz besonders beliebt; auch sind die Fights der antiken Profikämpfer ein Evergreen der Popkultur. Kämpften auch Frauen in der Arena?

Ausser im Kinostück «Gladiator», das zeigt, wie Frauen im Amphitheater einen Kriegswagen lenken, sucht man Gladiatorinnen (auch Gladiatrizen genannt) in Filmen und Romanen vergebens. Weil es sie im alten Rom nicht gab?

Weltweit sind tatsächlich nur zwei antike Abbildungen von Gladiatorinnen bekannt. Dies lässt vermuten, dass es vergleichsweise wenig Wettkämpfe mit weiblicher Beteiligung gab. Doch auch in schriftlichen Berichten kommen sie vor; laut dem römischen Schriftsteller Suetonius liess Kaiser Domitian Frauen des Nachts bei Fackelschein gegeneinander antreten. Die Existenz weiblicher Gladiatoren war in der römischen Gesellschaft umstritten. Einige betrachteten ihre Auftritte – nur mit Lendenschurz bekleidet wie die Männer – als unpassend und unmoralisch. Im Jahr 200 hat Kaiser Septimius Severus Gladiatorinnenkämpfe deshalb verboten.

Wie war der Sex bei den Römerinnen und Römern?

Das angeblich ausschweifende Sexleben der Menschen im alten Rom beschäftigt die Nachwelt bis heute geradezu obsessiv. Ein typisches Beispiel dafür ist die populäre US-TV-Serie «Spartacus – Blood and Sand», die in vielen Szenen als Softporno durchgehen würde. Das deutsche Magazin «TV Today» bringt das Erfolgsrezept auf die Formel «Mit Schwert und Schniedel».

In Realität allerdings war der Sex im alten Rom in hohem Masse vom sozialen Status der Menschen bestimmt und von ihrem Geschlecht. «In der Oberschicht war Sexualität zweckgebunden», sagt Michael Sommer, deutscher Althistoriker und Autor des Buches «Dark Rome: Das geheime Leben der Römer». «Für die Elite ging es um die Produktion legitimer Erben, Sex unterlag strengen moralischen Normen, besonders für Frauen.» Die Mädchen des Patrizierstandes durften keinesfalls Sex vor der Ehe haben. Die noblen Männer hingegen gaben sich trotz der vordergründig strengen Sitten sexuellen Ausschweifungen hin: mal diskret, mal weniger, oft mit Sklavinnen und Prostituierten.

Vielfalt sexueller Praktiken: Pornografische Wandmalerei aus der Römerzeit.

In der Unterschicht, in der Abstammung und Erbschaft eine geringere Bedeutung hatten, sei es ziemlich promisk zu- und hergegangen, so Sommer. Wandmalereien aus den öffentlichen Bädern von Pompeji offenbaren eine Vielfalt sexueller Praktiken – Fellatio, Gruppensex oder gar Verkehr mit Tieren. In der untergegangenen Stadt nahe dem Vesuv gruben die Archäologen auch ein antikes Bordell aus, mit gemauerten Liegen und zwei Eingängen für die Laufkundschaft. In der Hauptstadt Rom waren der Circus Maximus und andere öffentliche Orte Roms Treffpunkte für sexuelle Begegnungen.

«In der späten römischen Republik beanspruchten auch Frauen aus der Oberschicht sexuelle Freiheiten», sagt Althistoriker Sommer. Cicero (106 bis 43 vor Christus) stellt die Vorreiterin dieser sexuellen Emanzipation in epischer Breite dar, nämlich das Leben der Clodia, geboren um 90 vor Christus. Sie war die Schwester von Ciceros Intimfeind, dem Volkstribun Clodius, und eine der umstrittensten Frauen der späten römischen Republik. Die Glamour-Lady der Antike soll Gruppensex vor Publikum praktiziert und die Männer an ihrer Seite binnen Wochenfrist gewechselt haben, schreibt Cicero. Und so ist es in die Geschichte eingegangen.

Zu guter Letzt: Liegt im Lateinischen auch der Ursprung der Genderdebatte?

Zwar nicht mit Schwert (gladius) und Wurflanze (pilum), dafür oftmals mit vergifteten Worten ficht der moderne Mensch in der Arena des Kulturkampfs. Besonders grimmig dann, wenn es um die Frage geht, ob im Deutschen gendergerechte Formulierungen zu verwenden sind – also etwa das generische Maskulinum «Arbeiter» mit «Arbeiterinnen und Arbeiter» zu ersetzen. Auch hier erreicht uns heute noch der lange Schatten der Römer: Das Latein unterscheidet die drei grammatikalische Geschlechter, die wir im Deutschen ebenfalls einsetzen (er/sie/es).

Und tatsächlich haben sich bereits die Römer über das Gendern den Kopf zerbrochen: Der Grammatiker Varro schreibt, dass alle Tauben ursprünglich «columba» genannt wurden, weil die Geschlechtsunterschiede nicht sichtbar waren. Doch als man begann, Tauben zu züchten, begann man laut Varro auch zwischen männlichen «columbus» und weiblichen «columba» zu unterscheiden. Was der kleine Unterschied für die aktuelle Sprachdebatte bedeutet, sei hier dem Urteil der Lesenden überlassen.