Urteil schwächt die Rechte an Fotos«So wird das Internet zum Selbstbedienungsladen»
In seinem ersten Urteil zum neuen Bildrecht streicht das Bundesgericht die Honorarforderung eines Fotografen zusammen. Das zeigt: Wer im Internet Fotos verwendet, ohne dafür zu bezahlen, hat oft wenig zu befürchten.
3920 Franken hat der Bieler Fotograf Alain D. Boillat für die Verwendung seines Bildes verlangt – ein Unternehmen hatte das Bild ohne Rücksprache unter anderem in einer Verkaufsdokumentation und in sozialen Medien für Werbung verwendet und dafür keinen Rappen bezahlt. 55 Franken hat ihm das Bundesgericht schliesslich zugestanden. Überdies musste Boillat Gerichtskosten und eine Parteientschädigung von insgesamt rund 3400 Franken übernehmen. Wäre nicht die Rechtsschutzversicherung des Journalistenverbands Impressum eingesprungen, hätte er bei der Durchsetzung seiner Urheberrechte also viel Geld verloren.
Das schreckt ab. Denn kaum ein Fotograf oder eine Fotografin wird versuchen, eigene Bildrechte durchzusetzen, wenn sich das gar nicht auszahlt.
Boillat reagiert enttäuscht: «Wer bei einer Urheberrechtsverletzung erwischt wird, muss dafür fast nichts bezahlen – so wird das Internet zum Selbstbedienungsladen.» Auch die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Bild-Agenturen und -Archive (SAB), die Preisrichtlinien für die Verwendung von Fotografien festlegt, ist konsterniert: «Das muss einen gewissen Wert haben, sonst wird den Berufsfotografen die wirtschaftliche Grundlage entzogen», sagt Ursula Baumann, die schon seit der Vereinsgründung beim SAB ist und das Sekretariat betreut.
Über die Fotobranche hinaus von Bedeutung
Das kürzlich veröffentlichte Bundesgerichtsurteil vom 21. April dieses Jahres ist weit über die Branche der Berufsfotografen hinaus von Bedeutung. Denn in der digitalisierten Welt ist es ein Leichtes, Bilder zu kopieren und weiterzuverbreiten. Oft geschieht das widerrechtlich, auch wenn es etwa vielen Nutzerinnen und Nutzern von sozialen Medien wie Instagram, Facebook und Twitter nicht bewusst ist.
Ohne Einwilligung des Fotografen oder der Fotografin liegt in der Regel eine Urheberrechtsverletzung vor. Gemäss der jetzigen Praxis des Bundesgerichts dürfte es bei einer widerrechtlichen Nutzung von Fotografien nur noch in wenigen Fällen zu einer Klage kommen.
Besserer Schutz vor teuren Abmahnungen
Damit wird auch das Geschäft jener Organisationen erschwert, die mit spezialisierter Software das Internet gezielt nach Fotos durchsuchen, für die noch keine Lizenzgebühr bezahlt worden ist. Wer ohne Lizenz ertappt wird, erhält ein Abmahnschreiben – meist verknüpft mit einer Geldforderung, die über 1000 Franken je Bild liegen kann.
Es sind unter anderem deutsche Anwaltskanzleien, die dieses Geschäftsmodell betreiben. Betroffene, die allenfalls unwissentlich ein kostenpflichtiges Bild genutzt haben, können sich gestützt auf das aktuelle Bundesgerichtsurteil nun besser gegen eine ungewöhnlich hohe Lizenzgebührforderung solcher Kanzleien wehren. Voraussetzung ist, dass Betroffene ähnliche Bilder vorlegen können, die im Internet zu einem tiefen Preis erhältlich sind.
Neues Gesetz schon wieder verwässert?
Dabei hat die Digitalisierung eigentlich zu einer Verschärfung des Urheberrechts beigetragen, die im April 2020 in Kraft getreten ist. Zweck dieser neuen Rechtsgrundlage: Das Recht am Bild soll besser geschützt werden. Zuvor konnte ein Fotograf nur dann Lizenzgebühren einfordern, wenn er den individuellen Charakter eines Bildes nachweisen konnte. Seit April 2020 gilt grundsätzlich jedes Bild als geschützt, auch wenn es sich nur um ein simples Knipsbild handelt.
Der Fotograf Christoph Schütz spielte eine führende Rolle bei dieser Verschärfung des Urheberrechts. Laut Schütz zeigt das verschärfte Gesetz durchaus Wirkung: «Das Bundesgericht hat das neue Recht konsequent umgesetzt.» Tatsächlich hat der Kläger in mehreren Punkten recht erhalten. So hat das Bundesgericht unter anderem die Urheberrechtsverletzung vorbehaltlos bestätigt, ohne dass der Fotograf den individuellen Charakter des Bildes nachweisen musste.
Laut Schütz ist einzig problematisch, wie die Bundesrichter die Höhe der Entschädigung für den Fotografen bestimmt haben: «Die Festlegung der Lizenzgebühr ist realitätsfremd erfolgt», sagt er.
Rechtsexperten war schon bei der Inkraftsetzung des neuen Gesetzes bewusst, dass die Gerichte bei der Preisfestsetzung noch Leitplanken definieren müssen. Nachdem sich das Bundesgericht jetzt erstmals dazu geäussert hat, zeigt sich: Der rechtliche Schutz ist mit dem revidierten Gesetz zwar sichergestellt, aufgrund der tiefen Vergütung zahlt es sich aber oft nicht aus, diesen Schutz rechtlich durchzusetzen. Ein Stück weit kommt im aktuellen Urteil auch zum Ausdruck, dass die Marktpreise für viele Bilder in den vergangenen Jahren unter Druck geraten sind.
Gericht definiert erstmals Leitplanken
Das Bundesgericht folgte bei der Berechnung der Lizenzgebühr weitgehend der Argumentation der beklagten Firma. Diese legte mehrere Fotos von Luftaufnahmen vor, die zu vergleichsweise tiefen Preisen im Internet erhältlich waren. Das Gericht errechnete daraus einen Mittelwert und kam so für das Bild von Alain D. Boillat auf einen Marktpreis von 55 Franken. Weil Boillat damit nur 1,4 Prozent seiner Forderung durchsetzen konnte, musste er auch einen grossen Teil der Verfahrens- und Parteikosten übernehmen. Doch auch die beklagte Firma zahlte mehrere Tausend Franken Parteikosten.
Boillat und sein Anwalt stützten sich vor allem auf die SAB-Empfehlungen, welche das Gericht nicht als Marktwert anerkannte. Tatsächlich bestätigen Fotografen, dass die Preise in der Praxis oft unter diesen Empfehlungen liegen.
Aus dem Urteil zieht Christoph Schütz folgenden Schluss: «Anstatt sich auf die SAB-Empfehlungen abzustützen, müssen Fotografen vor Gericht in Zukunft mit konkreten bezahlten Rechnungen beweisen, dass die geforderten Lizenzgebühren den Marktpreisen entsprechen.» Im vorliegenden Fall habe die beklagte Firma leider ein leichtes Spiel gehabt und mit wenig überzeugenden Vergleichen den Preis auf ein sehr tiefes Niveau gedrückt.
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