Kosten des KlimawandelsSo lähmt die Hitze die Wirtschaft
Das Thermometer steigt, die Produktivität fällt. Allein in der Schweiz verursacht die Hitze Kosten von über 400 Millionen Franken pro Jahr.
Heute wird der Höhepunkt der aktuellen Hitzewelle erwartet, das Thermometer könnte laut Meteonews über die Marke von 37 Grad klettern. In den ersten Regionen wird das Wasser knapp: Nach Mendrisio im Kanton Tessin verhängt nun auch die Gemeinde Courtételle im Kanton Jura Sparmassnahmen. So ist es ab sofort verboten, den Rasen zu bewässern, das Auto zu waschen oder den Pool aufzufüllen.
Die Hitzewelle wälzt sich weiter durch Europa und zieht langsam gen Osten. An der sonst recht kühlen französischen Atlantikküste in der Stadt Brest wurden am Montag 39,3 Grad gemessen, das sind 18 Grad über den Normalwerten und auch höher als beim bisherigen Hitzerekord von 1949, der bei 35,2 Grad lag. In Nantes wurden gar über 42 Grad gemessen.
Grossbritannien und vier weitere europäische Staaten haben den Notstand oder die höchste Alarmstufe ausgerufen. Zehntausende mussten wegen Bränden evakuiert werden. In Spanien wüten Dutzende Waldbrände, die Temperaturen haben hier bereits bis zu 45 Grad erreicht.
Bei 29 Grad eine Stunde früher Feierabend
So extrem ist es hierzulande bei weitem nicht. Aber während die Betriebsamkeit in den Badis steigt, nimmt sie auf den Baustellen, in den Fabriken und Büros ab. Bei Schwerarbeit im Freien sinkt die Leistung bereits ab einer Temperatur von 23 Grad Celsius, schätzte das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco.
Gemäss einer amerikanischen Untersuchung machen Beschäftigte, die vorwiegend im Freien tätig sind – auf dem Bau, in der Industrie und im Verkehrswesen – bei Temperaturen über 29 Grad früher Feierabend und arbeiten im Durchschnitt eine Stunde weniger pro Tag. Im Büro sollte man gemäss Seco bis zu maximal 31 Grad effizient arbeiten können.
Andere Untersuchungen zeigen jedoch bereits ab etwa 26 Grad eine Abnahme der Leistungsfähigkeit. Und wenn es so richtig heiss wird, sollte man besser nicht Dinge tun, die präzises Arbeiten erfordern. Die britische Marine steckte in den 1940er-Jahren Morsekodierer in Räume mit unterschiedlichen Temperaturen. Bei 40 Grad Celsius machten sie mehr als zehnmal so viele Fehler wie in Räumen mit einer Temperatur von 30 Grad.
Hitzetage beeinträchtigen die Arbeitsproduktivität schon heute spürbar.
Die Auswirkungen der Hitze auf die Sterblichkeit und die Arbeitsproduktivität in der Schweiz und wie sie sich mit dem Klimawandel in den nächsten Jahrzehnten entwickeln werden, hat kürzlich ein Team aus acht Forschenden der ETH Zürich, des Bundesamts für Meteorologie und Klimatologie, des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts, der Universität Basel und des Amts für Abfall, Wasser, Energie und Luft des Kantons Zürich untersucht. Ihre Arbeit wurde zur Veröffentlichung in der Fachzeitschrift «NHESS» akzeptiert, darin aber bisher noch nicht publiziert.
Hitzetage beeinträchtigen die Arbeitsproduktivität schon heute spürbar. Für die ganze Schweiz geht deswegen Arbeit im Wert von etwa 413 Millionen Franken pro Jahr verloren, schätzen die Forschenden. Ist das viel? Gemessen an den Arbeitseinkommen von insgesamt rund 415 Milliarden Franken pro Jahr ist es wenig, nur 0,1 Prozent. Aber verglichen mit anderen Ursachen, die die Arbeitsproduktivität verringern, ist es doch beträchtlich. So gehen pro Jahr schätzungsweise 200 Millionen Franken aufgrund von Arbeitsausfällen wegen der saisonalen Grippe verloren. Hitzeverluste machen also bereits heute mehr als doppelt so viel aus.
Genf, Wallis, Tessin und Basel stark betroffen
Es bestehen kaum Zweifel daran, dass die Zahl der Hitzetage als Folge des Klimawandels deutlich zunehmen wird. Die Produktivitätsverluste werden im günstigsten Klimaszenario bis 2050 um 17 Prozent zunehmen, im ungünstigsten Szenario bis zu 58 Prozent, so die Prognose.
Bei körperlicher Arbeit im Freien sind die südlichen Kantone Tessin, Wallis und Genf sowie das Gebiet von Basel am stärksten betroffen. Prozentual am stärksten nehmen die gesamten Produktivitätsverluste jedoch in den Kantonen Graubünden, Uri, Wallis, Glarus und Obwalden zu. Das liegt daran, dass die hoch gelegenen Regionen heute noch selten Tage über der kritischen Hitzeschwelle erleben.
Eine neue Untersuchung zu langfristigen Auswirkungen der Temperaturen in Italien zeigt, dass grosse Unternehmen in der Lage sind, sich an steigende Temperaturen anzupassen und ihre Rentabilität zu verbessern, während kleine Unternehmen damit Mühe haben. Das könnte damit zu tun haben, dass sie weniger in Kühlung und andere Anpassungen investieren können.
Europa könnte Hitzegewinner sein
Auch globale Lieferketten reagieren offenbar auf steigende Temperaturen. So zeigt eine Untersuchung von US-Ökonomen, dass Konzerne ihre Lieferketten anpassen, indem sie Lieferanten mit höheren Klimarisiken auswechseln. Weil die grössten Hitzeprobleme im Süden zu erwarten sind, könnten europäische Zulieferer von solchen Effekten eher profitieren.
Politik und Unternehmen ergreifen Anpassungsmassnahmen, um Produktivitätsverluste zu verhindern: Automatisierung und Digitalisierung, Reduzierung von Hitzequellen am Arbeitsplatz, Verringerung der Arbeitsintensität, technische Entwicklungen in der Gebäudetechnik und bei der Kleidung, Begrenzung, Verschiebung und Reduktion der Arbeitszeit usw.
In den arabischen Emiraten ist das Beste am Wetter die Klimaanlage. Der erste Premierminister Singapurs, Lee Kuan Yew, hielt sie für die grösste Erfindung des 20. Jahrhunderts. Tatsächlich reduziert Kühlung Produktivitätsverluste erheblich.
Ein Vergleich indischer Fabriken zeigt, dass die jährliche Produktion pro Grad Celsius Erwärmung um etwa 2 Prozent sinkt. Klimaanlagen und hohe Automatisierung mindern den Produktivitätsrückgang in der Fabrik. Aber sie bringen sie nicht ganz zum Verschwinden. Denn die Absenzen nehmen bei grosser Hitze trotzdem zu, weil die Arbeitnehmenden zu Hause und auf dem Arbeitsweg weiterhin hohen Temperaturen ausgesetzt sind.
Klar ist: Das Klima in der Schweiz wird mediterraner. Raumkühlung und weitere Automatisierung werden naheliegende Anpassungsmassnahmen sein. Das Tessin, das heute die meisten Hitzetage und Tropennächte aufweist, zeigt, dass die Schweiz mit steigenden Temperaturen umgehen kann.
Für ärmere Länder, hauptsächlich im Süden, wird das viel schwieriger. Die Freude am Badi- und Grillwetter kann deshalb nicht ungetrübt bleiben.
Dies ist eine aktualisierte Version eines Berichts der «SonntagsZeitung», der online am 21. Mai veröffentlicht wurde.
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