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Wirecard-Skandal
So dreist ging die Bande um Jan Marsalek vor

Jan Marsalek ist bis heute untergetaucht: Fahnungsplakat in Berlin.
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Die Video-Konferenz im Juni 2020 war eine Realsatire. Sechs Wirtschaftsprüfer und eine Anwältin wollten zusammen mit Finanzchef Jan Marsalek und seinen Vertrauten klären, ob die offiziell ausgewiesenen Geschäfte des Zahlungsdienstleisters in Asien echt seien. Ausgerechnet der Teamleiter der Zahlungs-Plattform für diese Geschäfte, ein ausgewiesener Technik-Freak, hatte zunächst Probleme sich einzuwählen. Dann gelang es ihm nicht, seinen Bildschirm zu teilen, um die geforderten Dokumente zu zeigen. Als das endlich geschafft war, hörte sich der Technik-Guru plötzlich «immer schlechter» an. Er wirkte sehr krank.

So steht es in einem Gesprächsprotokoll, das die Wirtschaftsprüfgesellschaft KMPG über das Meeting anfertigte. KPMG untersuchte damals die zweifelhaften Asien-Deals von Wirecard. Die Videokonferenz wurde abgebrochen. Marsalek schlug vor, den Termin nachzuholen, «abhängig vom Gesundheitszustand» seines Teamleiters. Dazu kam es nicht mehr.

Das Unternehmen systematisch ausgeplündert

Der Technik-Experte und Vertraute von Marsalek spielte nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft München bei den mutmasslichen Betrügereien von Wirecard eine zentrale Rolle und ist einer von vielen Beschuldigten.

Der «Süddeutschen Zeitung», dem NDR und WDR und dem österreichischen Nachrichtenmagazin «Profil» liegen zahlreiche Dokumente vor, die zeigen, wie Marsalek, zusammen mit einer Handvoll enger Vertrauter das eigene Unternehmen über Jahre hinweg systematisch ausgeplündert hat – und das bis zuletzt vertuschte, um weitermachen zu können.

Im internationalen Haftbefehl, den ein Münchner Gericht im Oktober vergangenen Jahres gegen Marsalek erliess, steht, dass Marsalek von 2018 bis 2020 zusammen mit seinen Mittätern 505 Millionen Euro aus Wirecard abgezogen hatte. Geschehen sei das über Kredite für Partnerfirmen in Asien. Wirecard habe diese Darlehen für Geschäfte gewährt, die es gar nicht gegeben habe. Auch für «eigene Zwecke» habe Marsalek einen Millionenbetrag abgezweigt.

Der Fall Wirecard gilt als einer der grössten Wirtschaftsskandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte.

Die Justiz wirft dem früheren Wirecard-Manager vor, von 2015 bis 2020 mindestens 15 Straftaten begangen zu haben. Dazu gehören Bilanzfälschung und Manipulation des Wirecard-Aktienkurses, schwerwiegende Veruntreuung von Wirecard-Vermögen und gewerbsmässiger Bandenbetrug.

Die Höchstdauer der Freiheitsstrafe, die Marsalek im Falle seiner Festnahme zu erwarten habe, summiert sich laut Haftbefehl auf insgesamt 45 Jahre. Auch wenn eine Gesamtstrafe nach den gesetzlichen Grundlagen in Deutschland viel niedriger ausfallen würde, ist klar: Sollte der untergetauchte Ex-Wirecard-Topmanager eines Tages geschnappt werden, dann müsste er, als Kopf einer Bande, für viele Jahre ins Gefängnis.

Den Kern der Bande bildeten nach Erkenntnissen der Ermittler folgende Figuren: Der Dubai-Statthalter von Wirecard, der bis jetzt als einziger gestanden hat. Er ist vorläufig der einzige Kronzeuge der Staatsanwaltschaft und belastet Marsalek schwer. Ein Finanzmanager aus der Konzernzentrale, der ebenso wie der Kronzeuge in Untersuchungshaft sitzt. Der «kränkelnde» Technik-Guru, der Probleme mit Videokonferenzen hat. Weiter gehört der frühere Statthalter von Wirecard in Singapur dazu. Sie sollen, so vermuten die Ermittler, unter der Regie von Marsalek systematisch Umsätze fingiert und Kontoauszüge, Protokolle und vieles mehr gefälscht haben.

Über Singapur und Litauen in die Tasche von Marsalek

Im Verdacht stehen schliesslich mehrere Beschäftigte von Wirecard, die sich mit eigenen Firmen in Asien selbständig gemacht hatten. Wie unverfroren Marsalek vorgegangen sein soll, zeigt ein Deal Ende von März 2020. Wirecard gewährte der Firma Ocap in Singapur, hinter der ein früherer Wirecard-Kollege von Marsalek steht, einen Kredit über 100 Millionen Euro. Ocap gab nach Erkenntnissen der Ermittler einen Teil davon an eine Firma in Litauen weiter. Diese Firma wiederum überwies 35 Millionen Euro an eine Holding, die den Betrag an Marsalek weiterreichte. Marsalek soll das Geld genutzt haben, um einen Privatkredit, den ihm Wirecard-Konzernchef Markus Braun gewährt hatte, zu begleichen.

Stimmen die Recherchen der Ermittler, dann hätte sich Marsalek kurz vor der Enthüllung der Scheingeschäfte bei Wirecard und vor der anschliessenden Pleite des Finanzkonzerns schnell noch 35 Millionen Euro aus der Unternehmenskasse besorgt. Konzernchef Braun will davon nichts gewusst haben. Marsaleks Anwälte äussern sich nicht zu dem Haftbefehl und zu den Vorwürfen gegen ihren Mandanten. Marsalek selbst bleibt verschwunden. Und mit ihm viel Geld.