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Krieg in Europas Kornkammer
So dramatisch sind die Folgen des hohen Weizenpreises 

Kommende Ernten sind in Gefahr: 30 Prozent der weltweiten Weizenexporte kommen aus Russland und der Ukraine.
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Getreide wie Weizen und Mais waren schon vor dem Ukraine-Krieg sehr teuer. Nun schiessen die Preise von hohem Niveau aus regelrecht nach oben. Der Hauptgrund: Russland und die Ukraine gelten als Kornkammer Europas. Wenn dort in diesem Jahr die Ernte ausfallen sollte, hat das massive Auswirkungen auf weite Teile der globalen Nahrungsmittelversorgung.

30 Prozent der weltweiten Weizenexporte kommen aus Russland und der Ukraine. Beim Sonnenblumenöl sind es 75 Prozent und bei Mais 16 Prozent. «In der Ukraine und in Russland ist der Weizen ausgesät. Ich bezweifle jedoch, dass die Felder aufgrund des Kriegs gut genug gepflegt werden können», sagt Heinz Mollet, Leiter der Division Agrar bei Fenaco. Die Agrargenossenschaft mit Sitz in Bern gehört den Landi-Genossenschaften und verkauft Futtermittel, Samen und Dünger an die Schweizer Bauern. Der Jahresumsatz wird auf 7 Milliarden Franken beziffert.

Transporte bleiben stecken, Dünger ist knapp

Prognosen will Mollet aufgrund der komplexen und sich rasch ändernden Lage keine machen. Doch andere Experten warnen: «Mindestens 70 Prozent der Ernte werden fehlen», sagte letzte Woche Klaus Josef Lutz, Verwaltungsratsvorsitzender des deutschen Agrarkonzerns Baywa, der «Süddeutschen Zeitung».

Schwierig ist jetzt bereits, dass etwa Maistransporte aus der Ukraine blockiert sind oder vermutet wird, dass Russland bald viel weniger Weizen exportieren wird. Darüber berichtete am Dienstag Radio SRF.

Auch ist der Stickstoffdünger knapp. Dieser wird aus Erdgas gewonnen. Der Gaspreis ist kräftig gestiegen und hat nicht nur Benzin, sondern auch Dünger kräftig verteuert. Diese Verknappung und die unklaren Aussichten heizen die Preise auf dem Weltmarkt an. Anfang Woche erreichte der Weizenpreis mit über 420 Franken pro Tonne ein Rekordhoch.

Das bereitet vor allem Staaten in Nordafrika und im Nahen Osten Probleme, sie sind Hauptabnehmer von Weizen aus Russland und der Ukraine. Brot ist dort ein Grundnahrungsmittel. Doch wegen des trockenen und heissen Klimas kann in diesen Ländern kaum Getreide angebaut werden.

Ungarn stoppt Getreideexporte per sofort

So stark werde es die Schweiz nicht treffen, sagt Heinz Mollet von Fenaco. Statt aus Russland und der Ukraine könne sie künftig landwirtschaftliche Rohstoffe aus anderen Ländern beziehen. Sicher sei jedoch: Wir müssten mit steigenden Lebensmittelpreisen rechnen. Denn nicht nur Weizenmehl, Mais oder Sonnenblumenöl – auch Futter für die Kühe und Schweine sowie Dünger würden teurer werden, sagt Mollet.

«Wenn es um Nahrungsmittel geht, ist jede Nation sich selbst am nächsten.»

Heinz Mollet, Leiter der Division Agrar bei Fenaco

Das führe dazu, dass die Konsumenten an der Ladenkasse für verschiedene Produkte mehr bezahlen müssen. Ein Lichtblick sei hingegen, so Mollet, dass sowohl die USA als auch Australien sehr gute Ernten angekündigt hätten. «Das könnte die Preissituation entspannen, bedeutet jedoch, dass sich die Warenströme verändern werden.»

Derweil verhängen jetzt erste Länder Handelsbeschränkungen – aus Angst vor Nahrungsknappheit. Ungarn hat letzten Freitag mit sofortiger Wirkung alle Getreideexporte verboten. Andere wichtige europäische Exporteure wie Bulgarien planen, ihre Getreidereserven aufzustocken und genug Getreide von lokalen Erzeugern zu kaufen, um den heimischen Bedarf für ein Jahr im Voraus zu decken.

«Wenn es um Nahrungsmittel geht, ist jede Nation sich selbst am nächsten», sagt Mollet. Er fügt an: «Wenn es darum geht, alternative Lieferanten zu finden, ist derjenige im Vorteil, der bereits etablierte Handelsbeziehungen hat und die höchsten Preise bezahlen kann.»

Bund beobachtet die Lage intensiv

In der Schweiz hat der Bundesrat für Dünger und Schmerzmittel die Pflichtlager in den letzten Wochen öffnen müssen. In Bezug auf die Nahrungsmittelversorgung sind derzeit keine Massnahmen angekündigt. Evelyn Kobelt, Sprecherin beim Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL), sagt: «Vorkehrungen der wirtschaftlichen Landesversorgung sind bei einer schweren Mangellage zu treffen, jedoch nicht bei steigenden Preisen. Diese weisen zwar auf eine Verknappung der Güter hin, verlangen aber noch keine Intervention.»

Das Amt habe die Lagebeurteilung im Dezember wegen Corona nochmals intensiviert, so Kobelt. Dieser Rhythmus werde jetzt wegen des Kriegs beibehalten.

«Den Selbstversorgungsgrad von 50 bis 60 Prozent sollten wir mindestens erhalten»: Heinz Mollet, Geschäftsleitungsmitglied von Fenaco. 

Mollet von Fenaco sieht die Schweiz als «Grasland» in einer vergleichsweise guten Ausgangslage: «Zwei Drittel unserer Landwirtschaftsfläche eignen sich nicht für den Ackerbau, sondern für Wiesen und Weiden und damit für die Produktion von Fleisch und Milch. Wir können nicht unseren gesamten Nahrungsmittelbedarf selber decken – doch den Selbstversorgungsgrad von derzeit 50 bis 60 Prozent sollten wir mindestens erhalten.»

Bei uns werden die steigenden Getreidepreise also vor allem Haushalte mit geringem Einkommen zu spüren bekommen. Sie müssen einen grösseren Anteil ihres ohnehin knappen Budgets für Essen ausgeben. «Menschen in Nordafrika, Indonesien oder Bangladesh wird es hingegen ungleich härter treffen», sagt Mollet. «In Ägypten beträgt der Anteil der Lebensmittel am Haushaltsbudget 60 Prozent, während es in der Schweiz im Durchschnitt nur 7 Prozent sind.»

«Für Menschen, die am Rande einer Hungersnot leben, kann jede neue Krise katastrophale Auswirkungen haben.»

Martin Rentsch, Sprecher des Welternährungsprogramms

Diese Rekordpreise werden mitunter drastische Folgen haben. Das weltweite Hungerproblem dürfte sich weiter verschärfen. Das Welternährungsprogramm warnt, denn es bezieht selber viele der Nahrungsmittel, mit denen es weltweit Krisenregionen versorgt, aus Russland und der Ukraine. «Unsere Hilfe für die Ärmsten geht weiter. Wir können Ausfälle zu höheren Kosten kompensieren, aber viele arme Menschen, die gerade noch so über die Runden kommen, können drastisch steigende Brotpreise nicht verkraften», sagt Martin Rentsch, Sprecher des Welternährungsprogramms. Das führe zur «Krise in der Krise».

Die Zahl der akut Hungernden sei schon vor dem Krieg auf 276 Millionen angestiegen. Rentsch sagt: «Für die Menschen, die in Afghanistan, im Jemen, in der Sahelzone oder am Horn von Afrika am Rande einer Hungersnot leben, kann jede neue Krise, die die globalisierte Welt trifft, katastrophale Auswirkungen haben, die sie weiter in Armut und Hunger abrutschen lässt.»

Agrarminister der G-7-Staaten treffen sich

Die Frage, wie die weltweite Nahrungsversorgung sichergestellt werden kann, ist am Freitag, 11. März, Thema einer ausserordentlichen Sitzung der Agrarminister der G-7-Staaten Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, USA und Grossbritannien.

Die Agrarminister der EU hatten bereits letzte Woche gefordert, das Produktionspotenzial der europäischen Landwirtschaft kurzfristig in vollem Umfang auszuschöpfen. Ihr Vorschlag: Um die Versorgung mit Futtermitteln zu verbessern, soll der Anbau von Öl- und Eiweisspflanzen auf stillgelegten Flächen erlaubt werden.