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AboJuwelen in Dresden gestohlen
So clever gingen die Diebe beim 100-Millionen-Raub vor

Schatz mit Lücken: Eine Tafel macht Besucherinnen und Besucher auf die gestohlenen Stücke  im Juwelenzimmer des Grünen Gewölbes von Dresden aufmerksam.

Einen kleinen Moment gab es, fünf Tage vor der Tat, da hätte noch alles auffliegen können. Um 2 Uhr nachts wurde eine Zivilstreife in Dresden auf einen blauen Audi aufmerksam, der an einer verbotenen Stelle wendete. Die Polizei nahm die Verfolgung auf, das verdächtige Auto raste mit mehr als 120 km/h davon und entkam.

Im Audi sassen, so glauben jedenfalls die Ermittler, einige jener jungen Männer, die kurz darauf einen der spektakulärsten Museumsraube der letzten Jahrzehnte begingen. Am Ende waren aus dem Grünen Gewölbe des Dresdner Residenzschlosses 21 weltberühmte Schmuckstücke verschwunden, besetzt mit 4300 Diamanten, Smaragden, Saphiren oder Rubinen. Experten schätzen deren Versicherungswert auf 113,8 Millionen Euro. Tatsächlich versichert waren sie nicht.

Meisterwerke barocker Renommierkunst: Das Raubgut umfasst Preziosen wie den Bruststern des polnischen Weissadlerordens (obere Reihe, 2.v.l.), die grosse Brustschleife der Königin Amalie Auguste (2.v.r.) sowie den Degen und eine Epaulette der sogenannten Diamantrosen-Garnitur (untere Reihe, 3. u. 2.v.r.).

Zwei Jahre nach dem monumentalen Juwelenraub beginnt der Prozess gegen die mutmasslichen Täter. Es handelt sich um sechs junge Männer des arabischstämmigen Clans der Berliner Familie Remmo. Zwei der Angeklagten sind Zwillinge, fünf Cousins, der sechste ist ebenfalls verwandt. Einzelne der Angeklagten sind Berufsverbrecher, die Verurteilungen sammeln wie andere Arbeitszeugnisse.

26 Monate lang haben die 45 Ermittler der Sonderkommission «Epaulette» Indizien und Beweise zusammengetragen, dank DNA- und anderen Spuren sowie Bildern aus Überwachungskameras das Vorgehen minutiös rekonstruiert. Die «Zeit» und der «Spiegel» berichteten unlängst ausführlich über die Erkenntnisse.

Nach ihren Schilderungen begannen die Vorbereitungen spätestens im Sommer 2019. Die Angeklagten kauften unter falschen Namen zwei Autos, den erwähnten Audi S6 sowie einen Mercedes E 500. Den Mercedes spritzten sie um, sodass er wie ein Taxi aussah. So würde er in der von Touristen bevölkerten Dresdner Innenstadt weniger auffallen. Beide Autos versorgten sie mit Dubletten, also mit Kennzeichen, die zwar gefälscht waren, an identischen Autos aber tatsächlich vorkamen.

Gitter mit Loch: Die Räuber hatten schon Tage vor der Tat ein Stück aus dem historischen Gitter am Residenzschloss herausgeschnitten, ohne dass irgendjemand etwas merkte.

Sechs und vier Tage vor der Tat schnitten die Täter an der Aussenwand des Grünen Gewölbes unerkannt ein dreieckiges Loch in ein dickes Eisengitter, klebten am Ende das ausgebrochene Stück mit Klebstoff wieder ein. Zum Aufbrechen benutzten sie Hydraulikschneider, die Rettungskräfte verwenden, um Menschen aus Unfallautos zu befreien. Fünf Tage vor der Tat, unmittelbar vor der Flucht mit dem Audi, warfen die Männer unweit des Grünen Gewölbes einen Feuerlöscher in die Elbe. Warum, sollte man bald sehen. Einen Tag vor der Tat, so glauben die Ermittler zumindest, inspizierten vier Komplizen den Saal mit den Juwelen von innen, getarnt als gewöhnliche Besucher. Vor der Vitrine, auf die sich die Täter konzentrierten, und vor dem Fenster, durch das diese einsteigen sollten, blieben sie lange stehen.

Erst mal ein kleiner Brand

Der Tag der Tat, der 25. November 2019, begann neblig. Gegen halb fünf Uhr morgens fuhren die sechs Angeklagten mit dem nun silber-schwarz lackierten Audi vor. Im Gepäck hatten sie zwei geladene Pistolen, eine davon mit Schalldämpfer, zwei grosse Äxte und zwei Kochtöpfe. 200 Meter vom Tatort entfernt machten sie sich erst an einem Stromhäuschen zu schaffen. Sie füllten die Kochtöpfe mit flüssigem Brennstoff, stellten sie unter die Stromverteiler und zündeten sie an. Der Brand lenkte in der Folge nicht nur die Polizei ab, sondern knipste alle Strassenlaternen rund um das Schloss aus. Selbst wenn Passanten das Feuer zufällig entdeckt hätten, hätten sie es nicht löschen können, da der dafür vorgesehene Feuerlöscher fehlte.

Zwei der jungen Männer entfernten beim Museum kurz danach das bereits aufgebrochene Gitter, hebelten mit Hydraulikwerkzeug und mittels eines eigens konstruierten Widerlagers ein Fenster auf, ohne die Scheibe zu zerbrechen, und stiegen in die Schatzkammer ein. Erst jetzt schlugen Bewegungsmelder still Alarm, es war 4.57 Uhr. Die Einbrecher wussten, dass ihnen ab jetzt nur ein paar Minuten bleiben würden. Die zwei unbewaffneten Wachleute des Museums schritten nicht ein, sondern warnten eher gemächlich die Polizei – dem Raub schauten sie auf ihren Monitoren live zu. Die gespenstischen Aufnahmen sind bis heute auf Youtube zu finden.

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Einer der Täter wählte eine Vitrine aus und zertrümmerte deren Sicherheitsglas mit 56 Axtschlägen. Danach rissen die beiden so viele Schmuckstücke heraus, wie sie konnten. Das stellte sich als schwieriger heraus als gedacht, weil die Garnituren mit unsichtbarer Schnur auf dem Untergrund festgestickt waren. Vier Minuten nach ihrem Einstieg sprühten die Räuber noch den Inhalt eines Feuerlöschers aus, um Spuren zu verwischen, danach flüchteten sie. Als die Polizei um 5.04 Uhr eintraf, waren sie längst weg.

Mit dem Audi rasten sie zu einer 4,5 Kilometer entfernten Tiefgarage, in der der Mercedes stand. Den Audi zündeten sie an, mit dem falschen Taxi verliessen sie unerkannt Dresden und fuhren nach Berlin zurück. In der Garage gingen drei weitere Autos in Flammen auf, mehr als 60 wurden beschädigt.

Verdächtige Parallelen

Der Verdacht der Ermittler fiel ziemlich schnell auf den einschlägig bekannten Remmo-Clan. Mitglieder der Familie hatten in den Jahren zuvor Raubüberfälle begangen, die manche Ähnlichkeiten aufwiesen. Besonders auffällig war die Parallele zum Raub einer 100 Kilo schweren Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum 2017. Die Täter waren dank eines Komplizen unerkannt ins Museum eingedrungen und hatten das fast 4 Millionen Euro teure Goldstück mithilfe eines Rollbretts und einer Schubkarre abtransportiert. Als die Juwelen in Dresden gestohlen wurden, lief im Bode-Fall gerade der Prozess gegen zwei junge Remmos.

100 Kilogramm pures Gold: Diese Goldmünze hatten Mitglieder des Remmo-Clans 2017 aus dem Berliner Bode-Museum gestohlen.

Was damals ausser den Beteiligten niemand wusste – und wohl auch nicht viele für möglich hielten: Die für den Bode-Raub angeklagten und später verurteilten Cousins Wissam und Ahmed waren es selbst, die zur gleichen Zeit den Einbruch in Dresden planten und in einer Verhandlungspause auch ausführten – davon ist die Anklage jedenfalls überzeugt. Zwei Tage nach dem Raub im Grünen Gewölbe musste Wissam Remmo gleich noch einmal vor Gericht, diesmal in Bayern, wegen des angeblichen Diebstahls von Hydraulikschneidern, wie sie in Dresden verwendet worden waren. Auf der Fahrt geriet der damals 23-Jährige in eine Kontrolle, bei der die Polizei in seinem Auto Schutzanzüge, Sturmmasken und einen sogenannten Kuhfuss fand – typische Einbrecherutensilien.

Die sechs Angeklagten, die alle deutsche Staatsbürger sind und insgesamt elf Anwälte beschäftigen, wurden zwischen November 2020 und August 2021 verhaftet. An der ersten Razzia nahmen 1600 Polizeikräfte teil, darunter auch die Spezialtruppe GSG 9.

Sondereinsatzkräfte der Polizei: Bei einer Razzia gegen Mitglieder des Remmo-Clans in Berlin wurden im November 2020 mehr als 20 Wohnungen, Cafés und Garagen durchsucht und drei der sechs Verdächtigen für den Juwelenraub in Dresden verhaftet.

Bis heute nicht herausgefunden haben die Ermittler, ob die Einbrecher Hilfe von Museumspersonal erhielten. Vermutet wird, dass die aufwendige Sicherung der Fassade abgeschaltet oder manipuliert war, ebenso möglicherweise die Alarmanlage im Innern. Die Ermittlungen gegen vier Wachleute haben bis heute zu keiner Anklage geführt. Das Grüne Gewölbe sei so sicher wie Fort Knox, der amerikanische Goldtresor, hatten Verantwortliche des Museums vor Jahren noch geprahlt. 10 Millionen Euro gibt dieses einzig für die Sicherheit seiner Schätze aus, im Jahr.

Von den gestohlenen Juwelen fehlt bis heute jede Spur. Experten halten die berühmten Stücke im Prinzip für unverkäuflich. Für die Hypothese, ein reicher, krimineller Sammler habe den Einbrechern womöglich einen Auftrag zum Raub erteilt, fehlen bislang genauso Anhaltspunkte wie für die Vermutung, es habe sich um «Artnapping» gehandelt – die Beute sollte also in einem Lösegeld für die Rückgabe der Juwelen bestehen.

Am wahrscheinlichsten, meinen Fachleute, sei, dass die Täter die Steine aus den Schmuckstücken herausgebrochen, umgeschliffen und einzeln verkauft hätten. Die Goldmünze aus dem Bode-Museum wurde ziemlich sicher zersägt, eingeschmolzen und so zu Geld gemacht. Von ihr fanden sich bis heute nur einzelne Späne. Der kulturhistorische Wert der Dresdner Schmuckstücke besteht dagegen im Ensemble, nicht in den Steinen. Verkaufe man diese einzeln, sagen Experten, betrage der Materialwert kaum mehr als ein paar Hunderttausend Euro.