«Man plant einen Juwelenraub quasi von hinten»
Larry Lawton war der berüchtigtste Juwelendieb Amerikas – heute berät er die Polizei. Er glaubt: Die Dresdner Diebe hatten schon vor dem Einbruch einen Käufer für ihre Beute.
Wer eine Nachricht von Larry Lawton auf dem Anrufbeantworter hat, weiss sofort, mit wem er es zu tun bekommt: «Hier ist Larry Lawton, der grösste Juwelendieb Amerikas», stellt sich der heute 58-Jährige vor. Mit 28 räumt Lawton, aufgewachsen im New Yorker Stadtteil Bronx, sein erstes Schmuckgeschäft aus. Ein Inside Job – der Besitzer hat ihn selbst beauftragt, um die Versicherungssumme zu kassieren.
Als Lawton mit Mitte 30 vom FBI geschnappt wird, hat er nach eigener Schätzung 20 bis 25 Juweliere entlang der US-Ostküste ausgeraubt und Schmuck im Wert von 15 Millionen Dollar erbeutet. Elf Jahre sitzt er dafür ein.
Seit 2007 ist er frei – und arbeitet heute als Berater für die Polizei, engagiert sich in der Jugendprävention und absolviert regelmässig TV-Auftritte als Kriminalitätsexperte. Für die Vanity Fair analysierte er jüngst fiktive Gangster-Coups in Hollywoodfilmen – im Interview spricht er über ein reales Verbrechen: den Juwelendiebstahl von Dresden.
Herr Lawton, was denkt ein ehemaliger Juwelendieb über den Dresdner Fall?
Larry Lawton: Ich war geschockt! Das ist, als wäre der Vatikan ausgeraubt worden – die Schmuckstücke, die gestohlen wurden, sind unbezahlbar. Ich lehne mich mal aus dem Fenster und sage: Das könnte der grösste Raubüberfall der Geschichte sein.
Die Behörden halten sich mit Aussagen zur Schadenssumme ja noch zurück.
Ich denke, wir werden noch eine Summe hören. Eine harte Zahl, die den Wert der Steine und des Edelmetalls beziffert – das ist relativ einfach. Viel schwieriger ist es, den historischen Wert in Euro aufzuwiegen. Um noch mal mein Vatikan-Beispiel aufzugreifen: Wenn die Sixtinische Kapelle in einem Feuer zerstört würde, wie viel wäre sie wert? Eine Milliarde? Was ist mit den Zehntausenden Besuchern täglich, die Eintritt zahlen, um dieses einzigartige Bauwerk zu bewundern? Das ist vermutlich auch der Grund, warum die in Dresden entwendeten Schmuckstücke nicht versichert waren – selbst die grössten Versicherer der Welt schrecken vor einem solchen Risiko zurück.
«Die wichtigste Frage ist: Wie werde ich das, was ich stehle, wieder los?»
Wie meinen Sie das?
Wir reden hier vermutlich von Hunderten Millionen Euro, nur der Materialwert. Nicht mal Lloyd's of London (eine milliardenschwere Versicherungsbörse, Anm. d. Red.) ist genug wert, um den Verlust dieser Steine auszugleichen.
Es wurden nicht alle Teile der betroffenen Garnituren entwendet. Warum lassen Diebe wertvolle Stücke zurück?
Die wichtigste Frage für einen Juwelendieb ist: Wie werde ich das, was ich stehle, wieder los? Man plant einen Juwelenraub quasi von hinten und fängt mit dem Käufer an. In den meisten Fällen ist das ein Hehler. Mit dem verhandelt man, welche Teile man stiehlt und was man dafür bekommt. Der Hehler «wäscht» die Schmuckstücke dann, das heisst, er verändert sie so, dass sie nicht mehr als das erkennbar sind, was sie einmal waren, und verkauft sie weiter. Wenn man sich die Teile anschaut, die in Dresden gestohlen wurden: Das sind viele Diamanten in separaten Fassungen – solche Stücke lassen sich leicht auseinanderbrechen.
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Video: Der dreiste Raub in Dresden
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Sie gehen also davon aus, dass die Schmuckstücke als solche verloren sind?
Wenn die Diebe in den nächsten 72 Stunden nicht gefasst werden: ja. Exzentrische Milliardäre, die historische Artefakte stehlen lassen, um sie dann in einem geheimen Safe in ihrer Villa auszustellen – sowas gibt es nur in Hollywoodfilmen. Ich sehe eigentlich nur eine Möglichkeit, wie die Teile unbeschadet zurückkommen: Es kommt vor, dass Versicherungen eine Prämie für die Rückgabe gestohlener Schätze ausloben, no questions asked. Dahinter steckt eine einfache Rechnung: Bevor eine Versicherung 100 Millionen auszahlt, bezahlt sie lieber zehn Millionen, um das Diebesgut zurückzukaufen. Egal von wem. Ob das im Dresdner Fall realistisch ist, weiss ich nicht – denn vermutlich müsste ja der deutsche Staat die Prämie aufbringen.
«Der typische Juwelendieb muss sehr gesellig sein.»
Das klingt alles so, als hätten die Einbrecher das nicht zum ersten Mal gemacht?
Mein Gefühl sagt mir: Das war ein Profi-Job. Angefangen von dem brennenden Stromverteilerkasten – ein klassisches Ablenkungsmanöver, um die Polizei an einen bestimmten Ort zu locken – bis zum Zerschlagen der Glaskästen. Wenn jetzt die Rede davon ist, die Räuber seien mit stumpfer Gewalt vorgegangen, ist das irreführend: Sie wussten offensichtlich, dass es sich nicht um Panzerglas handelt. Gleichzeitig sind solche Schaukästen natürlich nicht aus normalem Fensterglas – es braucht also ein geeignetes Werkzeug, in dem Fall eine Axt, und einen gewissen Kraftaufwand. Ich würde tippen, die Diebe haben das Museum entweder ausgiebig ausgekundschaftet. Oder sie hatten einen oder mehrere Informanten. Vielleicht auch beides. Mich erinnert der Coup an die Pink-Panther-Gang (ein international agierendes Juwelendieb-Netzwerk, Anm. d. Red.): hart zuschlagen und sofort wieder verschwinden.
Im Kino sind Juwelendiebe oft Gentleman Gangster, die mit List statt Gewalt zum Ziel kommen. Stimmt das?
Juwelendiebe sind Kriminelle, das sollte man nicht romantisieren. Ich würde sagen: Der typische Juwelendieb ist überdurchschnittlich intelligent, draufgängerisch – und er muss sehr gesellig sein. Nicht nur weil man oft im Team arbeitet, sondern auch weil man darauf angewiesen ist, Leuten Informationen zu entlocken.
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Bilder: Einbruch in Dresdens Schatzkammer
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