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Snowboarder Ueli Kestenholz im Interview
«Man feierte uns als Wintersport-Punks»

Ueli Kestenholz in seinem Snowboardkeller mit seiner Brettersammlung. Anlässlich einer Reportage über 40 Jahre Snowboard-Kultur, am 06.12.2023 in Thun.  Foto: Christian Pfander / Tamedia AG
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Herr Kestenholz, der Winter ist da. Ist Snowboarden eigentlich immer noch cool?

Das kann ich nicht beurteilen und ist für mich auch nicht so wirklich relevant. Im Vergleich mit anderen Trendsportarten scheint mir das Snowboarden eine treue Anhängerschaft gefunden zu haben.

Warum haben Sie vor fast 40 Jahren damit angefangen?

Ich fuhr Skateboard, war Windsurfer, nur im Winter fuhr ich Ski und auf zwei Latten. Das Snowboard bot die Möglichkeit, mein liebstes Gefühl, das Gleiten seitwärts, auch im Winter zu erleben.

Die Wurzeln des Sports in der Surf- und Skaterszene und die damit verbundene Lebenseinstellung – waren Sie jemand, der das sofort mit aufgenommen hat?

Es war zu der Zeit fast unmöglich, das nicht zu tun. Snowboarden hatte etwas sehr Kollektives, man war stets in grossen Gruppen am Berg, probierte zusammen alle Disziplinen aus: Freestyle, Slalom, Tiefschneefahren – und am Abend wurde tüchtig gefeiert.

Aber ein Schweizer Kind landete damals doch bestimmt in der Skischule?

Ich war sogar im Skiclub! Mit 14 entdeckte ich das Snowboarden. Ein, zwei Jahre lang fuhr ich weiter Ski, es war ein Ablöseprozess. Anfangs hatte ich noch ein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Eltern, die mir die Skiausrüstung gekauft hatten. Aber das Snowboarden hatte einen ungemeinen Sog.

Ueli Kestenholz in seinem Snowboardkeller mit seiner Brettersammlung. Anlässlich einer Reportage über 40 Jahre Snowboard-Kultur, am 06.12.2023 in Thun.  Foto: Christian Pfander / Tamedia AG

Warum?

Es kam viel zusammen damals. Da war das Fahrgefühl per se, das Gleiten auf einem Brett im Pulverschnee. Dann gab es das Spielerische: die Sprünge, die wilden, weiten Kurven. Man vergisst ja, wie stark das Snowboarden sofort auch das Skifahren beeinflusste.

Inwiefern?

Bis in die 90er-Jahre bedeutete Skifahren schlicht, mit langen Latten, den «Pommes frites», hin und her zu wedeln. Dann kamen die Snowboarder, die sich regelrecht in die Kurven legten, eine «Chrine» (eine Rinne) in den Hang zogen. Carving war geboren! Die Ski-Industrie schaute sich das ab und baute tailliertere Ski.

Snowboarden hob das Skifahren auf eine neue Ebene?

Davon bin ich überzeugt. Warum wohl gibt es heute die ganze Freeski-Szene? Das Skifahren wäre nie dort, wo es jetzt ist, ohne das Snowboarden. Snowboarden hat der Ski-Industrie die nächste, die heutige Generation erschlossen.

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Die «Chrine», die Sie erwähnen, war den Skifahrern von damals ein Dorn im Auge.

Die ersten Snowboarder in den 80ern wurden zunächst nicht auf die Lifte gelassen. In den 90ern nahmen sie uns mit, aber unsere Boards nannte man spöttisch «Schaltafeln», man störte sich über die «Rumsitzer». Man überlegte sich, separate Pisten für Snowboarder zu machen.

Was dazu führte, dass dem Ganzen ein sehr rebellischer Charakter anhaftete?

Ja. Ich kam vom Skaten, diese Kultur hatte einen ähnlichen Anstrich: zerrissene Hosen, lange Haare, Slogans wie «Skateboarding is not a crime». Dieses Rebellentum fand sich auch in der Snowboard-Szene wieder, nicht zuletzt deshalb, weil uns viele Skifahrer nicht so gut gesinnt waren.

Am wichtigsten war: Wir sind anders als sie.

Ich persönlich war da nicht so streng, weil ich ja selber vom Skifahren kam. Aber mir ging es so: Skifahren war mit Pflichten verbunden, es gab Trainingszeiten, an die man sich halten musste, abgesteckte Kurse, die es zu fahren galt. Snowboarden hingegen war die pure Freiheit. An einem Hang, an dem ein Skifahrer zwanzig Bögen fuhr, zog ich als Snowboarder dann drei weite, schnelle Kurven und spritzte meterhoch Schnee. Ich wählte, wie ich fahren wollte.

Wie ging es weiter?

Ziemlich bald einmal wollte jeder snowboarden. Die Medien feierten uns als Wintersport-Punks. Die ganze Sache hatte einen ungemeinen Drive. Dann veränderte sich etwas. Der Internationale Skiverband (FIS) fing ebenso an, Rennen zu organisieren, und übernahm den zuvor unabhängigen, pionierhaften Snowboard-Verband, indem er ihm die Sponsoren ausspannte und TV-Rechte an sich riss.

War das nicht ein Widerspruch: Das so ausdrucksstarke Snowboarden im Rennkalender der FIS?

Doch, absolut. Wir hatten nichts von den Vorteilen und Strukturen der Skifahrer: keine einheitliche Kleidung, kein Material, keine Trainer. Im Herbst trainierten wir jeweils gleichzeitig wie die Skifahrer auf dem Gletscher. Abends mussten sie um 21 Uhr im Hotel sein, um 22 Uhr war Lichterlöschen. Zu der Zeit zogen wir los – und waren um 4 Uhr morgens zurück.

Von Beginn an schien die ästhetische Komponente sehr wichtig zu sein: Wie sehen wir aus, wie kommen wir daher?

Am Anfang gab es auch da eine Gegenbewegung zum klassischen Skifahren: Hier der Descente-Anzug für tausend Franken, da unsere Baggypants, die man ganz zu Beginn noch vom Skateboarden direkt auf den Berg trug.

Damit schockiert man heute niemanden mehr.

Zwischen damals und heute war schon mehr als eine Generation am Werk. Die Hosen wurden schmaler, man will ja nicht gleich aussehen wie die Alten. Was aber auffällt: Im Wettkampfbereich ist alles gleichgeschaltet. Die Kleidung ist funktional, orientiert sich an Aerodynamik, es kommt auf jede Hundertstel an. Wenn bei uns damals in den Slalomrennen einer ein Renndress trug, dann wurde er ausgelacht.

Ein Aspekt der Ästhetisierung aber ist geblieben und hat sich noch verstärkt: Ohne Bild, im Idealfall ein Video, ist kein Ausflug komplett.

Das Dokumentieren von dem, was ich tue, ist ein kreativer Akt. Ich will im Schnee ästhetisch sein, bei passendem Licht und im richtigen Kamerawinkel. Und gerade das Freeride-Snowboarden findet sehr weit weg von der Gesellschaft statt. Fussballprofis spielen mitten in der Stadt. Aber wir fahren vielleicht auf einem Schweizer Berg, vielleicht aber auch im Backcountry von Alaska oder in Grönland auf einer Eisscholle (zückt sein Handy und liefert den Bildbeweis). Das alles ist manchmal schwer vermittelbar. Die Bilder in Filmen und den sozialen Medien sind eine Möglichkeit, diese Faszination zu den Leuten zu bringen.

Der Snowboarder Ueli Kestenholz, rechts, versucht Bundesrat Samuel Schmid am Donnerstag, 7. Februar 2002, im Olympischen Athletendorf von Salt Lake City den lockeren Snowboarder-Gruss beizubringen. (KEYSTONE/Karl Mathis)

Auch dank dieser Bilderflut liess sich der Snowboard-Sport hervorragend kommerzialisieren, es entstand eine riesige Industrie. Warum verkaufen sich heute wieder weniger Snowboards?

Nach dem Boom in den 90ern hat sich die Szene in den Nullerjahren diversifiziert: Es gab die Freestyler, und es gab die Racer, die es mehr zu den Skifahrern zog. Es gab keine Mitte mehr. Und was machte der Snowboarder, der sich nirgends zugehörig fühlte? Er kaufte sich die Carvingski, die damals aufkamen. Diese Leute sind der Sportart abhandengekommen.

In einer SRF-Dokumentation spricht die Chefin des Marktführers Burton von einer «verlorenen Generation».

Ein Teil davon kommt heute zurück, ich erlebe das in meinen Snowboard-Camps. Es sind Mittvierziger, die mit ihren Kindern und auf den harten Pisten Ski fahren. Aber im Tiefschnee erinnern sie sich ans «surfige» Element des Snowboardens und haben wieder Freude daran. Snowboarden wird nie sterben. Es ist keine Trendsportart.

Aber der Einbruch nach dem Boom ist doch genau das Merkmal einer Trendsportart?

Das stimmt, nur ist das Snowboarden nie ganz zusammengebrochen, das sind Wellenbewegungen. Beim Skateboarden waren diese noch ausgeprägter: Den Peak gab es in den 80ern, als ich damit anfing. Der nächste kam in den Nullerjahren. Nun steht schon der dritte an.

Was gegen einen nächsten Snowboard-Boom spricht: Wintersport ist teuer geworden, vielen Leuten zu teuer.

Ich wehre mich gegen die Auffassung, dass Wintersport zu teuer sein soll, zumindest, was die Ausrüstung angeht. Heute tragen die Kids nicht selten ein Handy für 900 Franken im Sack – das ist mehr, als heute ein neues Snowboard kostet. Zudem gibt es enorm viele Occasion-Bretter. Das Geld wäre da, die Prioritäten haben sich verschoben.

Woran liegt es denn, dass die Leute in den Skigebieten wegbleiben?

Die Schweiz ist diverser geworden, Wintersport gehört weniger zur Tradition. Umso wichtiger finde ich es, dass er für die Jugend zugänglich bleibt: Bei den Tageskarten geht es langsam in die falsche Richtung, die Preise sind an manchen Orten bald dreistellig. Die Gebiete verstecken sich hinter dem Dynamic Pricing, das an ein paar wenigen Tagen mit billigen Angeboten lockt, ansonsten aber die Preise anhebt.

Also doch: Die Preise sind ein Problem.

Es ist ein Debattenthema. Es gibt durchaus Skigebiete mit vernünftigen Preisen. Keiner rechnet selbst nach. Die vorherrschende Meinung scheint einfach zu sein: Die Berge kann sich niemand mehr leisten, durch den Klimawandel gibt es eh keinen Schnee mehr, die Zeit der guten Winter ist vorbei. Das sind Ausreden. Wer wirklich Wintersport betreiben will, für den gibt es Möglichkeiten. Das Material ist günstiger zu haben als früher, und für Familien sind Tee und Sandwichs gegenüber dem Restaurant auch preiswerter.