Proteste in der SlowakeiDie Kulturministerin bedroht die Kunstfreiheit – das treibt Tausende auf die Strassen
Martina Simkovicova hetzt nicht nur gegen Minderheiten und Progressive, sie greift mit gezielten Entlassungen auch massiv in die Kulturinstitutionen ein.
Martina Simkovicova passt gut ins Fernsehen. Die frühere TV-Moderatorin mit dem langen, blonden Haar legt Wert auf ein gepflegtes Äusseres und gute Kleidung. Die Kulturministerin spricht mit dunkler, ruhiger Stimme. Doch das, was sie sagt und tut, treibt Tausende Bürgerinnen und Bürger der Slowakei auf die Strassen. Am Dienstag zogen etwa 9000 Menschen durch Bratislava, vom Nationaltheater zum Kulturministerium. Am Mittwoch waren es doppelt so viele, rund 18’000 Menschen versammelten sich bei grösster Sommerhitze im Zentrum der Hauptstadt Bratislava, um gegen die Regierung von Robert Fico zu protestieren.
Die Demonstrierenden forderten den Rücktritt von Justizminister Boris Susko, der vergangene Woche in einer beispiellosen Aktion einen rechtskräftig wegen Korruption zu acht Jahren Gefängnis verurteilten Staatsanwalt freiliess. Noch grösser aber ist das Aufbegehren gegen Kulturministerin Simkovicova und ihren Stellvertreter Lukas Machala. Schon im Frühjahr unterzeichneten 188’000 Menschen eine Petition zur Abberufung von Simkovicova. Diese Petition gilt als die mit der bisher grössten Beteiligung in der Slowakei.
Menschenfeindliche und rassistische Theorien
Und nun haben binnen einer Woche erneut knapp 180’000 Menschen eine zweite Petition unterzeichnet: «Zum Schutz der Kultur» – also gegen Kulturministerin Simkovicova. Denn die 52-Jährige gilt ihren Kritikern als die derzeit grösste Gefahr für die Freiheit und auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit der slowakischen Kulturszene.
Simkovicova äussert sich offen menschenfeindlich, sie vertritt rassistische Theorien wie die einer angeblichen «Umvolkung», ein typisches Narrativ von Rechtsextremen. Die Gemeinschaft von Schwulen, Lesben und Transgendern, kurz LGBT, belegt Simkovicova grundsätzlich mit dem Wort «Ideologie». Die LGBT-Gemeinde sei verantwortlich für das «Aussterben der weissen Rasse», sagte sie etwa der Onlineplattform Topky. Nur heterosexuelle Menschen könnten die Zukunft gestalten, weil nur sie Kinder bekommen könnten, erklärte die zweifache Mutter in dem Interview Anfang Juli.
Simkovicova unterstützt rechtsextreme Partei
Mit etlichen Medien spricht Simkovicova gar nicht, lehnt deren Fragen bei Medienkonferenzen rundweg ab. Ausführlich äussert sie sich dagegen seit Jahren auf ihrem eigenen Youtube-Kanal Televizia Slovan (Slawe), das Logo garniert mit drei Kornähren, 15’900 Abonnenten folgen ihr. Bis vor kurzem lebte die Verfechterin einer «slowakischen Nationalkultur» unweit von Bratislava im österreichischen Kittsee – was ihr entsprechenden Spott eintrug. Mehrmals betonte Simkovicova zuletzt, sie lebe nun in der Slowakei.
Die parteilose Ministerin ist zum zweiten Mal im Parlament vertreten. Bei der Wahl im September 2023 trat sie für die Slowakische Nationalpartei SNS an, die sich von einer rechtsnationalistischen zu einer immer offener rechtsextremen Partei entwickelt hat. SNS schaffte knapp die 5-Prozent-Hürde und scheiterte bei der Europawahl. Die Partei ist der kleinste der drei Koalitionspartner in Robert Ficos populistischer Regierung.
Die SNS fordert unter anderem eine Abschaffung des Sexualkundeunterrichts und stellte für die Untersuchung des Pandemiemanagements einen Beauftragten, der Corona-Leugner ist. (Lesen Sie zum Thema auch den Kommentar «Tobende Rechtsextreme halten Robert Fico die Medien vom Hals».)
Dass Simkovicova hart gegen Kulturinstitutionen vorgehen würde, hatten viele Menschen bereits befürchtet, als sie im Oktober ihr Amt antrat. In einer nie dagewesenen Aktion berief die Ministerin vor einer Woche zunächst Matej Drlicka ab, den Direktor des Nationaltheaters, und dann Alexandra Kusa, die Direktorin der Nationalgalerie. Fristlos und zunächst ohne Angabe von Gründen, zudem, wie Simkovicova selbst einräumte, ohne vorherige Gespräche.
In die Nationalgalerie sandte sie als neuen Chef einen Betriebswirt, der Kuratoren mit Künstlern verwechselt, wie aus seinen Äusserungen hervorgeht. Das Nationaltheater mit den Sparten Schauspiel, Oper und Ballett bleibt hingegen mitten in der Probezeit für die neue Spielzeit, die in rund drei Wochen beginnt, vorerst ohne Leiter. Beiden Direktoren wirft Simkovicova Missmanagement vor, obwohl beide zuletzt eine hohe Auslastung und steigende Besucherzahlen nachweisen konnten.
Umbau der öffentlichen TV- und Radioanstalt
Die Proteste und Rücktrittsforderungen scheinen die Ministerin nicht zu beeindrucken. Diese Woche entliess sie drei Sachverständige aus dem Beirat der Kulturförderung. Zuvor hatte Simkovicova das Gesetz zur Kulturförderung dahin gehend geändert, dass in den Auswahlgremien künftig mehr Politiker und weniger Fachleute sitzen.
Bereits im Juni hatte Simkovicova ein umstrittenes Gesetz eingebracht, das die öffentliche Fernseh- und Radioanstalt RTVS auflöst und durch eine neue Anstalt names STVR unter der Kontrolle des Kulturministeriums ersetzt. Die Opposition und Nichtregierungsorganisationen erklärten, die Fico-Regierung habe beschlossen, mit dem neuen Gesetz «den unabhängigen Medien den Krieg zu erklären». (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Fico macht Ernst und schleift das öffentlich-rechtliche Radio».)
Doch auch dort, wo sich Simkovicova gern zu Hause fühlen möchte – bei der slowakischen Volkskultur –, kommt sie nicht immer gut an. Zum Folklorefestival in Vychodna erschien sie im Juli in Sandalen und einem trachtenähnlichen Sommerkleid. Besucher des Festivals erklärten Simkovicova, wie eine richtige Tracht aussieht und dass sie mit Strümpfen und festen Schuhen getragen wird. Wenig später wurde die Kulturministerin bei einem anderen Folklorefestival in Terchova vom Publikum ausgepfiffen.
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